Einblicke in die psychologische Kriegsführung der Stasi in Hohenschönhausen

Berlin-Hohenschönhausen war kein gewöhnliches Gefängnis, sondern ein Ort der „Zersetzung der Seele“. Hartmut Richter, einer der Zeitzeugen und Betroffenen, berichtet von seiner Inhaftierung und den perfiden Methoden des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), die darauf abzielten, die Persönlichkeit von Häftlingen zu zerstören und sie zu brechen. Seine Erlebnisse, beginnend mit seiner Verhaftung 1975, zeichnen ein beklemmendes Bild dieser „operativen Methode“ der Stasi.

Der Beginn der Alptraums: Eine plötzliche Verhaftung
Die Verhaftung erfolgte ohne Vorwarnung: Im Februar 1963 wurde Hartmut Richter morgens auf dem Weg zu seiner Dienststelle von zwei Männern angesprochen. Noch bevor er seinen Ausweis zeigen konnte, packten sie ihn, drückten ihn in eine schwarze Limousine und brachten ihn nach Berlin-Lichtenberg, Magdalenenstraße. Richter, der sich zu diesem Zeitpunkt noch als unschuldig ansah, hoffte, dass sich die Angelegenheit schnell klären würde – vielleicht nur eine Einschüchterung, ein „Schuss vor den Bug“. Nach 22 Stunden in Berlin-Lichtenberg wurde er in einem dunklen Transportwagen an einen unbekannten Ort gebracht, der sich später als Berlin-Hohenschönhausen herausstellte. Dort angekommen, wurde er sofort entwürdigt: „Sie sind die Nummer 48, merken Sie sich das“, brüllte ein Wärter, und von diesem Zeitpunkt an wurde er nur noch mit dieser Nummer angesprochen.

Entmenschlichung und totale Kontrolle
Die Ankunft in Hohenschönhausen war der Beginn einer systematischen Entmenschlichung. Gefangene mussten sich entkleiden, und jede Körperöffnung wurde inspiziert. Die Zellen waren fensterlos oder hatten nur „zwei Reihen Glasziegel, dazwischen einen Spalt“, was das Atmen erschwerte. Persönliche Dinge gab es nicht, und jegliche Form der Beschäftigung, wie Lesen, Schreiben oder das Recht zu liegen oder zu sprechen, war während der Untersuchungshaft untersagt. Informationen von außen drangen nicht ein, und Informationen nach außen gelangten nicht hinaus. Die Wärter, speziell geschultes Personal, die sich als „Schild und Schwert der Partei der Arbeiterklasse“ verstanden, hatten die Aufgabe, die Gefangenen zu dominieren und zur Unterordnung zu zwingen.

Die Überwachung war allgegenwärtig und total:
• Ständige Beobachtung: Überall waren Kameras, und Posten sahen mit einem Auge durch einen Spion in die Zellen.
• Schlafentzug als Folter: Fluoreszierende Röhren im Flur und Lampen über den Türen sorgten dafür, dass es nie wirklich dunkel wurde. Die Posten kontrollierten die Zellen alle paar Minuten, was ein „permanenter Schlafentzug auch eine psychische Folter“ war.
• Geplante Isolation: Es war untersagt, anderen Gefangenen zu begegnen. Selbst Unkraut wurde entfernt, damit Häftlinge kein Grün zu Gesicht bekamen. Diese Isolation führte bei Hartmut Richter dazu, dass er nach seiner Freilassung Kreislaufbeschwerden bekam, wenn er versuchte, „weit zu schauen“.

Psychologische Kriegsführung: Die Methode der „Zersetzung“
Die Stasi nutzte das, was sie „Zersetzung“ nannte – eine „operative Methode zur wirksamen Bekämpfung subversiver Tätigkeit“. Das Ziel war es, „feindlich negative Einstellungen und Überzeugungen“ von Zielpersonen zu erschüttern und zu verändern, um „Zersplitterung, Lähmung, Desorganisierung und Isolierung feindlich negativer Kräfte“ zu erreichen. Dabei setzten sie an der „schwächsten Stelle“ an, um eine „Kettenreaktion“ auszulösen.

Zu den perfiden Methoden gehörten:
• Induktion von Schuldgefühlen: Vernehmungen zielten darauf ab, den Gefangenen einzureden, dass sie gegen Gesetze der DDR verstoßen und sich schuldig fühlen müssten.
• Manipulation und Demütigung: Vernehmer nutzten vielfältige Taktiken – freundlich, schmeichelnd, witzig, gehässig – um Gefangene zu verunsichern und zum Reden zu bringen. Es ging darum, „Bedingungen gestellt, die du zu erfüllen hast“, wie die Bitte um eine Zigarette, um „Devotion Unterordnung Zweck Verhalten zu erreichen“. Sie wollten sehen, ob man bereit war, sich zu demütigen.
• Zerstörung der Orientierung: Richter erfuhr an seinem Geburtstag, 14 Tage nach seiner Verhaftung, beiläufig, dass sein Ehemann ebenfalls in Haft sei und es ihm „wesentlich besser“ ginge, was darauf abzielte, ihn „eifersüchtig zu machen“ und „Stimmung“ in ihm zu erzeugen. Die Stasi wollte „eine Orientierung zerstören“ und „den eigenen Menschen Wert… zweifelhaft erscheinen“ lassen.
• Das Spiel mit der Hoffnung: Die Stasi spielte gezielt mit der Hoffnung der Gefangenen. Die Aussage „Dein Feind heißt Hoffnung Amnestie Entlassung vielleicht schon morgen er will dich fertig machen du sollst hoffen enttäuscht werden und zerbrechen“ fasst diese Strategie zusammen. Hartmut Richter wurde nach drei Wochen Isolation das Angebot gemacht, seinen Sohn in Westberlin zu besuchen – unter der Bedingung, dass er einem „unbekannten Studenten zur Flucht verhelfen“ sollte, was er als potenzielle Beihilfe zu einer Entführung erkannte und ablehnte.

Die Rolle der „inoffiziellen Mitarbeiter“ (IM)
Ein besonders erschütternder Aspekt war der Einsatz von „inoffiziellen Mitarbeitern“ (IMs) im Gefängnis selbst. Dies waren Gefangene, die sich „verpflichtet hatten, wieder gut zu machen“, in der Hoffnung auf Vorteile oder vorzeitige Entlassung. Sie wurden in „wohnzimmerähnlich eingerichteten“ Zellen untergebracht, bekamen Kaffee und Kuchen und schrieben Berichte über ihre Mitgefangenen. Die Stasi baute „vertrauliche Beziehungen“ auf, bei denen der IM Vertrauen vortäuschte, während er die Zielperson aushorchte. Richter selbst erfuhr viel später, dass seine Zellen-Nachbarin, die Privilegien wie Liegeerlaubnis und heimliche Verpflegung genoss, eine solche IM war. Dies führte zu einem tiefen Misstrauen und dem Verlust von Freundschaften nach der Wende.

Widerstand und die „imaginäre Mauer“
Trotz der extremen Bedingungen suchten die Gefangenen Wege, sich abzulenken und Widerstand zu leisten. Hartmut Richter baute „diese imaginäre Mauer um mich gebaut und dann ging nichts mehr vor nichts mehr zurück“, wenn es „ganz dick“ wurde. Eine andere Methode war das simulierte Schreiben auf Tischplatten, um Gedanken zu Ende zu denken und Gefühle zu beschreiben, auch wenn es nicht sichtbar war. Richter formulierte Gedichte und reproduzierte diese im Kopf.

Nach der Haft: Unsichtbare Wunden und die Suche nach Antworten
Nach 5 Jahren und 6 Monaten wurde Hartmut Richter 1980 im Rahmen des „Freikaufs“ nach Westberlin entlassen. Doch die Befreiung war nicht das Ende der Geschichte: Die Stasi observierte ihn und seine Familie weiterhin. Er erfuhr später aus seiner Stasi-Akte, dass er als „feindlich negatives Objekt“ eingestuft und sogar eine „Maßnahme planen Vorfahren aus dem hervorging das liquidieren im Sinne von umbringen“ für 1984 erwogen wurde. Diese Erkenntnis, dass er die Stasi unterschätzt hatte, schockierte ihn zutiefst.

Die Erfahrungen in der Haft hinterließen tiefe, oft unsichtbare Spuren:
• Misstrauen und Bindungsängste: Hartmut Richter beschreibt „dieses Misstrauen da dieses Schreckens abschicken weiß jetzt Bindungsängste“.
• Psychische Nachwirkungen: Das „Verhärten“ und „Verbittern“ sind dauerhafte Gefahren, wie ein Gedicht im Video beschreibt.
• Umgang mit der Vergangenheit: Hartmut Richter sucht bis heute das Gespräch mit seinem ehemaligen Vernehmer, der jedoch „mauert“. Er möchte „in Augenhöhe“ reden, aber die „Feigheit“ der Täter frustriert ihn.

Der Fall von Jürgen Fuchs, einem Schriftsteller und Psychologen, der 1976 wegen „staatsfeindlicher Hetze“ inhaftiert und nach neun Monaten Haft nach Westdeutschland abgeschoben wurde, unterstreicht die extremen Maßnahmen der Stasi. Fuchs starb 1999 mit nur 48 Jahren an einer seltenen Form von Leukämie und äußerte vor seinem Tod den Verdacht, im Gefängnis radioaktiv bestrahlt worden zu sein. Obwohl der Umgang der Stasi mit radioaktiven Substanzen nachgewiesen wurde, konnte eine Tötungsabsicht durch Bestrahlung nicht bewiesen werden.

Das Erbe der Zersetzung
Die „Zersetzung der Seele“ war eine subtile, aber verheerende Form der Gewalt, die auf den Intellekt zielte, um Individuen „unschädlich zu machen“. Sie wirkt lange nach der physischen Freilassung und prägt das Leben der Überlebenden. Es ist ein stilles Trauma, dessen „Spuren auf der Seele“ auf den ersten Blick unsichtbar sind. Diese Methoden erinnern daran, wie ein Baum, der unsichtbar unter der Erde Schaden nimmt, seine Früchte oder sein Wachstum beeinträchtigt sieht, selbst wenn er oberirdisch gesund erscheint. Die Zersetzung zielte darauf ab, die Wurzeln der Persönlichkeit zu untergraben.

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