„Kooperative Koexistenz“: Modrows Modell für zwei deutsche Staaten

Als Hans Modrow am 17. November 1989 vor die Öffentlichkeit tritt, spricht ein Mann, der weiß, dass die DDR an einem historischen Scheidepunkt steht. Die starre Sprache der SED-Führung ist verschwunden, der Ton ist plötzlich nüchterner, tastender – ein Versuch, den Zerfall zu verwalten, ohne die Grundpfeiler des Systems preiszugeben. Modrow nennt den Wandel „unumkehrbar“, eine Formulierung, die in der DDR bis dahin nur der Gegner kannte. Doch während er den Umbau des politischen Systems ankündigt, hält er zugleich an der Idee eines reformierten Sozialismus fest. Die Regierung solle ein „kreatives politisches Bündnis“ sein, dem Volk verpflichtet, rechenschaftspflichtig, offen für Kritik. Es ist ein spätes Zugeständnis an den Druck der Straße – und an die Einsicht, dass sich die alte Machttechnik nicht mehr aufrechterhalten lässt.

Modrow bleibt dennoch ein Politiker der Zwischenzeit. Er erkennt an, dass die SED Fehler gemacht hat; gleichzeitig hält er an der Grundannahme fest, dass der Sozialismus erneuert, nicht abgelöst werden müsse. Die deutsche Einheit kommt in seiner Erklärung nicht vor. Für Modrow gibt es weiterhin zwei Staaten, verbunden durch Geschichte, Verantwortung und künftig – so seine Vision – durch eine „Vertragsgemeinschaft“. „Kooperative Koexistenz“ nennt er das Modell, das die Blockkonfrontation überwinden und dennoch die bestehenden Grenzen akzeptieren soll.

Während Modrow im Osten eine neue Sprache sucht, sondiert Bundeskanzler Helmut Kohl im Westen bereits die internationalen Linien. Noch am selben Tag spricht er mit US-Präsident George Bush senior. Die Formel heißt „Selbstbestimmung, aber sachte“. Keine Symbolpolitik, kein voreiliger Ruf nach Einheit, keine Bilder vom Abriss der Mauer. Zu fragil ist die Lage. Die Sowjetunion wankt, die Alliierten müssen behutsam einbezogen werden. Doch der Weg, der sich in diesen Tagen öffnet, deutet bereits in eine Richtung: Während Modrow die DDR stabilisieren will, wächst im Westen das Bewusstsein, dass die Dynamik kaum aufzuhalten ist.

Modrows Erklärung markiert damit einen historischen Moment zwischen Beharren und Aufbruch. Sie zeigt den Versuch einer Regierung, die Revolution zu moderieren – und zugleich ihre eigene Zukunft auszublenden.