
Ein Irokesenschnitt, Sicherheitsnadeln im Ohr und der Wunsch nach „fetziger Musik“: Was im Westen als Modeerscheinung galt, wurde in der DDR zur Staatsaffäre. Ein Rückblick auf eine Jugendkultur, die eigentlich nur anders sein wollte – und durch die Härte des Regimes zum politischen Sprengstoff wurde.
Es ist eine Szene wie aus einem Agententhriller, doch für viele Jugendliche in der DDR der 1980er Jahre war sie Realität: Männer in langen Ledermänteln zerren einen jungen Mann in ein ziviles Auto. Sein Verbrechen? Er trägt die Haare bunt und eine Lederjacke. Sein Ziel? Ein Abrisshaus oder ein isolierter Verhörraum der Staatssicherheit.
Die Geschichte der Punks in der DDR ist nicht nur eine Geschichte über Musik. Es ist die Geschichte einer staatlichen Paranoia, die zur selbsterfüllenden Prophezeiung wurde. Erich Mielke, der Chef der Staatssicherheit, hatte die Punks zu „Hauptfeinden“ erklärt. Für die SED-Führung waren sie der sichtbare Beweis für „westliche Dekadenz“ und ein „Nagel, der am Fundament des Sozialismus nagt“.
Der „Kaltstart“ der Unterdrückung
Wer heute die Berichte von Zeitzeugen wie dem Autor und Ex-Punk Geralf Pochop liest, blickt in den Abgrund eines Überwachungsstaates, der auf kleinste Abweichungen mit maximaler Härte reagierte. Die Strategien waren perfide: Es begann mit der Kriminalisierung des Äußeren. Bis zu 500 Mark Strafe wurden fällig – nicht für eine Straftat, sondern für das bloße „Sichten“ als Punk in der Öffentlichkeit.
Doch es blieb nicht bei Geldstrafen. Die Stasi setzte auf Zersetzung. Jugendliche landeten in Vorbeugehaft, in Jugendwerkhöfen oder in Isolationszellen, die kaum breiter waren als sie selbst. Dort, ohne Zeitgefühl und oft nachts an die Wand gekettet, sollten sie gebrochen werden. Das Ziel: Die Rekrutierung als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) oder die vollständige psychische Zerstörung. Wer nicht kooperierte, wurde isoliert.
„Untergrund war Strategie“
Doch die Rechnung des Staates ging nicht auf. Statt die Bewegung zu ersticken, radikalisierte die Repression sie. Aus unpolitischen Teenagern, die anfangs nur aus der grauen Masse hervorstechen wollten, wurden überzeugte Staatsfeinde. Die Parole lautete: „Jetzt erst recht.“
Geralf Pochop beschreibt dies in seinem Buch „Untergrund war Strategie“ eindrücklich. Der Rückzug aus der Öffentlichkeit war keine Flucht, sondern ein taktisches Manöver. Wenn der Staat die öffentlichen Plätze sperrt, schafft man sich eben eigene. Die Punks bauten Netzwerke auf, produzierten anarchistische Untergrund-Fanzines wie den „Morning Star“ und organisierten sich jenseits der staatlichen Kontrolle.
Die Kirche als unerwarteter Verbündeter
Eine Schlüsselrolle spielte dabei paradoxerweise die Kirche. Orte wie die Evangelische Christusgemeinde wurden zu Inseln im totalitären Meer. Hier, im Schutzraum des Altars, fanden Punk-Festivals statt, während im Keller die Bands probten. Die Kirche bot eine Infrastruktur, die für die Stasi schwerer zu durchdringen war als die Straße. Hier wandelte sich der Protest: Aus „Nazischweine“-Rufen wurden „Stasi-Schweine“-Rufe. Die Forderung nach Demokratie wurde hier laut ausgesprochen, lange bevor sie die breite Masse der Bevölkerung erreichte.
Ein paradoxes Fazit
Die Ironie der Geschichte liegt darin, dass die Stasi mit ihrem brutalen Vorgehen genau jene politisch organisierten Gegner schuf, die sie fürchtete. Die Punkszene wurde zu einem Katalysator der Wendezeit. Sie schmuggelten Informationen, vernetzten Umwelt- und Friedensgruppen und ließen sich nicht mehr einschüchtern.
Geralf Pochop zieht heute ein überraschendes Resümee: Punk sei „das Beste, was ihm in der DDR passieren konnte“. Es war der Preis für ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung inmitten einer Diktatur. Ein Leben, das sich die Jugend trotz Zwangsexil, „Aktion 100“ und Gefängnis nicht nehmen ließ.
Buchtipp & Hintergrund:
Dieser Beitrag bezieht sich unter anderem auf die Erlebnisse von Geralf Pochop und seine multimediale Lesung zum Buch: „Untergrund war Strategie. Punk in der DDR: Zwischen Rebellion und Repression“
Ein Zeitzeugnis, das zeigt, wie aus buntem Haar politischer Widerstand wurde.