Stärker als Mauern: Wie Gabriele Zimnak den „Kühlschrank der Nation“ besiegte

Zwei Jahre Bautzen II, die gewaltsame Trennung von den Kindern und der Tod der Mutter in Haft: Gabriele Zimnak sollte im berüchtigsten Gefängnis der DDR zerbrechen. Doch in der absoluten Isolation fand sie eine Freiheit, die keine Mauer einsperren konnte.

Es gab Orte in der DDR, über die man nicht sprach. Bautzen II war einer davon. Wer hierhin verschwand, landete im „Kühlschrank der Nation“. Man nannte die Sonderhaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) auch das „Haus des Schweigens“. Es war eine Architektur, entworfen für einen einzigen Zweck: den Willen zu brechen. Gabriele Zimnak war eine dieser Gefangenen. Zweieinhalb Jahre verbrachte sie in diesem System der psychologischen Zersetzung. Ihr Verbrechen? Sie hatte offen ausgesprochen, was die Staatsführung als den ultimativen Verrat empfand: „Ich liebe dieses Land nicht, ich möchte dieses Land verlassen.“

Ein legaler Wunsch wird zum Staatsverbrechen
Die Tragödie der Familie Zimnak beginnt nicht mit einer kriminellen Handlung, sondern mit einem Recht. In der Schlussakte von Helsinki hatte die DDR ihren Bürgern das Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes zugesichert – ein diplomatischer Schachzug für internationale Anerkennung, der zur Falle für die eigene Bevölkerung wurde. Als Zimnak 1977 ihren Ausreiseantrag stellte, berief sie sich auf dieses Papier. Sie wollte kein politisches Manifest schreiben, sie wollte einfach nur ein selbstbestimmtes Leben für sich und ihre Kinder.

Doch der Staat antwortete nicht mit Stempeln, sondern mit Zermürbung. Zehn Jahre dauerte der Kampf gegen die Behörden, bis die Stasi im Jahr 1984 zuschlug. Der Anlass war so konstruiert wie perfide: Weil sie sechs Jahre zuvor einen Brief der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte beantwortet hatte, warf man ihr „landesverräterische Verbindungsaufnahme“ vor. Nicht, weil sie der DDR geschadet hatte, sondern weil sie ihr hätte schaden können. Es war die Justiz der Prävention: Bestraft wurde nicht die Tat, sondern die Gesinnung.

Die Inszenierung der Ohnmacht
Der Tag der Verhaftung illustriert die ganze Grausamkeit des Systems. Es war keine polizeiliche Maßnahme, es war ein Überfall auf eine Biografie. Gabriele Zimnak, die gerade erst eine Stelle in einer Krankenhausküche angetreten hatte, wurde abgeführt wie eine Schwerverbrecherin. Doch die Handschellen waren das geringste Übel.

Draußen warteten die Autos. Nicht nur für sie. Die Stasi hatte den Zugriff so getaktet, dass ihre beiden Kinder zeitgleich aus der Schule und der Krippe geholt wurden. Die Familie wurde atomisiert. Die Kinder verschwanden in staatlichen Heimen, der Wunsch der Mutter nach einer katholischen Unterbringung wurde ignoriert. Während Gabriele Zimnak in die Untersuchungshaft geworfen wurde, starb ihre Mutter an Krebs. Ein Abschied wurde ihr verwehrt. Innerhalb weniger Stunden hatte der Staat ihr alles genommen, was ihr Leben definierte: ihre Freiheit, ihre Kinder, ihre Mutter.

Widerstand im „Haus des Schweigens“
Bautzen II war in den 1980er Jahren kein Ort der physischen Folter mehr, sondern ein Labor der psychologischen Kriegsführung. Die Methoden waren subtil, aber verheerend. Als Zimnak im Hof einem Mithäftling heimlich ein Foto ihres Kindes zeigte, schlugen die Wärter zu. Die Strafe war pure Demütigung: Sie musste sich vor Wärterinnen und männlichem Personal nackt ausziehen. Das Foto wurde konfisziert. Es war eine Demonstration totaler Macht.

Doch genau hier, am Tiefpunkt der Erniedrigung, geschah etwas, womit die „studierten Psychologen“ der Stasi nicht gerechnet hatten. Gabriele Zimnak zerbrach nicht. Sie wurde zur juristischen Guerillakämpferin. Sie studierte die Anstaltsordnung, wies den Wärtern ihre eigenen Regelverstöße nach und erstritt sich das Recht auf eine katholische Zeitung. „Niemandem zu Kreuze kriechen“, das war ihr Mantra.

Der entscheidende Moment kam im Arrest. Eingesperrt in Dunkelheit und Kälte, beraubt aller persönlichen Gegenstände, erlebte sie keine Panik, sondern eine paradoxe Epiphanie. „Jetzt können sie mir nichts mehr wegnehmen und ich bin trotzdem innerlich frei“, erkannte sie. In der totalen Reduktion entdeckte sie ihre moralische Überlegenheit. Die Mauern konnten ihren Körper halten, aber nicht ihren Geist.

Gegen das Vergessen
Heute, Jahrzehnte nach ihrer Freilassung und der Ausreise in den Westen, trägt Gabriele Zimnak die Narben dieser Zeit noch immer. Jahrelang konnte sie keine Berge ansehen, weil sie die Landschaft an das Frauengefängnis Hoheneck erinnerte. Der Verlust ihrer persönlichen Erinnerungsstücke bei der Verhaftung führte zu einem fast zwanghaften Drang, alles im heutigen Leben fotografisch festzuhalten – aus Angst, es könnte wieder verschwinden.

Doch aus dem Trauma wuchs eine neue Stärke. „Ich bin stärker als die“, sagt sie heute. Als Zeitzeugin kämpft sie gegen die Verharmlosung der Diktatur. Filme wie „Sonnenallee“ oder „Goodbye, Lenin!“ sind für sie keine harmlose Unterhaltung, sondern eine Verzerrung der Realität. Die Stasi waren keine „dummen Jungs“, sondern Architekten der Zerstörung.

Gabriele Zimnaks Geschichte ist mehr als ein Häftlingsschicksal. Sie ist ein Mahnmal dafür, wozu ein Staat fähig ist, der seine Ideologie über die Menschlichkeit stellt. Und sie ist der Beweis dafür, dass man einem Menschen alles nehmen kann – außer seiner Haltung.