Es war ein ganz normaler Mittwochmorgen, der 2. November 1988, als sich das Leben in Löbau schlagartig veränderte. Was als routinierte Schulfahrt begann, endete in einem dramatischen Busunglück auf der Brücke der Jugend, das die ganze DDR in Atem hielt. Doch inmitten des Chaos und der Zerstörung zeigte sich ein unglaubliches Maß an Zivilcourage und Hilfsbereitschaft, das als „Wunder“ in die Geschichte Löbaus eingehen sollte.
Ein folgenschwerer Morgen Jeder, der nach Löbau wollte, musste damals über die Brücke der Jugend – so auch der Schulbus, der jeden Morgen Kinder einsammelte, die in die Stadt mussten. An diesem verhängnisvollen Tag hatte der Busfahrer, dem es nicht gut ging, dennoch seinen Dienst angetreten – eine folgenschwere Entscheidung. Schüler wie Christin, Tommy und Adam Böhm waren auf dem Weg zur Schule, ohne zu ahnen, welche Gefahr über ihnen schwebte.
Der Bus erreichte die Brücke der Jugend und geriet in einen Stau. Plötzlich bemerkten Augenzeugen, dass der Fahrer zusammensackte. Obwohl er sich kurz wieder aufrappeln konnte und der Bus sich ein letztes Mal in Bewegung setzte, verlor er die Kontrolle. Die Betonmauern der Brücke konnten den Schulbus nicht aufhalten; er stürzte in die Tiefe.
Chaos und schnelle Hilfe Das Bild, das sich den Ersthelfern bot, war verheerend: Der Bus hatte sich einmal überschlagen und lag auf dem halben Dach, im Buschwerk, das seinen Aufprall glücklicherweise abbremste. Unmittelbar an der Unfallstelle lag die Entbindungsstation, deren Personal sofort die Rettungskräfte alarmierte.
„Was ist hier passiert? Hier muss ja ein ganz schlimmes Unglück passiert sein!“ – Gedanken, die vielen durch den Kopf gingen, darunter auch Ulrich Pilz, der auf dem Weg zur Arbeit Zeuge des Unglücks wurde. Er stellte seine Aktentasche ab und eilte die Treppen hinunter zur Unfallstelle. Schon nach wenigen Minuten waren fünf bis sieben Menschen vor Ort, die die ersten Kinder aus dem Wrack befreiten. Auch der Busfahrer wurde leicht verletzt gerettet.
Ein Kampf gegen die Zeit Im Inneren des Busses herrschte unglaubliches Chaos, Schreie von Kindern, die unter Schock standen oder Schmerzen hatten. Notarzt Dr. Wolfram Dunger, der an diesem Morgen Dienst hatte, beschrieb den Anblick als „furchtbar“. Über 20 Kinder waren im Bus. Leicht verletzte Kinder wurden im Speiseraum der Entbindungsstation von Ärzten und Pflegepersonal versorgt.
Besonders dramatisch war die Rettung von Christin Böhm, Adams Schwester. Sie war durch das Trudeln des Busses mit dem Kopf hinter eine Stange im Brustbereich eingeklemmt und wurde von Minute zu Minute schwächer, bekam kaum noch Luft. Ulrich Pilz und weitere Helfer kämpften verzweifelt gegen die Zeit. Werkzeuge wurden in Sekundenschnelle herbeigeschafft – ein Brecheisen, dann ein Schraubenschlüssel. Doch das verbogene Material war extrem schwer zu bewegen.
Christin wurde bereits blau im Gesicht, ihr Blutdruck sank rapide. Ein Unfallhelfer von der DAK rief zur Eile auf: „Beeilt euch, beeilt euch, der Blutdruck sagt ab!“. Es war ein nervenaufreibender Kampf gegen Angst und Zittern, doch schließlich gelang es, die Stange zu entfernen. Christin bekam wieder Luft und wurde schnell und vorsichtig aus dem Wrack gehoben.
Das Wunder von Löbau Christin Böhm war eines von insgesamt sechs schwer verletzten Kindern; sie musste beatmet werden und hatte einen Schock, aber glücklicherweise war nichts gebrochen. Viele Kinder überstanden den Unfall mit nur leichten Blessuren. Das Unglaubliche: Alle Insassen überlebten den Unfall!. Es traten später auch keine schwerwiegenden Komplikationen bei den Kindern auf.
Ulrich Pilz kehrte nach dem Einsatz zu seiner auf der Brücke zurückgelassenen Aktentasche zurück, die er erstaunlicherweise unberührt vorfand. Auf Arbeit angekommen, musste er sich erst einmal beruhigen.
Die Menschen in Löbau und darüber hinaus waren tief bewegt. Die Zeitungen in der ganzen DDR berichteten über das Ereignis. Am Tag darauf stand der Dank für die schnelle Hilfe in der Zeitung. Das Unglück auf der Brücke der Jugend ist bis heute ein Symbol für die außerordentliche Hilfsbereitschaft und den Zusammenhalt in Löbau, ein „Wunder“, an das man sich noch lange erinnern wird.