Getreidelieferungen trotz Kriegsausbruch: Ein Indiz gegen Stalins Angriffspläne

Auf die immer wieder diskutierte Frage, ob Stalin aktiv einen Angriff auf Deutschland geplant habe, entgegnete Baberowski mit einem deutlichen „Nein“. Weder westliche noch russische Forscher hätten belastbare Dokumente vorgelegt, die einen entsprechenden Feldzugsplan stützen. Zwar sei die sowjetische Militärdoktrin prinzipiell offensiv angelegt gewesen – doch der Hitler-Stalin-Pakt basierte gerade auf pragmatischem Warenaustausch: deutsche Technik gegen sowjetische Rohstoffe. Selbst am 22. Juni 1941, als die Wehrmacht über die Grenze rollte, traf noch Getreide in deutschen Zügen ein. Ein Präventivkrieg sei somit weder im Interesse Stalins noch logistisch vorbereitet gewesen.

Jugend im KBW statt DKP: Suche nach intellektueller Anziehung
Eine Zuschauerfrage nach Baberowskis politischer Sozialisation führte ihn zurück an seine Schulzeit. Warum trat er nicht der DDR-nahen DKP, sondern dem Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) bei? Für Baberowski war nicht die DDR-Realität, sondern das intellektuelle Ambiente ausschlaggebend. Die DKP-Mitglieder habe er als konformistische „Taubenzüchter-Typen“ erlebt, langweilig und uninspiriert. Im Gegensatz dazu habe der KBW junge Akademiker aus Göttingen angezogen, die über Maoismus diskutierten und intellektuelle Debatten führten. Diese Dynamik habe er spannender gefunden als den „Spießer-Sozialismus“ der DKP.

Kosmopoliten an der Spitze, Bürokraten an der Macht
Auf die Frage, welche Sprachen Lenin und seine Mitstreiter beherrschten, erklärte Baberowski, dass die Gründer der Bolschewiki – etwa Lenin, Trotzki, Bukharin – in der Pariser und Londoner Emigration aufgewachsen seien und fließend Deutsch, Französisch oder Englisch sprachen. Sie hätten auf internationalen Kongressen debattiert und Marx im Original gelesen. Mit dem Bürgerkrieg und dem Ausbau des sowjetischen Staatsapparats sei diese kosmopolitische Avantgarde jedoch von neuen Funktionären abgelöst worden, die aus einfachen Verhältnissen stammten, kaum Fremdsprachen kannten und unter Stalin zum Großteil ermordet wurden. So sei der revolutionäre Geist einer weltoffenen Intelligenz einer abgeschlossenen Bürokratie gewichen.

Warum Rumänien ausbrach – und die Rolle der Roten Armee
Ein weiterer Themenkomplex betraf den Sturz von Nicolae Ceaușescu und die friedliche Revolution in Ostmitteleuropa 1989. Baberowski betonte, dass alle Länder mit stationierten sowjetischen Truppen – Polen, Ungarn, DDR – auf einen reibungslosen Machtübergang setzen konnten, weil Gorbatschow ein Blutvergießen unterband. Rumänien hingegen besaß keine sowjetischen Einheiten als „Schiedsrichter“, sodass Ceaușescu auf Massenterror setzte und der Machtwechsel blutig endete. Dies zeige, wie sehr die Präsenz der Roten Armee friedliche Umbrüche erleichterte.

Historiker als unvoreingenommener Beobachter
Abschließend unterstrich Baberowski seine Haltung als Wissenschaftler: Er verstehe es als seine Aufgabe, die Motive und Handlungen von Menschen – Kommunisten wie Antikommunisten – so objektiv wie möglich zu beschreiben. Ideologische Wertungen blieben der Analyse, nicht der Geschichtsschreibung vorbehalten. Seine eigene politische Biographie habe mehrfache Wechsel erfahren: Vom Maoismus zum Sozialdemokraten, heute sieht er sich eher als Liberalen. Wichtig sei, sich immer wieder neu auf Perspektiven einzulassen und die Gründe für politische Überzeugungen nachzuvollziehen.

Liebe Leser(innen), wir freuen uns immer über Verbesserungsvorschläge, Anregungen oder auch weitere Informationen zu unseren Beiträgen. Sollten Sie rechtliche Bedenken haben, bitten wir Sie, uns ebenso eine kurze Information zukommen zu lassen. Dies ist sowohl anonym als auch personalisiert möglich. Senden Sie uns eine Mail an coolisono@gmail.com. Dankeschön!