Zwischen Rostock und Suhl war er mehr als nur ein Getränk: der Schnaps der DDR. Er war ein Stück Alltag, ein Begleiter durch Freud und Leid, ein Ritual. Heute sind viele dieser Spirituosen fast vergessen, doch einige feiern eine stille Rückkehr und werden heimlich wieder zum Kultgetränk. Sie erzählen Geschichten von Planwirtschaft und Pioniergeist, von festen Feiern und harten Zeiten. Tauchen wir ein in die Welt der unvergesslichen Ost-Spirituosen.
Der verlässliche Begleiter: Nordhäuser Doppelkorn und Goldbrand
Der Nordhäuser Doppelkorn war eine Institution. Er stand auf Familientreffen neben dem Sahnekuchen und war Pflicht beim Frühshoppen. Mit 38% Alkohol war dieser klare, ehrliche Tropfen nicht extravagant, sondern einfach immer da, verlässlich produziert vom VEB Nordbrand in Nordhausen. Er war kein Partyschnaps, sondern ein Ritual, das selbst auf Trauerfeiern nicht fehlen durfte. Sein direkter, schroffer Geschmack hatte Charakter, und er überlebte die Wende als eine der wenigen Ostmarken. Heute gehört er zu Rotkäppchen Mumm und wird noch immer gebrannt, fast wie damals schmeckend, weil er sich nie verstellen wollte.
Wer den Doppelkorn zu stark fand, griff zum Nordhäuser Goldbrand. Auch als „14 Mark 50er“ bekannt, war dieser Verschnitt aus Weinbrand und neutralem Alkohol mil süßer und gefälliger. Er war die flüssige Gewohnheit für alle Lebenslagen, sei es in der Kneipe, auf Gartenpartys oder im Altbauflur. Seine Verfügbarkeit und Versorgungssicherheit waren entscheidend, nicht der Hochgenuss. Hergestellt unter anderem von VEB Bärensiegel Berlin, schmeckte er fast überall gleich – ein Zeichen der Planwirtschaft. Auch er hat überlebt und steht heute noch unter Namen wie Goldkrone im Regal, ein Symbol der Sehnsucht nach einer einfachen Zeit.
Vom Werkzeug zur Erinnerung: Kristall Wodka, Saschenka und Solotov
Der Kristall Wodka, oft „der blaue Bürger“ genannt, war kein Freund, sondern ein Werkzeug. Mit 40% und einem scharfen, direkten Geschmack zielte er auf schnelle Wirkung. Er war billig und absichtlich so konzipiert, eine „Planerfüllung in flüssiger Form“ oder ein „Grundnahrungsmittel mit Nebenwirkung“. Man fand ihn überall, vom Spind auf dem Bau bis zum FDJ-Zeltlager. Heute ist er selten, eine Erinnerung an harte Zeiten oder ein Symbol eines Systems, das seine Menschen eher dämpfen als ihnen zuhören wollte.
Die Wodkas Saschenka und Solotov waren die verlässlichen Nebendarsteller. Sie standen im Schrank neben dem Goldbrand, wurden auf Betriebsfeiern und Geburtstagen getrunken. Saschenka klang russisch und trug eine sowjetische Aura, während Solotov aus Wilden stammte. Beide verkörperten die Handschrift der Planwirtschaft: verlässlich, neutral, unnachgiebig. Sie waren der Versuch, Stil innerhalb des Systems zu behaupten, doch nach der Wende verschwanden sie fast vollständig.
Farbenfrohe Rebellion und stiller Genuss: Pfeffi und Kristall Angelique
Der Pfeffi war anders. Grün wie Leuchtmoos, süß wie Kindheit, scharf wie Menthol – er war der Rebell in grüner Flasche. Besonders bei Jugendlichen beliebt, wurde er heimlich hinter dem Schulgarten getrunken. Nach der Wende fast verschwunden, wurde er von Hipstern neu entdeckt und ist heute Kult, ironisch oder ernsthaft in Bars zwischen Gin und Rum serviert. Er hat sich nicht angepasst, was ihn so besonders macht.
Die Kristall Angelique war das genaue Gegenteil: kein Getränk für nebenbei, sondern ein Anlass, ein Moment der Eleganz. Dieser bernsteinfarbene Kräuterlikör aus dem VEB Bockau im Erzgebirge war sanft verpackt in einer filigranen Flasche. Mit ihrem leicht kräuterigen Geruch und dem Hauch von Blume war sie ein Geschenk für besondere Anlässe, für die Kaffeetafel oder die Frauenrunde am Sonntagnachmittag. Sie war nicht nur ein Likör, sondern ein stilles Fest, das heute meist nur noch in der Erinnerung existiert.
Die harte Realität und das Nischengetränk: Kumpeltod und Mampe Halb und Halb
Eine der bittersten Geschichten erzählt der Kumpeltod. Offiziell „Trink Brandwein für Bergleute“, war dieser klare, scharfe Brandwein ein Sonderposten für die Bergarbeiter der DDR, bis zu 6 Liter im Monat. Sein Spitzname „Kumpeltot“ war bitter: „Kumpel“ als Ehrentitel im Bergbau, „tot“ als Preis für den Alkohol, der sich wie der Staub in die Knochen fraß. Er war kein Genuss, sondern Routine und oft eine Flucht vor der harten, lebensgefährlichen Arbeit unter Tage. Der Kumpeltod ist heute vollständig verschwunden und bleibt eine Mahnung an eine Zeit, in der Alkohol Teil des Systems war und viele keine Wahl hatten.
Mampe Halb und Halb war ein Statement. Mit seiner unverwechselbaren Flasche, die zwei Kammern – eine bernsteinfarben, eine fast schwarz – enthielt, mischten sich Süße und Bitterkeit erst im Glas. Er war ein Getränk für Menschen, die lieber schwiegen als brüllten, ein Nischengetränk in einer Welt der Normierung. Auch im Westen gab es Mampe, doch im Osten hatte er ein anderes Gewicht, eine greifbare Verbindung zwischen zwei Systemen. Nach kurzer Verschwundenheit wurde er wiederbelebt und steht heute mit Retroetikett in Bars.
Der Basteldrink und der Kräuterlikör mit Seele: Grüne Wiese und Röhntropfen
Die Grüne Wiese war keine Fertigmischung, sondern eine Idee: ein Cocktail aus Blue Curaçao, Orangensaft und Sekt. Sie war ein „sozialistischer Basteldrink mit Charme“, grellgrün und künstlich, aber genau darin lag ihr Reiz. Ein Getränk für Feste, das die Tanzfläche eroberte und aus wenig viel machen konnte. Sie verschwand nach der Wende, tauchte aber auf Ostpartys und in Szenebars wieder auf – heute ist sie Kult und ein Stück Hoffnung.
Der Röhntropfen, ein Kräuterlikör mit Seele, wurde in Meiningen im Thüringer Wald hergestellt. Dunkel, zähflüssig, würzig – er war ein Getränk für ruhige Momente, wenn der Tisch abgeräumt war und die Stimmung ruhig wurde. Er wollte nicht allen gefallen, nur den richtigen. Auch er geriet fast in Vergessenheit, erlebt aber heute eine stille Rückkehr in ausgewählten Läden.
Diese Spirituosen waren mehr als nur Alkohol; sie waren Spiegel der Gesellschaft, des Alltags und der Träume in der DDR. Sie waren wie die Notizbücher einer Epoche, in denen jede Flasche ein Kapitel über das Leben schrieb – manche laut und deutlich, andere leise und nachdenklich, aber alle mit unvergesslichem Nachhall.