Der Saporoschez, einst ein schlichtes sowjetisches Auto für die Massen, hat sich zu einem kraftvollen Symbol der ukrainischen Identität und des Widerstands im Krieg gegen Russland entwickelt. Als Relikt vergangener Zeiten verkörpert dieser billige Kleinwagen heute Kultstatus und ist zugleich ein Politikum, das die Herzen vieler erobert hat. Er schlägt eine Brücke zwischen der Ukraine und Europa und repräsentiert den unerschütterlichen Optimismus eines Landes im Kampf um seine Unabhängigkeit.
Ein Auto für das Volk, geboren in der Ukraine
Die Geschichte des Saporoschez beginnt in der Ukraine, als das Land noch Teil der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken war. Im Jahr 1960 rollte der erste SAS 965 in der SAS-Fabrik in Saporischschja vom Band. Der damalige Ministerpräsident der Sowjetunion, Nikita Chruschtschow, hatte den Befehl gegeben, ein günstiges Auto zu entwickeln, um die Mobilität der Massen zu ermöglichen. Die SAS-Werke in Saporischschja waren die ideale Wahl, da sie bereits 1923 ihr technisches Know-how mit dem ersten Traktor für die Sowjetunion unter Beweis gestellt hatten und ab 1930 erfolgreich Getreidemähdrescher in Massenfertigung produzierten. Zwischen 1966 und 1994 wurden mit den Modellen SAS 966 und 968 fast 3,5 Millionen Autos in Saporischschja produziert. Die Ukraine galt zu Sowjetzeiten als das „technische Herz der Sowjetunion“.
Ingenieurskunst in einer „einfachen Kiste“
Trotz seines Erscheinungsbildes als „einfache Kiste“ steckt im Saporoschez eine Menge cleverer Technik, die von Ingenieuren und nicht von Buchhaltern entworfen wurde. Er wurde als preisgünstiges Sparauto konzipiert, das paradoxerweise teuer in der Produktion war, da es keine Einschränkungen gab, die die Kreativität der Ingenieure bremsten.
Besondere Merkmale sind der Motor im Heck, der angeblich ursprünglich als Panzeranlassmotor entwickelt wurde. Er verfügt über v-förmig angeordnete Zylinder in einem Magnesiumgehäuse. Ungewöhnliche Details umfassen einen Ölbadluftfilter, der nie gewechselt, sondern nur gereinigt werden muss, sowie eine Ölzentrifuge anstelle eines Ölfilters. Diese Merkmale machen das Fahrzeug sehr nachhaltig, da keine Filter im Müll landen.
Fahreigenschaften des Saporoschez sind oft überraschend: Er fährt sich „wie ein Rolls-Royce“ und hat das Handling eines „kleinen Baby Porsche“ mit 40 PS im Heck. Er nimmt Kurven gut und gleitet besser über schlechte Fahrbahnen als teurere Autos. Zudem ist er sehr geländegängig, da er ursprünglich dafür konzipiert wurde, sibirische Bauern bei ihrer landwirtschaftlichen Arbeit zu unterstützen. Alte Erzählungen berichten, dass der Saporoschez Gelände meisterte, wo andere Fahrzeuge wie der Moskwitsch scheiterten. Er wird als der „nostalgischste SUV“ bezeichnet. Obwohl er oft mit westlichen Modellen wie dem NSU Prinz oder dem Chevrolet Corvair verglichen wird, ist der Saporoschez eine „Eigenkreation“ und keineswegs eine Kopie.
Kultobjekt und kulturelle Brücke
Der Saporoschez hat weltweit eine große Fangemeinde aufgebaut. In Deutschland gibt es einen Saporoschez Club, dessen Mitglieder seit fast 20 Jahren regelmäßig in die Ukraine reisen, um den Kontakt zu den Fans in seinem Herkunftsland zu pflegen. Für Ronnie Meyer, einen der Hauptorganisatoren des Berliner Clubs, ist der Saporoschez „Herzblut“ und prägt sein Leben, seit sein Vater seinen Saporoschez 1992 verschrottete. Die Garage von Meyer in Berlin-Treptow ist zu einer Kultstätte für die ukrainischen Autos geworden, wo sie repariert, zelebriert und inszeniert werden. Fahrten mit dem Saporoschez sind ein entschleunigendes Erlebnis; ohne technische Helfer oder Radio nimmt man die Umgebung viel bewusster wahr und muss das Auto riechen und hören, um es zu verstehen. Das Fahrzeug hat auch tiefe Freundschaften unter den Besitzern entstehen lassen. Die Reisen deutscher Clubmitglieder in die Ukraine haben kulturelle Brücken geschlagen und den Ukrainern gezeigt, dass Interesse an ihrer Kultur besteht.
Das Auto hat auch internationale Bekanntheit erlangt, war Standardinventar in sowjetischen Filmen der 60er und 70er Jahre, hatte eine Hauptrolle im US-Film „Blind Wedding“ und wurde von James Bond im Film „Golden Eye“ gefahren. Letzteres trug maßgeblich zur großen Fangemeinde in Großbritannien bei.
Putins Lieblingsauto und das Symbol des Widerstands
Ironischerweise präsentierte Wladimir Putin beim G8-Gipfel 2006 in St. Petersburg stolz seinen Saporoschez, den er als sein allererstes Auto, das seine Mutter in einer Lotterie gewonnen hatte, bezeichnete. Doch in der heutigen Zeit ist der Saporoschez für die Ukrainer zu einem kraftvollen Symbol des Widerstands gegen Russland geworden. Irina Denis aus Kiew, die in Deutschland lebt und mit ihrem deutschen Mann, einem Saporoschez-Fan, den sie über das Hobby kennenlernte, verheiratet ist, fährt ihren Saporoschez als „Symbol von Widerstand“. Sie hat ein Nummernschild mit der Aufschrift „Made in Ukraine“ an ihrem Auto angebracht, um ihre ukrainische Identität zu betonen.
Irina hat in ihrer Pension in Hahnenbach, Rheinland-Pfalz, Ukrainerinnen aufgenommen, die vor dem Krieg geflohen sind. Für diese Frauen ist der Saporoschez vor der Tür ein großer Trost und schafft eine Verbindung zur Heimat, deren Lebensgrundlagen zerstört wurden. Irina selbst fährt mit ihrem Saporoschez, vollgepackt mit Hilfsgütern, immer wieder in die Ukraine, um nach der russischen Invasion zu helfen.
Eine Gruppe von Ukrainern, deren Motto „Dreams can’t be killed“ lautet, nimmt sogar in Kriegszeiten mit ihren Saporoschez an der Rallye Monte Carlo für historische Fahrzeuge teil. Renata Wilschinskaite aus Kiew fuhr die Strecke von Kiew nach Monte Carlo und zurück, um ein Zeichen zu setzen und zu zeigen, dass sie am Leben sind und an europäischen Rallyes teilnehmen. Trotz der Fahrt durch das Kriegsgebiet sehen sie die Rallye als „Atempause von der ständigen Bedrohung durch Krieg und Luftangriffe“. Nach 3000 herausfordernden Kilometern durch Europa war der Zieleinlauf in Monaco ein erhebender Moment, doch die Sehnsucht nach Hause, nach Kiew, der Heimat und Familie, war größer als die Feier.
Die Bedeutung des Saporoschez ist so tiefgreifend, dass es Diskussionen darüber gibt, ob es sich um ein „ukrainisches“ oder „sowjetisches“ Auto handelt. Für die Ukrainer ist es das „erste ukrainische Auto“, ein Teil ihrer Identität.
Die Zukunft der Automobilindustrie in der Ukraine
Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 ging es mit der Automobilindustrie der Ukraine bergab, und die Produktion des Saporoschez wurde 1994 eingestellt. Die SAS-Fabrik in Saporischschja wurde fortan für die Fertigung von Lizenzmodellen und Autobussen genutzt.
Trotz des Krieges und der damit verbundenen Herausforderungen gibt es in der Ukraine unerschütterlichen Optimismus und konkrete Pläne für ein Comeback der Automobilindustrie. Die Regierung betrachtet die Autoindustrie als strategisch wichtigen Bereich und unterstützt sie mit Subventionen, Zoll- und Steuererleichterungen. Es gibt weiterhin Fachwissen im Land und mehrere Autowerke. Visionen für Elektroautos, von luxuriösen Sportlimousinen bis zu Kleinwagen, die sich am Saporoschez orientieren, tauchen im Internet auf, benötigen aber noch Investitionen und staatliche Unterstützung. Die Ukraine verfügt über eine der größten Lithiumvorkommen und möchte die Produktion von Batterien aufbauen, um Autobatterien für europäische Hersteller zu produzieren. Die engen Bande zu Deutschland, wo Volkswagen-Modelle in der Eurocar AG in der Westukraine produziert werden und ukrainische Zulieferer Komponenten für die deutsche Autoindustrie herstellen, unterstreichen das Potenzial für Zusammenarbeit.
Für die Ukrainer ist der Saporoschez nicht nur ein Auto, sondern ein Teil ihrer Seele, ein Symbol des Widerstands und eine Brücke zu einer freien und unabhängigen Zukunft. Wie es mit der Automobilindustrie in der Ukraine und der Legende des Saporoschez weitergeht, hängt vom Krieg und der internationalen Politik ab, doch der Geist der Ingenieure und die Entschlossenheit des Volkes bleiben ungebrochen.