Im Oktober 1987 war die Karbidfabrik innerhalb des VEB Chemische Werke in Schkopau ein lebendiges Zeugnis des komplexen Zusammenspiels von Tradition, Fortschritt und harter Realität. Diese 50 Jahre alte Anlage, strategisch entscheidend für die Produktion von Kunststoffen, Chemiefasern und sogar Autoreifen, stellte Karbid her, indem Kohle und Kalkstein bei extremen Temperaturen von rund 2000 Grad Celsius geschmolzen wurden.
Strategische Bedeutung und ökonomisches Paradox
Siegfried Richter, Leiter der Karbidproduktion, hob die strategische Entscheidung hervor, organische Kohlenwasserstoffe für Buna auf Karbid- statt Erdölbasis zu erzeugen. Dieser Ansatz sicherte die Unabhängigkeit von entscheidenden Rohstoffimporten und nutzte heimische Ressourcen, was angesichts der jährlich für fünf bis sechs Millionen Tonnen Erdölimporte ausgegebenen Millionen von Dollar eine erhebliche wirtschaftliche Entlastung bedeutete. Richter räumte jedoch ein, dass diese Produktionsweise nicht unbedingt ökonomisch sinnvoll war.
Hochdruckproduktion und herausfordernde Bedingungen
Die Fabrik arbeitete rund um die Uhr in 12-Stunden-Schichten, wobei zwölf Öfen jährlich etwa eine Million Tonnen Karbid produzierten. Dieser immense Ausstoß benötigte mehr als das Zwölffache des Energieverbrauchs der Stadt Halle. Die Arbeit war berüchtigt schwer, was sich im Sprichwort „Wer einen Sommer im Karbid durchhält, der bleibt“ widerspiegelte. Erfahrene Arbeiter wie Franz Assakes, ein gelernter Schlosser mit über zwei Jahrzehnten Erfahrung in der Fabrik, verglichen die Arbeit am Ofen mit der Nähe zu einem Vulkan und waren einfach froh, gesund nach Hause zu kommen. Jüngere Arbeiter wie Olaf und Siebert, ausgebildete Chemiefacharbeiter und Jugendbrigadiere, bedienten bereits modernere, vollgeschlossene Öfen.
Investitionsstau und Umweltbedenken
Nachdem die Fabrik in den 1960er und 70er Jahren „auf Verschleiß gefahren“ wurde, da Erdöl zum primären Rohstoff der chemischen Industrie aufstieg, stand sie nun vor dringenden Investitionsnotwendigkeiten. Ein langfristiger Entwicklungsplan für die Karbidproduktion über das Jahr 2000 hinaus existierte, doch die Kosten waren immens; der Bau nur eines neuen Ofens würde 150 Millionen Mark kosten.
Die Umweltbelastung war ein drängendes Problem. Die Staubbelastung für die Arbeiter an den Öfen war „abnormal“ und betraf nicht nur sie, sondern auch Passanten an Bushaltestellen. Obwohl bereits eine Schwadenleitung zur Entstaubung installiert war, sollte eine für 1993 geplante Filteranlage eine deutliche Reduzierung der Umweltbelastungen bewirken. Eine wirksame biologische Kläranlage war in Betrieb, aber weitere Maßnahmen zum Schutz des Saale-Wassers waren erforderlich. Modernisierungsversuche, wie eine automatische Abstichvorrichtung, hatten sich als unzuverlässig erwiesen, und erhebliche Investitionen wurden immer wieder verschoben. Die Fabrik hinkte bei der Anwendung von Schlüsseltechnologien für die Produktherstellung deutlich hinterher.
Der Mensch im Mittelpunkt
Ein großes Problem war der Arbeitskräftemangel, der zu umfangreichen Überstunden führte. Der allgemeine Rückgang der Arbeitskräfte in der DDR, gepaart mit dem Versäumnis, frühzeitig auf personalintensivere, automatisierte Technologien umzustellen, schuf eine schwierige Situation für die Werksleitung.
Arbeiter wie Olaf und Siebert sahen sich anspruchsvollen Quoten gegenüber, mit 22 Abstichen pro Schicht. Es war schwierig, den eigenen Beitrag zum Gesamtergebnis innerhalb eines so großen Betriebs zu erkennen, und zahlreiche „Störgrößen“ beeinflussten ihre Arbeit. Die Leitung betonte die Bedeutung des individuellen Einfallsreichtums zur Überwindung dieser Hindernisse und erklärte: „Wenn das nämlich nicht so wäre, dann könnten wir Roboter einsetzen.“ Viele Arbeiter kamen aus verschiedenen Berufen zur Karbidfabrik, und Franz Assakes bemerkte, dass viele, denen die Arbeit am Abstich zu schwer war, schnell wieder gingen. Diejenigen, die blieben, waren stolz auf ihre anspruchsvolle Arbeit.
Trotz des Wunsches nach technologischen Verbesserungen herrschte Frustration über langsame Veränderungen und unzureichende Schulung, um die größeren Zusammenhänge ihrer Arbeit zu verstehen. Diskussionen drehten sich oft darum, wie Mitarbeiter ihre Anliegen vorbringen konnten, insbesondere in Anwesenheit von Parteifunktionären.
Zukunftsperspektiven und persönliche Entscheidungen
Trotz aller Härten zeigte sich eine tiefe Verbundenheit der Mitarbeiter mit dem Werk. Siegfried Richter, der Abteilungsleiter, der ursprünglich nur zwei Jahre bleiben wollte, hat sich schließlich für seine Karriere entschieden und erklärte: „Ich bleibe hier, bis sie mich mal im Sarg wegfahren oder rausschmeißen.“ Die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft, einschließlich einer größeren Wohnung und eines zweiten Kindes für ein junges Paar, das aus Halle Neustadt hierher gezogen war, verdeutlichten die persönlichen Einsätze trotz der unsicheren Aussichten.
Die Karbidfabrik in Schkopau blieb somit ein ergreifendes Beispiel für die komplexe Beziehung zwischen Ökonomie, Ökologie und wissenschaftlich-technischem Fortschritt. Es war ein Ort, an dem die Forderung nach zielgerichteten Investitionen auf die Möglichkeiten einer schnellen Realisierung traf und wo trotz aller Widrigkeiten Männer ihre schwere tägliche Arbeit verrichteten, im ständigen Kampf mit Staub, Hitze und der bleibenden Hoffnung auf eine bessere Zukunft.