Ribnitz-Dammgarten an der Ostsee – Ein Ort, an dem einst jeder zehnte Einwohner im VEB-Faserplattenwerk tätig war, das mit Europas größter Anlage für mitteldichte Faserplatten eine Schlüsselfunktion der Möbelindustrie innehatte. Heute jedoch zeugt eine verfallene Industrieanlage von den dramatischen Umbrüchen der Wiedervereinigung.
Aufstieg und Glanz in der DDR
In der DDR-Ära war das Faserplattenwerk in Ribnitz-Dammgarten nicht nur ein Produktionsstandort, sondern ein Symbol wirtschaftlicher Stärke und sozialer Sicherheit. Mit modernster Technik und einer hochqualifizierten Belegschaft galt die Anlage als Vorzeigemodell für die Möbelindustrie – ein Stolz der Region, der für viele Lebensentwürfe und Perspektiven sorgte.
Privatisierung und der verhängnisvolle Wandel
Mit dem Fall der Mauer änderte sich das Schicksal des Werkes radikal. Die Treuhand übernahm den Betrieb, der zunächst als Nordmöbel und später unter dem Namen Bestwood GmbH firmierte. Führende Persönlichkeiten wie Hans Heinrich Liermann, der bis 1995 als Betriebsdirektor tätig war, und Sigrid Kehler, die schon 1990 in die Politik wechselte, versuchten, den Betrieb in die neue Marktwirtschaft zu überführen. Doch trotz modernster Maschinen und qualifizierter Fachkräfte fehlte es an einem tragfähigen Markt – ein Umstand, den weder Technik noch Know-how zu retten vermochten.
Fehlentscheidungen und ein Subventionsskandal
Die Suche nach einem strategischen Partner führte die Treuhand zu Eduard Kinder, einem Hamburger Immobilienunternehmer, der gemeinsam mit den niedersächsischen Bisonwerken ein milliardenschweres Investitionspaket schnüren sollte. Mit einem Vertrag über 120 Millionen Mark, von denen lediglich 10 Millionen aus Eigenkapital stammten, wurde versucht, 505 Arbeitsplätze zu sichern. Doch das Versprechen einer modernen Produktion entpuppte sich als trügerisch: Eine als neu deklarierte Anlage erwies sich Jahre später als umgebautes, in einem anderen Betrieb abgebautes Gerät – ein klassischer Fall von Subventionsbetrug. Fehlende Ausschreibungen, überhöhte Montage- und Beratungskosten sowie verdeckte Gewinnausschüttungen führten zu einem finanziellen Desaster, das in der Anmeldung des Konkurses 1995 gipfelte.
Die Folgen für Region und Vertrauen
Der wirtschaftliche Niedergang des einst so stolzen Werkes hinterließ nicht nur leere Hallen und verfallene Produktionsanlagen. Die Region, die über Jahrzehnte von diesem Arbeitgeber lebte, verlor ihre wirtschaftliche Dynamik und ihr Vertrauen in staatliche und private Fördermaßnahmen. Die langanhaltenden Ermittlungen wegen Investitionsbetrug und versteckter Gewinnausschüttungen – letztlich mangels Verfolgung, da Verjährungsgründe ins Spiel kamen – stehen symbolisch für die verfehlten Weichenstellungen in der frühen Wiedervereinigungszeit. Experten schätzten den Verlust an Beihilfen insgesamt auf rund 269 Millionen Mark.
Ein Mahnmal der Zeitenwende
Heute steht das Gelände des Faserplattenwerks als Ruine – ein stiller Zeuge der Verheißungen und des Scheiterns. Während einst Fortschritt und Hoffnung den Alltag der Menschen bestimmten, erinnern verfallene Maschinenhallen und leere Fabrikgebäude an eine Ära, in der Fehlentscheidungen und mangelnde Marktanpassungen nicht nur einen Betrieb, sondern eine ganze Region in den Ruin trieben.
Die Geschichte des Faserplattenwerks in Ribnitz-Dammgarten ist somit weit mehr als eine Industriegeschichte. Sie ist ein mahnendes Beispiel für die Herausforderungen des Strukturwandels und die oftmals tragischen Folgen, wenn wirtschaftliche Entscheidungen nicht im Einklang mit den realen Marktbedingungen stehen.