Eisenbahnstraße Leipzig: Zwischen Wandel und Widerstand – Ein Viertel im Umbruch

Die Leipziger Eisenbahnstraße ist seit Langem ein Sinnbild für den Leipziger Osten. Lange Zeit hatte sie mit einem schlechten Ruf zu kämpfen und wurde oft auf ihre Problematik als Waffenverbotszone reduziert. Doch wie der Filmemacher Birg Poscker in seinem Film „Hütten sind für alle da“ aufzeigt, ist die Eisenbahnstraße weit mehr als das. Sie ist ein Ort voller vielfältiger Soziokultur, interessanter Menschen und spannender Projekte.

Vom Brachland zum begehrten Hotspot
Als Birg Poscker 2018 in den Leipziger Osten zog, war er fasziniert von der dortigen Vielfalt und dem Freiraum. Das Viertel, das lange Zeit brachlag und bis in die 2000er Jahre hinein noch viel Leerstand aufwies, zog mit seinen günstigen Preisen und der Möglichkeit, sich mit kleinen Läden, Cafés, Bars und Nachbarschaftsgärten auszuprobieren, junge, kreative Menschen an. Doch dieser Freiraum geht zunehmend verloren.
Die Eisenbahnstraße und der Leipziger Osten durchlaufen einen rasanten Wandel. Was einst von vielen als „zweites Berlin“ bezeichnet wurde, ist heute fast vollständig saniert. Die Freude über noch ursprünglich erhaltene Gebäude weicht der Realität einer umfassenden Durchsanierung, die erhebliche Veränderungen mit sich bringt.

Der Kampf um Wohnraum und Freiräume
Ein wiederkehrendes Thema in Posckers Dokumentation ist der Kampf um Wohnraum. Die Leidtragenden sind Menschen mit geringem Einkommen, aber auch Orte des Zusammentreffens, die nach und nach verschwinden. So manche Schauplätze, die Poscker in seinem dreijährigen Dreh begleitete, sind bereits gentrifiziert worden, andere sehen sich durch steigende Mieten bedroht. Das einst charmante „Goldhorn“, in dem gedreht wurde, ist heute ein „steriler Ort“ geworden. Der „Hitnesscub“ hingegen, an der Ecke Hermann-Liebmann-Straße/Eisenbahnstraße, bleibt ein Ort für Konzerte mit besonderer Stimmung.

Besonders deutlich wird der Druck durch die Spekulation mit unbebauten oder ungenutzten Flächen. Die „Prache“, eine bekannte Brachfläche im Leipziger Osten und sinnbildlich für das Viertel, wo sich Anwohner trafen und versammelten, ist ein Beispiel dafür. Obwohl die Stadt Leipzig bis zu einer Million Euro für das Grundstück bot, wurde sie immer wieder überboten. Zwischenzeitlich geplante Projekte wie ein Biergarten scheiterten an fehlenden Genehmigungen. Aktuell ist die Fläche wieder ungenutzt, doch langfristig wird auch hier ein Wohnhaus entstehen, „wenn sich’s wieder lohnt“.

Auch die Hausbesetzung in der Ludwigstraße 71 durch die Gruppe „Leipzig besetzen“ verdeutlicht den Widerstand gegen den Verlust von Freiräumen. Trotz der Solidarität von Anwohnern und Unterstützern ist das Haus fünf Jahre später immer noch unbewohnt und ungenutzt.

Gegen das Klischee: Authentische Geschichten zählen
Für Birg Poscker war es ein zentrales Anliegen seines Films, die einseitige Darstellung der Eisenbahnstraße zu widerlegen. Er wollte die Menschen, die dort leben, selbst zu Wort kommen lassen und das Viertel nicht auf Kriminalität reduzieren. Poscker kritisiert, dass Menschen mit Migrationsgeschichte oft erst dann thematisiert werden, wenn es Probleme gibt, obwohl der Großteil ihrer Geschichten „ohne Probleme“ und „toll“ ist. Es sei nicht schwer, diese Geschichten zu finden und zu zeigen, man müsse nur darüber berichten.

Der Filmtitel „Hütten sind für alle da“ ist inspiriert von einer Regel auf einem Bauspielplatz, den ein kleiner Junge mit Einwanderungsgeschichte den Zuschauern im Film zeigt. Die erste Regel des Bauspielplatzes lautet: „Hütten sind für alle da“. Diese Regel spiegelt das Kernanliegen des Films wider: Jeder soll zu Wort kommen.

Der Film „Hütten sind für alle da“ ist in den kommenden Wochen noch mehrmals im Sommerkino auf der Feinencoss, im Kassymuseum und im Conne Island zu sehen. Er bietet einen tiefen Einblick in ein Viertel, das sich zwischen seinem Ruf, seiner rasanten Entwicklung und dem beharrlichen Geist seiner Bewohner behauptet.

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