Mühlrose vor dem Abriss – Wenn Heimat dem Kohlebagger weicht

Mühlrose/Sachsen. Jenseits der Schlagworte vom baldigen Kohleausstieg zeigt sich im sächsischen Mühlrose, wie tief die Braunkohleförderung bis heute in das Leben ganzer Dörfer eingreift. Trotz des Bundesbeschlusses, bis 2038 aus der Kohlestromerzeugung auszusteigen, läuft der Tagebau Nochten unvermindert weiter – und damit auch die Zwangsumsiedlung der letzten Bewohner.

Ein Dorf im Zeichen des Schaufelrads
Wer sich Mühlrose nähert, spürt den wummernden Herzschlag des Tagebaus Nochten. Unweit des Ortes erstrecken sich gigantische Abraumhalden und die gewaltige Schaufelradmaschine, die sich unaufhaltsam durch den Boden frisst. Unter dem Dorf ruhen schätzungsweise 150 Millionen Tonnen Braunkohle – ein Vorrat, der den Fortbestand des Kohlekraftwerks Schwarze Pumpe noch Jahrzehnte sichern könnte.

Seit Mitte der 2010er-Jahre wurde Mühlrose Stück für Stück geräumt. Etwa 60 Häuser sind bereits abgebrochen, knapp 200 Menschen haben sich schon am neuen Standort niedergelassen. „Anfangs fiel es mir schwer, wie einer nach dem anderen weggezogen ist. Das war schon manchmal richtig deprimierend“, erinnert sich der letzte Ortsbewohner, 55-jährige Tischlermeister Jens Panasch.

Umsiedlung vor Ausstieg
Der ursprüngliche Umsiedlungsvertrag zwischen der sächsischen Landesregierung und der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG) datiert auf 2019 – ein Jahr vor dem offiziellen Beschluss zum Kohleausstieg durch die Bundes­regierung. Mit dem vorgezogenen Rodungsbeginn setzte die LEAG, größter Arbeitgeber in der Region, das Projekt durch. Für viele Betroffene war die Entscheidung weit weniger überraschend: „Lärm, Dreck, Unruhe – daran hat man sich nie so richtig gewöhnt. Den meisten ist es deshalb nicht schwergefallen, wegzuziehen“, sagt Katja Stieler, Reporterin der “tagesthemen mittendrin”.

Doch für Panasch, hier aufgewachsen und fest verwurzelt, bedeutete das Ende von Mühlrose auch den Verlust zahlreicher Erinnerungen: „Wir hatten eine tolle Dorfgemeinschaft, Vereine, ein schönes Gasthaus mit Biergarten und einen alten Tanzsaal. Das alles legst du ab, wie ein Kleidungsstück.“

Ein neues Leben im „neuen Mühlrose“
Rund sieben Kilometer entfernt liegt seit fünf Jahren der Ersatzstandort „neues Mühlrose“. Moderne Einfamilienhäuser, großzügig konzipiert, entstanden auf Basis individuell verhandelter Entschädigungszahlungen. Ein Dorfgemeinschaftshaus mit Kegelbahn und Freizeiträumen soll das soziale Gefüge bewahren.

„Ich dachte, dass es wirklich schlimm wird, aber das neue Zuhause hat mich positiv überrascht“, erzählt eine der umgesiedelten Bewohnerinnen. Insgesamt, so zeigt eine interne LEAG-Befragung, sind laut Stieler 99 % der Betroffenen zufrieden mit der Neuausstattung und der Ruhe abseits des Tagebaulärms.

Für Panasch jedoch bleibt die Wehmut. Er hat sich entschieden, etwas näher bei Verwandten in Trebendorf zu bauen, um genug Platz für seine Schreinerei zu haben. „Ich bin nur mit den einfachen Sachen zufrieden gewesen. Hier habe ich jetzt mehr Komfort, aber ich würde weiter in Mühlrose leben, wenn das nicht gekommen wäre“, sagt er zum Abschied.

Der Preis der Energiewende
Mühlrose ist kein Einzelfall: Seit 1945 sind in Ost- und Westdeutschland etwa 300 Orte für den Kohleabbau zerstört worden, rund 120.000 Menschen mussten umgesiedelt werden. Dass dieses Kapitel – trotz politischer Weichenstellung hin zur Klimaneutralität – erst in rund 13 Jahren endgültig geschlossen wird, zeigt: Die Energiewende ist nicht nur ein technischer, sondern vor allem ein sozialer und menschlicher Prozess.

Während der Kohlebagger unaufhaltsam seine Bahnen zieht, hinterlässt er Gruben, entleerte Dörfer und nicht zuletzt ein allgemein spürbares Vakuum in der Erinnerungskultur der betroffenen Regionen. Wie sehr sich diese Lücken schließen lassen, hängt nicht nur vom Ausstiegsdatum ab, sondern davon, wie auch die zwischenmenschlichen Bande erhalten bleiben, die einst ein Ort wie Mühlrose zusammengehalten hat.

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