Berlin. Die öffentlichen Musikschulen der Hauptstadt stehen vor einer ungewissen Zukunft. Grund ist ein Gerichtsurteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2022, das die Stadt eigentlich zum Handeln verpflichtet: Musiklehrer*innen, die seit Jahrzehnten als freie Honorarkräfte arbeiten, müssten fest angestellt werden. Doch die Umsetzung bleibt aus – mit dramatischen Folgen für Lehrer, Schüler und die Institutionen selbst.
Zwischen Hoffnung und Existenzangst
Von den 2.423 Musiklehrer*innen an den öffentlichen Berliner Musikschulen sind fast 90 Prozent nicht fest angestellt. Dazu gehört auch Katja Jovasevic, die seit mehr als zehn Jahren als Gesangslehrerin unterrichtet. „Es gibt keine Arbeitslosenversicherung, kaum Rentenansprüche. Wenn ich krank bin, verdiene ich nichts“, erzählt sie. Ihr Kollege Carsten Schröder ergänzt: „Zweimal im Jahr kann die Musikschule einfach sagen, dass sie für bestimmte Schüler keine neuen Aufträge mehr vergibt. Dann stehe ich plötzlich ohne Einnahmen da.“
Das Urteil des Bundessozialgerichts bestätigt, dass Musiklehrerinnen durch ihre feste Einbindung in den Schulbetrieb nicht als Selbstständige behandelt werden dürfen. Städte wie München und Hamburg haben daraufhin viele ihrer Musiklehrerinnen festangestellt. Berlin jedoch zögert.
Geldmangel oder fehlender politischer Wille?
Die Kosten für eine Umsetzung des Urteils belaufen sich auf rund 20 Millionen Euro – eine Summe, die der Berliner Senat bisher nicht bereit ist zu investieren. Stattdessen setzt die Stadt auf eine umstrittene Bundesratsinitiative, die Musiklehrer*innen weiterhin als Selbstständige arbeiten lassen soll. „Das ist eine reine Hinhaltetaktik“, kritisiert Ulrike Philippi, Leiterin einer Berliner Musikschule. „Ohne eine Lösung droht der massive Rückbau unseres Angebots.“
Für Schüler wie den 15-jährigen Max hätte das drastische Konsequenzen. Er lernt seit drei Jahren Trompete bei Carsten Schröder. „Ich kann mir keinen besseren Lehrer vorstellen“, sagt er. Doch wenn Schröder seinen Job verliert, bleibt unklar, ob Max seinen Unterricht fortsetzen kann.
Proteste und unklare Zukunft
Im Sommer 2024 demonstrierten Musikschullehrer*innen vor dem Berliner Abgeordnetenhaus. Kultursenator Joe Chialo versprach damals: „Wer festangestellt werden will, soll festangestellt werden.“ Doch es folgten keine konkreten Maßnahmen. Im Januar 2025 trat eine Übergangsregelung in Kraft, die den Status quo bis 2027 einfriert – eine Verschiebung des Problems, aber keine Lösung.
Viele Musiklehrer*innen überlegen nun, ihren Status von der Deutschen Rentenversicherung prüfen zu lassen, um ihre Anstellung zu erzwingen. Doch es gibt Berichte, dass Lehrkräfte nach solchen Anträgen keine Schüler mehr zugewiesen bekamen. Eine bewusste Abschreckungsmaßnahme?
Fest steht: Ohne zusätzliche Mittel drohen Unterrichtsausfälle und lange Wartelisten. Alternativ könnte der Unterricht teurer werden – ein Risiko für einkommensschwache Familien. „Wenn das so weitergeht, müssen viele Kolleg*innen den Beruf aufgeben“, sagt Schröder. „Dabei brauchen Kinder und Jugendliche diese musikalische Förderung.“
Ob die Berliner Politik eine nachhaltige Lösung findet, bleibt fraglich. Währenddessen übt sich Gesangsschülerin Maria weiterhin an ihrer Technik – noch hat sie Katja Jovasevic als Lehrerin. Doch wie lange noch?