Wilhelm Domke-Schulz äußert in seinem Beitrag eine deutliche Kritik an der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Eingliederung Ostdeutschlands nach der Wiedervereinigung. Sein zentrales Argument lautet, dass der sogenannte Anschluss der DDR an die Bundesrepublik nicht als gleichwertige Vereinigung zweier Staaten verstanden werden kann, sondern vielmehr als strategisch geplante Übernahme. Diese Sichtweise prägt seine Analyse der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Folgen der Wiedervereinigung, die er als einen Akt der systematischen Schwächung des Ostens beschreibt.
Bereits in den 1950er Jahren, so Domke-Schulz, habe es in der Bundesrepublik detaillierte Pläne gegeben, wie die DDR bei einem Zusammenbruch in die westdeutsche Ordnung eingegliedert werden könne. Diese Planungen, die seiner Darstellung nach zunächst unter der Leitung eines „Reichskommissars für Finanzen“ entwickelt wurden, seien strategisch darauf ausgerichtet gewesen, die wirtschaftlichen und politischen Strukturen der DDR gezielt zu übernehmen und aufzulösen. Nach einer Phase der Entspannungspolitik unter Willy Brandt seien diese Pläne unter Bundeskanzler Helmut Kohl wieder aufgegriffen worden. Dabei habe Horst Köhler, später Präsident der Bundesrepublik, eine Schlüsselrolle gespielt. Laut Domke-Schulz ging es in diesen Plänen nicht um eine partnerschaftliche Eingliederung der DDR, sondern vielmehr darum, die ostdeutsche Wirtschaft zu demontieren, deren Vermögenswerte zu veräußern und die Region so in eine wirtschaftliche Abhängigkeit vom Westen zu zwingen.
Ein zentraler Kritikpunkt ist die wirtschaftliche Transformation Ostdeutschlands, die Domke-Schulz als „Plünderung“ beschreibt. In seinen Augen wurden große Teile der ostdeutschen Wirtschaft in den Jahren nach 1990 zerstört, um sie als Konkurrenz für westdeutsche Unternehmen auszuschalten. Er verweist darauf, dass etwa 70 Prozent der Wirtschaftsstrukturen der DDR vollständig verschwunden seien, während die restlichen 30 Prozent überwiegend von westdeutschen Unternehmen übernommen wurden. Diese Übernahmen seien zu „Spottpreisen“ erfolgt, wodurch sich westdeutsche Akteure massiv bereichert hätten. Zugleich habe der Osten dadurch keine Möglichkeit gehabt, eine eigenständige wirtschaftliche Basis aufzubauen, die ihn langfristig konkurrenzfähig gemacht hätte.
Eine weitere Folge dieser wirtschaftlichen Schwächung sei die massive Abwanderung junger und gut ausgebildeter Arbeitskräfte in den Westen. Ostdeutschland habe so nicht nur wichtige Talente verloren, sondern auch die finanziellen Ressourcen, die in deren Ausbildung investiert worden seien. Diese Abwanderung habe zur Überalterung der ostdeutschen Gesellschaft beigetragen und die strukturellen Probleme der Region weiter verschärft. Für Domke-Schulz ist dies ein zentraler Grund, warum der Osten heute keine Chance habe, sich eigenständig zu entwickeln: Ohne eine starke wirtschaftliche Basis und eine junge, dynamische Bevölkerung sei es nahezu unmöglich, langfristig Perspektiven zu schaffen.
Auch in den Bereichen Medien und Eigentum sieht Domke-Schulz eine klare Dominanz westdeutscher Akteure. So sei die ostdeutsche Medienlandschaft vollständig in den Händen westdeutscher Verlage, die oft aus einer Tradition profitierten, die bis in die Zeit des Nationalsozialismus zurückreiche. Diese Unternehmen hätten eine Meinungsmonopolstellung erlangt, die es erschwere, unabhängige ostdeutsche Perspektiven zu artikulieren. Ähnlich sei es bei Immobilien und anderen Vermögenswerten, die nach der Wende großflächig an westdeutsche Investoren gegangen seien. Diese Entwicklungen trügen dazu bei, dass viele Ostdeutsche das Gefühl hätten, in ihrer eigenen Heimat zu Fremden geworden zu sein, während westdeutsche Akteure von den Veränderungen profitierten.
Ein besonders polemischer Punkt in Domke-Schulz’ Analyse ist seine Verwendung von Begriffen wie „Kolonisation“ und „Besatzung“. Er sieht den Osten nicht als gleichberechtigten Teil der Bundesrepublik, sondern als eine Art Kolonie, die wirtschaftlich ausgebeutet und politisch marginalisiert werde. Westdeutsche hätten in dieser Konstruktion die Rolle der „Siedler“ oder „Kolonisten“ übernommen, die in Führungspositionen säßen und von der Schwächung des Ostens profitierten. Für sie gebe es keinen Grund, die Unterschiede zwischen Ost und West wahrzunehmen, da sie selbst in den vergangenen Jahrzehnten überwiegend als Gewinner hervorgegangen seien. Für viele Ostdeutsche sei diese Trennung jedoch weiterhin spürbar, da sie die Verluste unmittelbar erlitten hätten.
Domke-Schulz sieht diese Entwicklungen nicht als Folge von Zufällen oder Fehleinschätzungen, sondern als Ergebnis einer gezielten Strategie, die darauf abzielte, Ostdeutschland langfristig wirtschaftlich und politisch abhängig zu machen. Offizielle Erklärungen, man habe 1990 keine Alternativen gekannt oder sei unvorbereitet gewesen, seien seiner Meinung nach reine Schutzbehauptungen, um die Öffentlichkeit über die tatsächlichen Absichten hinwegzutäuschen. Die systematische Schwächung des Ostens habe letztlich dazu geführt, dass die Region auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung strukturell benachteiligt sei.
Insgesamt vermittelt Domke-Schulz ein düsteres Bild der Wiedervereinigung, das geprägt ist von einer tiefen Frustration über die anhaltenden Ungleichheiten zwischen Ost und West. Seine Darstellung mag in Teilen polemisch sein, trifft jedoch einen Nerv, der bei vielen Menschen in Ostdeutschland nach wie vor besteht. Die von ihm angesprochenen Probleme – die wirtschaftliche Abhängigkeit, die demografische Entwicklung und die fehlende Meinungsvielfalt – sind real und bedürfen auch heute noch einer ernsthaften Auseinandersetzung. Allerdings bleibt die Frage offen, welche Lösungen Domke-Schulz für die beschriebenen Probleme vorschlägt. Seine Analyse konzentriert sich stark auf die Kritik an der Vergangenheit, ohne konkrete Perspektiven für die Zukunft aufzuzeigen.