Rostock, 1971. Ein kühler Wind weht durch die Kasernentore, als für junge Männer aus der DDR ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Es sind 18 Monate, die ihre Jugend unterbrechen, 18 Monate „Dienst an der Waffe“. Der DEFA-Dokumentarfilm „Einberufen“ von Regisseur Winfried Junge ist ein bemerkenswertes Zeitdokument, das sich wohltuend von der üblichen militärischen Propaganda jener Jahre abhebt. Statt stählerner Helden zeigt Junge Menschen. Statt ideologischer Phrasen fängt er leise Zweifel und den pragmatischen Unmut der Rekruten ein.
Der Film dokumentiert den klassischen Ritus de Passage: die Verwandlung vom Individuum zum Rädchen im Getriebe der Nationalen Volksarmee (NVA). Die Kamera ist dabei, wenn die zivile Kleidung gegen das Einheitsgrau der Uniform getauscht wird. Sie hält drauf, wenn der Friseur routiniert die modischen Frisuren der 70er Jahre kappt – ein symbolischer Akt der Gleichschaltung, der in den gespiegelten Gesichtern der jungen Männer mehr erzählt als jeder Kommentar.
Junge, der später durch sein Monumentalwerk „Die Kinder von Golzow“ Filmgeschichte schreiben sollte, beweist auch hier sein Gespür für den authentischen Moment. Er zeigt den schmerzhaften Abschied von Freundinnen und Familien am Kasernentor, die Tränen und die unsicheren Blicke. Doch er fängt auch den Humor ein, der oft die einzige Waffe gegen den stumpfen Drill ist. Wenn ein Rekrut fragt, ob das morgendliche Wecken denn unbedingt mit der schrillen Trillerpfeife geschehen müsse, blitzt für einen Moment die Absurdität des militärischen Alltags auf.
„Einberufen“ ist keine Anklage, aber auch kein Werbefilm. Es ist eine Beobachtung. Wir sehen den Frühsport, die Ausbildung am Schützenpanzer und das Einrichten der Stuben. Der Film konserviert die Atmosphäre einer Ära, in der die Militarisierung der Gesellschaft zum Alltag gehörte, und gibt den namenlosen Soldaten, die ihre Pflicht erfüllten, ein Gesicht. Für den heutigen Zuschauer ist es ein unverstellter Blick in die Realität der DDR-Jugend – jenseits von FDJ-Hemden und Parteitagsreden.