Als im Sommer und Herbst 1989 Zehntausende DDR-Bürger über Ungarn und später über die Prager Botschaft gen Westen flohen, blieben nicht nur Wohnungen, Möbel oder Fotoalben zurück. Es waren vor allem die Autos – jene hart erarbeiteten Statussymbole der DDR –, die plötzlich herrenlos in Wäldern, an Feldwegen oder auf provisorischen Parkflächen standen. Für das Ministerium für Staatssicherheit wurde der Umgang mit diesen zurückgelassenen Fahrzeugen zu einer Aufgabe, die weit über simple Verwaltung hinausreichte.
In den Wäldern rund um Budapest bot sich Stasi-Mitarbeitern eine surreale Szenerie: Reihen von Trabants, Wartburgs und Škodas, teils überstürzt abgestellt, Nummernschilder noch montiert, Kofferräume halb offen. Rund 4.000 Fahrzeuge zählten die Einsatzkräfte allein in Ungarn. Unter ihnen Mitarbeiter wie Lothar Wenzel, der normalerweise NS-Kriegsverbrecher suchte – nun aber im Auftrag der Stasi Autos sichern sollte.
Die Aufgabe war streng organisiert. Jeder Wagen wurde inventarisiert, vom Kennzeichen bis zur letzten Schraube. Die Mitarbeiter notierten Werkzeuge, Spielzeug, Kleidung, sogar verdorbene Lebensmittel, die noch in den Kofferräumen lagen. Autobatterien wurden systematisch ausgebaut und in separaten Baracken gelagert – ein Hinweis darauf, dass die Verantwortlichen damals noch nicht ahnten, wie schnell das System kollabieren würde.
Neben der Logistik spielte das Ganze auch eine finanzielle Rolle. Viele Geflüchtete hatten ihre Fahrzeuge kurz vor der Flucht verkauft oder verschenkt; die neuen Besitzer meldeten Ansprüche an. Eine Rückgabe war möglich – aber nur gegen Zahlung der staatlich festgelegten Rückführungskosten, die teils über 5.000 Mark betrugen. Diese Gelder flossen direkt auf Konten der Stasi.
Zugleich spiegelte das Phänomen die ideologische Krise der spätsozialistischen DDR. Die Autos, für die man jahrelang gespart und gewartet hatte, wurden nun im Stich gelassen – ein sichtbares Zeichen für den Vertrauensverlust in den Staat. Intern versuchte die Stasi, diese Entwicklungen propagandistisch zu deuten, produzierte Schulungsfilme und agitatorisches Material, um die Fluchtwelle zu rechtfertigen oder kleinzureden.
Der Umgang mit den zurückgelassenen Autos war am Ende mehr als ein logistisches Problem. Er war ein organisatorischer Kraftakt, eine Einnahmequelle – und ein überraschend deutlicher Spiegel jenes Moments, in dem ein Land seine Bindung zu seinen Bürgern verlor.