Eskalation im Bundestag: Ordnungsrufe als Trophäen in den sozialen Medien

Bundestagspräsidentin Bas über die Verrohung im Bundestag | Markus Lanz vom 27. November 2024

Im Interview mit Markus Lanz, das sich mit verschiedenen Themen rund um die politische Lage in Deutschland und der Welt befasste, äußerte sich Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zu einer Vielzahl von Themen, die den politischen Alltag und das gesellschaftliche Klima betreffen. Unter anderem sprach sie über die Eskalation von Konflikten im Bundestag, die sich in Form von zunehmenden Zwischenrufen und einem raueren Ton während der Reden manifestieren. Zudem wurde das Thema des Haftbefehls gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu sowie die Frage nach der Rolle der deutschen Außenpolitik im internationalen Kontext thematisiert. Das Interview gab Bärbel Bas die Gelegenheit, ihre Sicht auf die Demokratiekrise, die Polarisierung im Parlament und die Glaubwürdigkeit der Politik zu erläutern.

Die Eskalation im Bundestag – Ordnungsrufe als Trophäen
Zu Beginn des Gesprächs sprach Bärbel Bas über die zunehmend erschwerte Arbeit der Bundestagspräsidentin, die mit dem Ahnden von Störungen im parlamentarischen Betrieb befasst ist. Sie kritisierte die Eskalation des Verhaltens mancher Abgeordneter, die es zunehmend als Teil ihrer politischen Strategie ansehen, durch Zwischenrufe oder andere Störungen die Reden ihrer Kollegen zu unterbrechen. Dies habe nicht nur Auswirkungen auf den Ablauf der Debatten, sondern wirke sich auch negativ auf das Ansehen des Bundestages aus.

„Der raue Ton und die Störungen im Parlament potenzieren sich“, so Bas, und sie fügte hinzu, dass manche Abgeordnete Ordnungsrufe inzwischen nicht nur als notwendige Maßnahme gegen störendes Verhalten, sondern als Trophäen in den sozialen Medien präsentieren. Diese Praxis, Ordnungsrufe öffentlich zur Schau zu stellen, untergrabe das Vertrauen in die parlamentarische Institution und führe zu einer weiteren Entwertung der parlamentarischen Debattenkultur. „Es geht nicht darum, jemandem einen Ordnungsruf zu geben, um einen Punkt zu machen“, erklärte Bas. Stattdessen werde dies zunehmend als politisches Mittel genutzt, um Aufmerksamkeit zu erregen und die Institution des Bundestages zu diskreditieren.

Bas wies darauf hin, dass die Ordnungsrufe in vielen Fällen nicht zu einer tatsächlichen Verhaltensänderung führen, sondern nur als ein weiterer Schritt in der Eskalation des politischen Klimas dienen. Politische Differenzen und politische Unvereinbarkeiten werden durch Zwischenrufe und persönliche Angriffe verschärft, was letztlich das politische Klima vergifte. Sie betonte, wie wichtig es sei, die parlamentarischen Regeln und die grundlegenden Prinzipien des respektvollen Dialogs zu bewahren.

Demokratie unter Druck – Die globale Herausforderung
Markus Lanz nahm das Thema der zunehmenden Polarisierung im Bundestag als Anlass, auf die Herausforderungen der Demokratie weltweit einzugehen. Er erinnerte Bärbel Bas an die Äußerungen von Wolfgang Schäuble, der vor zwei Jahren die Demokratiekrise als eine der größten globalen Herausforderungen bezeichnet hatte. Bärbel Bas stimmte zu und fügte hinzu, dass derzeit 70 Prozent der Weltbevölkerung nicht in demokratischen Systemen lebten. Dies sei eine alarmierende Zahl und verdeutliche die globale Bedrohung für die Demokratie.

Bas erklärte, dass es in einer Zeit, in der autoritäre Regime wie das in China funktionieren und von vielen Menschen als erfolgreich angesehen werden, zunehmend schwieriger werde, die westliche, demokratische Welt zu verteidigen. Sie machte deutlich, dass autoritäre Systeme oft als stabiler und effektiver wahrgenommen werden, während Demokratien mit vielen inneren und äußeren Herausforderungen kämpfen müssen. „Die Demokratie steht unter Druck“, sagte sie, „und wir müssen uns fragen, wie wir das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen können.“

Die Äußerung der Bundestagspräsidentin ist ein Ausdruck der Sorge über die wachsende Unzufriedenheit mit der Demokratie, sowohl innerhalb der westlichen Gesellschaften als auch international. Sie betonte, dass die Menschen in den westlichen Demokratien ein stärkeres Gefühl von Handlungsfähigkeit und Sinnhaftigkeit in der Politik benötigen. Politische Institutionen und Akteure sollten mehr tun, um die Menschen wieder mit der Demokratie zu versöhnen und zu zeigen, dass diese auch in schwierigen Zeiten eine positive und lösungsorientierte Antwort bieten kann.

Polarisierung im Parlament und in der Gesellschaft
Ein weiteres Thema, das im Gespräch zur Sprache kam, war die zunehmende Polarisierung im Deutschen Bundestag, die Bas ebenfalls als besorgniserregend empfindet. Seit ihrer ersten Wahl 2009 habe sie eine stetige Zunahme von Aggression und polarisierten Auseinandersetzungen erlebt, sowohl im Parlament als auch in der Gesellschaft insgesamt. Sie stellte fest, dass es immer schwerer werde, zu einem sachlichen Dialog zurückzukehren, wenn die Debatten von persönlichen Angriffen und verbalen Entgleisungen geprägt sind. Diese Entwicklung werde nicht nur das Parlament, sondern auch das Vertrauen der Bürger in die politischen Institutionen langfristig schädigen.

Bas appellierte an die Verantwortung aller Abgeordneten, sich um einen respektvollen Umgang zu bemühen, der die Sachlichkeit in den Vordergrund stellt. Es gehe nicht darum, die politischen Meinungsverschiedenheiten zu verschleiern, sondern darum, diese in einem respektvollen und konstruktiven Rahmen auszutragen. Persönliche Angriffe und Diffamierungen, so Bas, sollten vermieden werden, um das Vertrauen in das politische System und die Institutionen zu bewahren. Der Bundestag sei das Herz der Demokratie, und jeder müsse dazu beitragen, die Qualität der parlamentarischen Arbeit aufrechtzuerhalten.

Der Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu – Ein moralisches Dilemma
Ein weiterer diskussionswürdiger Punkt war der Haftbefehl gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, der derzeit von verschiedenen internationalen Gerichten angeklagt wird. Bas äußerte sich zwiegespalten zu diesem Thema. Einerseits unterstütze sie die wertebasierte Außenpolitik Deutschlands und die Anerkennung des internationalen Strafgerichtshofs, andererseits sei sie der Meinung, dass der Umgang mit Haftbefehlen gegen Staatsoberhäupter wie Putin und Netanjahu eine schwierige politische Frage aufwerfe.

Bas stellte klar, dass sie es für problematisch halte, wenn die internationale Gemeinschaft unterschiedliche Maßstäbe anlege und beispielsweise in Deutschland Putin festgenommen werde, Netanjahu jedoch nicht. „Dass der eine dann festgenommen wird und der andere nicht, ich kann mir das schwer vorstellen“, so Bas. Sie appellierte an eine konsistente und klare Haltung im Umgang mit internationalen Haftbefehlen, um nicht den Eindruck von Doppelstandards zu erwecken. Dies sei eine Herausforderung für die Glaubwürdigkeit der deutschen Außenpolitik.

Glaubwürdigkeit der Politik und doppelte Standards
Ein weiteres zentrales Thema, das Bärbel Bas ansprach, war die Glaubwürdigkeit der Politik und die Gefahr von Doppelstandards. Sie kritisierte, dass in der politischen Kommunikation und in der Umsetzung politischer Maßnahmen immer wieder Widersprüche und Unsicherheiten zu erkennen seien. Dies gefährde das Vertrauen der Bürger in die politischen Institutionen und die Akteure. Besonders in einer Zeit, in der Vertrauen so schwer zu gewinnen sei, sei es umso wichtiger, klare und konsistente Positionen zu vertreten.

Bas wies darauf hin, dass es für die politische Führung entscheidend sei, Glaubwürdigkeit zu bewahren. Wenn Politiker wiederholt widersprüchliche Aussagen machten oder inkonsistent handelten, führe dies zu einer zunehmenden Entfremdung der Bevölkerung. Um das Vertrauen in die Institutionen und die politische Arbeit zu sichern, müsse die Politik transparenter und nachvollziehbarer werden.

Zukunft der Stahlindustrie – Thyssenkrupp und die Industriepolitik
Zum Abschluss des Gesprächs sprach Bärbel Bas über die Situation bei Thyssenkrupp und die Bedeutung der Stahlindustrie für Deutschland. Sie kritisierte, dass es bisher kein klares Konzept für die Zukunft der Stahlindustrie gebe und dass der Staat hier mehr Verantwortung übernehmen müsse. Insbesondere in einer Zeit, in der die Weltwirtschaft in einem Umbruch befinde und die Abhängigkeit von anderen Ländern zunehmend problematisch werde, sei es entscheidend, die eigene Industrie zu stützen und abzusichern.

Bas appellierte an die Regierung, die Weichen für eine nachhaltige industrielle Entwicklung zu stellen und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Stahlindustrie zu sichern. Sie betonte, dass dies nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine sicherheitspolitische Frage sei. Deutschland müsse sicherstellen, dass es nicht von anderen Ländern abhängig werde, insbesondere in Bezug auf strategische Industrien wie die Stahlproduktion.

Das Interview mit Bärbel Bas gab einen tiefen Einblick in die Herausforderungen, vor denen die Bundestagspräsidentin und die deutsche Politik insgesamt stehen. Sie sprach über die zunehmende Polarisierung im Parlament, die Bedrohung der Demokratie, die Glaubwürdigkeitskrise und die politischen Dilemmata auf internationaler Ebene. Sie rief zu mehr Konsistenz und Glaubwürdigkeit in der Politik auf und forderte, dass der respektvolle Umgang miteinander nicht nur im Bundestag, sondern auch in der Gesellschaft wieder mehr Beachtung finde. Ihre Ausführungen zu den politischen Herausforderungen unterstrichen die Notwendigkeit einer verantwortungsvollen und zukunftsorientierten Politik.

Redakteur/Blogger/Journalist: Arne Petrich

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