Erich Honecker: Der Diktator, seine Geheimnisse und der Untergang einer Nation

Achtzehn Jahre lang stand Erich Honecker an der Spitze der Deutschen Demokratischen Republik – unscheinbar, unnahbar, undurchschaubar. Doch hinter der Fassade des Staatschefs verbarg sich ein Machtmensch, dessen Innerstes nur wenige kannten und der viel zu verbergen hatte. Nach der Wende wurde in den Tresoren der Stasi ein geheimnisvoller roter Koffer entdeckt, der brisante Details aus Honeckers Privat- und Berufsleben enthielt – Informationen, die seine Biografie „ein paar Kratzer abbekommen hätte“, wären sie früher an die Öffentlichkeit gelangt.

Frühe Jahre und umstrittener Widerstand
Honeckers revolutionäre Träume schienen bereits im Dezember 1935 zu scheitern, als der damals 23-Jährige in Berlin von der Gestapo verhaftet wurde. Als Mitglied der verbotenen KPD leistete er unter dem Decknamen Martin Thiaden Widerstand gegen Hitler. Obwohl er zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt wurde und sich später als unbeugsamer Kämpfer stilisierte, war seine Haftzeit offenbar nicht so heldenhaft. Er gestand einem Vertrauten, korrekt behandelt worden zu sein, nie geschlagen oder gefoltert.

Spätere Stasi-Gutachten im roten Koffer beleuchten diese Zeit kritisch: Während ein Gutachten ihn vollkommen entlastete, stellte ein anderes „sehr präzise fest“, dass einzelne Aussagen Honeckers in den ersten Gestapo-Verhören „durchaus geeignet waren, andere zu belasten“. Dieser Vorwurf hätte Honecker stark geschadet. Die Existenz zweier widersprüchlicher Gutachten war Teil einer Sicherungsstrategie des SED-Machtapparates, um Biografien führender Kader zu schützen oder Druckmittel in der Hand zu halten.

Eine weitere heikle Episode aus Honeckers Kriegszeit betrifft seine Flucht aus dem Frauengefängnis in der Berliner Barnimstraße, wo er Bombenschäden reparieren sollte. In seiner Not fand er Unterschlupf bei einer neun Jahre älteren Gefängniswärterin, Charlotte Chanuel, mit der er eine Affäre hatte. Dank ihrer Kontakte zur NS-Partei konnte Honecker straflos ins Gefängnis zurückkehren. Er heiratete Charlotte Chanuel nach Kriegsende, eine Tatsache, die er selbst Freunden gegenüber verschwieg und die als sein „größtes Geheimnis“ galt. Diese Ehe war aus vielerlei Gründen erstaunlich, da Charlotte „ein Rädchen im Nationalsozialistischen Repressionsapparat“ war und die Heirat erst 1946 stattfand, als Honecker bereits Vorsitzender der FDJ war.

Aufstieg zur Macht und private Turbulenzen
Nach dem Krieg ging es für Honecker steil bergauf. 1946 wurde er Vorsitzender der FDJ, der Jugendorganisation der Partei. Er war rhetorisch gewandt, durchsetzungsfähig und „außerordentlich charmant“. Doch sein Privatleben war turbulent. Vermutlich noch während seine erste Frau lebte, begann er eine Affäre mit Edith Baumann, seiner Stellvertreterin bei der FDJ. Obwohl er sie im Dezember 1949 heiratete, während sie schwanger war, kam er kurz darauf von einer Moskau-Reise mit einer neuen Geliebten zurück: Margot Feist, einer attraktiven, 15 Jahre jüngeren FDJ-Funktionärin.

Margot Feist, eine „unheimlich kluge Taktikerin“, hatte Honecker „voll im Griff“. Die Affäre sorgte für Unruhe in höchsten Kreisen. Edith Baumann kämpfte um ihren Mann und schrieb einen Brief an Honeckers Mentor Walter Ulbricht, um Margot kaltzustellen. Dieser Brief landete später in Mielkes rotem Koffer. Doch Honecker verließ Edith und heiratete Margot – die jugendliche Rivalin hatte gesiegt.

Honeckers Karriere schritt voran. Er war ehrgeizig und kampfbereit, was sich unter anderem bei den Weltfestspielen der Jugend 1951 zeigte, als er FDJler zu einem umstrittenen Marsch nach Westberlin anstachelte. Er hatte ein „sehr, sehr gutes Gefühl dafür, wo ist die Macht und wo kann ich für mich persönlich das Beste herausholen“. 1958 machte Ulbricht ihn zum Vollmitglied des Politbüros.

Honecker erwies sich als Ulbrichts loyaler Ziehsohn, der ihm 1961 „die Drecksarbeit abnehmen“ wollte, indem er den Bau der Berliner Mauer „logistisch, methodisch, organisatorisch durchgeführt“ hat. Das Leid der Menschen nahm er dafür in Kauf, denn die „Stabilisierung der DDR und die eigene Macht gehen vor“.

Der Sturz Ulbrichts und das Leben in der „Scheinwelt“
Als Ulbricht 1970 mit Reformforderungen irritierte und die Sympathien Leonid Breschnews verlor, nutzte Honecker die Gunst der Stunde. Er suchte den Kontakt zum Sowjetführer und bekam dessen Zustimmung für einen kalten Putsch. Im Mai 1971 zwang er Ulbricht zum Rücktritt als SED-Chef. Honecker war nun ganz oben, Staats- und Parteichef der DDR. Für ihn als „überzeugter Stalinist“ und „reiner Machtmensch“ bedeuteten alte Loyalitäten nichts mehr; er ging „kompromisslos“ und „über Leichen“.

Privat schottete sich Honecker zunehmend ab. In Wandlitz, der Wohnsiedlung des Politbüros, lebte er in einem Luxus, der in der DDR „echter Luxus“ war. Er hatte Diener, Köche und ließ sich sogar Brötchen täglich 300 Kilometer weit aus Wandlitz in den Urlaubsort liefern. Seine Frau Margot zeigte eine erschreckende Realitätsferne, als sie sich über lange Schlangen in Kaufhallen wunderte und die „Idiots im Handel“ schalt, weil sie die Leute nicht „ordentlich“ versorgten.

Die Ehe der Honeckers galt ab 1981 als zerrüttet. Der BND erfuhr von Affären Honeckers, und Stasi-Chef Mielke informierte Honecker sogar darüber, dass Margot „jahrelang ein Doppelleben geführt“ und „intime Beziehungen zu allen möglichen Leuten“ gehabt hatte. Trotz aller Krisen blieb das Paar zusammen, verbunden durch ihr „gemeinsames Lebenswerk“ und die Tochter Sonja. Honecker fand Ruhe bei seinen Enkelkindern Roberto und Mariana und erfüllte ihnen alle Wünsche, wie Spielzeug aus dem Westen.

Macht, Gewalt und der Höhepunkt seiner Karriere
Honecker setzte in der Politik auf Macht und notfalls Gewalt. Als 1980 in Polen die Solidarność gegründet wurde, ließ er geheime Pläne für eine Militärintervention ausarbeiten und probte im März 1981 mit dem Warschauer Pakt den Ernstfall – zur „Sicherung seiner Macht“ war er bereit, „bewaffnete Gewalt“ einzusetzen. Sein Auftreten nach außen war jedoch sorgfältig inszeniert. Bei Besuchen, wie dem von Helmut Schmidt 1981, präsentierte er sich „aufgekratzt“ und „berechnet“, um Normalität und Nettigkeit vorzutäuschen. Die Anerkennung durch das Westfernsehen war ihm besonders wichtig.

Der Höhepunkt seiner Macht schien 1987 erreicht, als er zum Staatsbesuch in die Bundesrepublik Deutschland reiste und von Bundeskanzler Kohl „mit allen Ehren“ empfangen wurde. In seinem saarländischen Elternhaus zeigte sich der „kühle Funktionär“ sentimental. Doch dort, in Wibelskirchen, unterlief ihm ein folgenschwerer Leichtsinnsfehler: Er sprach davon, dass Grenzen eines Tages „uns nicht mehr trennen, sondern Grenzen uns vereinen“. Diese Äußerung irritierte Genossen in Ostberlin und Moskau und markierte den Anfang vom Ende seiner Herrschaft.

Abstieg und uneinsichtiger Abschied
Ab 1988 ging es für Honecker bergab. Ein persönlicher Schicksalsschlag traf ihn im Januar 1988, als seine zweijährige Lieblingsenkelin Mariana an einer Virusinfektion starb, die durch Luftverschmutzung und verzögerte medizinische Hilfe verstärkt wurde. Dieser Verlust erschütterte ihn zutiefst und machte ihn „richtig, ganz stark behindert“. Auch seine Gesundheit verschlechterte sich, er wurde müde und starr, seine „sportliche Vitalität und fehlende Elastizität“ ließen nach.

Als 1989 die ungarischen Kommunisten die Grenze zum Westen öffneten, blendete Honecker die Realität aus und bezeichnete es als „grenzkosmetische Maßnahme“. Wenige Monate später brach er mit Gallenkoliken zusammen und musste operiert werden. Während er verwirrt und desorientiert im Krankenhaus lag, wurde eine Nachrichtensperre verhängt, und er bekam von den Demonstrationen im Land „nicht viel mit“. An Rücktritt dachte er nicht, es widersprach seinem Selbstverständnis als „KP-Chef eines kommunistischen Landes“.

Am 17. Oktober 1989, kurz nach den Feierlichkeiten zum 40. Geburtstag der DDR, wurde Honeckers Sturz im Politbüro beschlossene Sache. Stasi-Chef Mielke drohte ihm mit dem Auspacken, möglicherweise im Hinblick auf den roten Koffer. Honecker gab auf; sein „Kronprinz“ Egon Krenz wurde sein Nachfolger. Es war „der Fluch der bösen Tat“ – Honecker ereilte das gleiche Schicksal, das er einst Ulbricht bereitet hatte.

Schwerkrank an einem bösartigen Nierentumor, musste Honecker 1993 nach Chile ausreisen, wo seine Frau Margot auf ihn wartete. Bis an sein Lebensende im Mai 1994 hielt er starrsinnig an seiner Sicht der Dinge fest. Er zeigte bis zum Schluss „weder Reue noch Einsicht“ für die Toten an der Mauer oder das Leid, das er angerichtet hatte. In Deutschland blieb der rote Koffer zurück, der Gnadengesuche seines Vaters enthielt, die mit der Begründung abgelehnt wurden, Honecker sei ein „unbelehrbarer Anhänger des Kommunismus“ – darauf war er zeitlebens stolz.

Honecker war „ein Machtmensch, ein Diktator, der zuweilen joviale menschliche Züge zeigte“, sich aber „in eine Scheinwelt des erfolgreichen Sozialismus einspinnen“ ließ, die nichts mit der Realität zu tun hatte. Diese Realität sollte er bis zu seinem Tod nie begreifen.