Um in der Weltgeschichte des Sports mithalten zu können, griff die DDR auch auf Doping zurück. Mit dem gravierenden Unterschied, dass es – anders als in nichtsozialistischen Staaten wie der Bundesrepublik Deutschland – von der DDR staatlich entwickelt, organisiert und umgesetzt wurde. Dadurch bekam es eine völlig andere Dimension: Ein großes Team aus mehreren tausend Sportmedizinern, Trainern und Trainerinnen, Mitarbeitern und der Betrieb VEB Jenapharm sorgten für einen reibungslosen Ablauf im DDR-Doping-Kreislauf. Dieser wurde permanent von der Staatssicherheit überwacht, inklusive zahlloser inoffizieller Mitarbeiter aus dem Sportbereich.
1974 wurde das sogenannte Staatsplanthema 14.25 ins Leben gerufen – ein Programm mit einem jährlichen Budget von bis zu 800 Millionen DDR-Mark. Es legte exakt fest, welcher Sportler und welche Sportlerin mit welchem Dopingmittel in welchem Zeitraum und in welcher Menge „unterstützt“ wurde. Die systematische Steuerung und Kontrolle machten das DDR-Dopingprogramm einzigartig in seiner Perfektion – und in seiner Menschenverachtung.
Dopingmethoden und gesundheitliche Folgen
Besonders perfide war die Art der Verabreichung: Es wurde hauptsächlich oral gedopt, da dies in den Dopinglabors des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) am schwierigsten nachzuweisen war. Die Leistungssportlerinnen und -sportler wussten oft nicht genau, was sie einnahmen – nur eines war ihnen klar: Wer die Tabletten absetzte, verlor an Leistung. Das Schlucken begann häufig schon im Kindesalter. Vielleicht waren es zu Beginn wirklich Vitamine, doch bei Bedarf konnte problemlos auf leistungssteigernde Mittel umgestellt werden.
Vor allem Anabolika kamen zum Einsatz, die den Muskelaufbau förderten und die Leistungsfähigkeit massiv steigerten. Während männliche Athleten eine erhebliche Kraftsteigerung erlebten, traten bei weiblichen Sportlerinnen schwerwiegende Nebenwirkungen auf: Ihnen wuchsen Bärte, die Brüste verschwanden, die Stimme wurde tiefer. Viele litten an schweren Herzproblemen, einige starben daran. Langzeitschäden wie Organschäden an Leber und Herz, Skelettdeformationen sowie psychische Probleme wie Depressionen und Angststörungen begleiten die betroffenen Sportlerinnen und Sportler bis heute. Besonders dramatisch: Diese Nebenwirkungen wurden wissentlich von den ausführenden Organen in Kauf genommen.
Kontrollen, offizielle Zahlen und juristische Konsequenzen
Offiziell wurde das Doping in der DDR stets bestritten. Doch trotz regelmäßiger Urintests, die vor internationalen Wettkämpfen durchgeführt wurden und bei denen pro Jahr etwa 4000 Proben analysiert wurden, blieb die Zahl positiver Befunde mit durchschnittlich 14 bis 15 Fällen erstaunlich niedrig. Dies zeigt, wie ausgeklügelt die Manipulation der Tests war.
Führende Sportfunktionäre wie Manfred Ewald und Manfred Höppner wurden nach der Wende zwar verurteilt – Ewald zu 22 Monaten, Höppner zu 18 Monaten auf Bewährung –, doch der große Teil des staatlich organisierten Dopingapparats blieb juristisch folgenlos. Viele Mediziner und Trainer setzten ihre Karrieren ungehindert im gesamtdeutschen Sport fort. Für die betroffenen Sportlerinnen und Sportler gab es nur wenig Wiedergutmachung: 2006 erhielten 167 Doping-Opfer eine einmalige Entschädigungszahlung von 9.250 Euro. Ein geringer Preis für die gesundheitlichen Schäden, die sie ihr Leben lang begleiten werden.
Langfristige Auswirkungen und das Erbe der DDR-Ära
Die Spuren des DDR-Dopings sind bis heute sichtbar. Rekorde, die in den 1980er-Jahren unter dem Einfluss leistungssteigernder Mittel aufgestellt wurden, sind in vielen Fällen bis heute ungebrochen – insbesondere im Kugelstoßen und Schwimmen. Dass diese Leistungen nach dem Ende der DDR nicht mehr erreicht wurden, liegt nicht zuletzt daran, dass Dopingkontrollen heutzutage strenger sind und die Nachweisverfahren verbessert wurden.
Die DDR-Dopingaffäre bleibt ein mahnendes Beispiel dafür, wie der Körper von Sportlerinnen und Sportlern als Mittel zur politischen Machtdemonstration missbraucht wurde. Sie zeigt, welchen Preis sportlicher Erfolg haben kann – und wie weit ethische Grenzen überschritten wurden, wenn der Staat selbst die Kontrolle über den menschlichen Körper übernimmt.
Die systematische Dopingpraxis in der DDR ist eines der düstersten Kapitel der Sportgeschichte. Sie zeigt, wie staatlich gelenkte Mechanismen Sportlerinnen und Sportler zu Versuchskaninchen degradierten – oft mit lebenslangen gesundheitlichen Folgen. Die Aufarbeitung dieser Vergangenheit ist nicht nur eine historische Pflicht, sondern auch ein Appell an den heutigen Sport, die ethischen Prinzipien über den Erfolgsdruck zu stellen. Denn wenn sportlicher Ruhm auf dem Leid und der Manipulation von Menschen basiert, ist er nichts wert.