In den 1960er Jahren war die Eisenbahn das Verkehrsmittel Nummer eins in der DDR und stand im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Regelmäßig präsentierte die Deutsche Reichsbahn (DR) auf der Leipziger Frühjahrsmesse ihre neuesten Entwicklungen. Auf der Messe 1963 wurde dabei ein besonderes Highlight vorgestellt: ein neuer, komfortabler Schnelltriebwagen. Dieser Zug, gefertigt im volkseigenen Betrieb Waggonbau Görlitz, orientierte sich in Design und Innenausstattung an der Luftfahrt und versprach internationales Flair sowie einen Hauch von Luxus. Wegen seiner Herkunft wurde er fortan als SVT Bauart Görlitz bezeichnet.
Die Öffentlichkeit konnte den Zug, der primär für internationale Verbindungen vorgesehen war, meist nur bestaunen, da die Reisemöglichkeiten ins Ausland damals beschränkt waren. Zusammen mit der DDR-Führung freute man sich über dieses „Produkt von Weltniveau“. Die DDR erlangte mit diesem Aufsehen erregenden Zug neues Prestige auf dem Weg zur internationalen Anerkennung.
Entwicklung und Technik
Der 1963 vorgestellte Prototyp VT 18 16.01 und 02 wurde mit zwei Jahren Verspätung präsentiert. Die Auslieferung der Serie verzögerte sich weiter, hauptsächlich aufgrund von Lieferengpässen der DDR-Schienenfahrzeugindustrie. Getriebe kamen beispielsweise von der Firma Voith aus dem Westen. Bis Ende 1968 wurden insgesamt acht Züge der Bauart Görlitz fertiggestellt, einschließlich Reserve-Maschinenwagen und Mittelwagen. Ursprünglich waren sogar 15 Züge bis 1965 geplant.
Die offizielle Baureihenbezeichnung des Zuges lautete VT 18.16. Diese Nummer entschlüsselte sich wie folgt: VT steht für Verbrennungstriebwagen, 18 bedeutete 1800 PS pro Anlage (ursprünglich 900 PS, später auf 1000 PS verbesserte Motoren). 16 stand für die Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h, und 10 (bzw. fortlaufend) war die lfd. Nummer.
Technisch war der SVT modern ausgestattet. Das Herzstück bildeten zwei schnelllaufende wassergekühlte 12-Zylinder-Dieselmotoren in V-Form mit Abgasturboaufladung aus dem Motorenwerk Berlin-Johannisthal. Diese Motoren galten als einige der besten der Welt. Die Kraft wurde über ein Dreiwandler-Getriebe hydraulisch auf zwei von drei Achsen übertragen. Eine Vielfachsteuerung ermöglichte die Bedienung beider Fahrmotoren von einem Führerstand aus. Die Anlagen waren so gebaut, dass der Zug auch mit nur einer Maschine gefahren werden konnte. Die Reichweite wurde durch einen Tankinhalt von 1500 Litern Diesel ermöglicht, was eine Reichweite von etwa 1500 km ergab (Faustformel: 100 Liter pro Motor und 100 km).
Die luxuriöse Innenausstattung umfasste bequeme Fahrgasträume und einen Speisewagen in der Mitte des Zugverbandes mit Platz für 23 Fahrgäste und einer „internationalen Speisekarte“.
Klangvolle Namen auf Internationalen Routen
Im Volksmund und bei den Reisenden war der Zug weniger unter der Baureihenbezeichnung bekannt, sondern unter den Namen der Strecken, die er bediente. Zu den bekanntesten Namen gehörten:
• Vindobona: Die bedeutendste Auslandsverbindung. Ab 1957 fuhr ein elegant ausgestatteter DR-Dieseltriebwagen auf der Strecke Berlin – Prag – Wien. Der VT 18.16 übernahm den Einsatz auf dieser wichtigen Nord-Süd-Verbindung ab September 1966. Nach turnusmäßigen Wechseln der Zuggestellung zwischen DR, ČSD und ÖBB in den Vorjahren, bei denen die VT 18.16 ihre Überlegenheit bewiesen, fuhren sie auf dieser Strecke über 7 Jahre ohne Beanstandung, da ČSD und ÖBB keine gleichwertigen Triebwagen bieten konnten. Die Ära des VT 18.16 auf dem Vindobona endete im Sommer 1979, als der Zug auf Lokbespannung umgestellt wurde.
• Neptun: Fuhr zwischen Berlin und Kopenhagen. Dieser „Design-Schwesternzug“ des Vindobona war bei Reisenden sehr beliebt. Wegen seiner Länge musste der Zug anfangs vom Fährschiff Warnemünde über die Ostsee transportiert werden. Ab 1967 wurden diese Probleme durch Umbauten am Fährschiff König Frederik IX behoben. Der Neptun-Express fuhr bis 1981.
• Karlex und Carola: Bedienten die Verbindung von Berlin bzw. Leipzig nach Karlsbad (tsch. Karlovy Vary). Der Karlex wurde ab 1. August 1969 auf der Route Berlin – Leipzig – Plauen – Karlsbad eingesetzt. Der Carola kam 1972 hinzu und fuhr von Leipzig über Plauen ebenfalls nach Karlsbad. Diese Züge befuhren die Strecke über das berühmte Göltzschtalviadukt. Karlex und Carola waren die letzten internationalen Verbindungen, die bis Ende September 1981 mit den SVT Bauart Görlitz besetzt wurden. Im Vogtland war der Zug allgemein nur als „Alex“ bekannt, unabhängig von der offiziellen Bezeichnung.
Laut RIC-Raster (Regolamento Internazionale Carrozze) war der SVT Bauart Görlitz, der unter der Baureihenbezeichnung VT 18.16 seine Zulassungen erhielt, für Deutschland, Österreich, Italien, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Schweden, Polen und Dänemark zugelassen und ist dort auch schon einmal gefahren.
Betrieb und Zuverlässigkeit
Trotz der anfänglichen Probleme bei der Auslieferung bewiesen die Züge eine verblüffende Zuverlässigkeit. Sie ermöglichten schnelles und bequemes Reisen. Der Betrieb des renommierten Zuges entwickelte in der Heimatdienststelle Berlin Karlshorst einen besonderen „Sportgeist“ und ein „Wir-Gefühl“. Kleinere Reparaturen wie der Wechsel einer Laufbuchse oder Turbine waren im Rahmen des täglichen Betriebs üblich und wurden von der Werkstatt vor Ort durchgeführt. Bei größeren Schäden, etwa am Getriebe, erfolgte die Reparatur im Raw Wittenberge. Reisende bemerkten die Zuverlässigkeit der Züge, die Ausfälle bei Reisezügen gewöhnt waren. Erschütterungen und Gleisunebenheiten steckte der Zug anstandslos weg und lief umso ruhiger, je schneller er fuhr.
Eine günstige Reisemöglichkeit ergab sich auf den internationalen Strecken des Karlex: Innerhalb des RGW-Rahmens kosteten die Fahrkarten nur halb so viel pro Kilometer (4 Pfennig statt 8 Pfennig), und es fielen keine Zuschläge an. Viele Reisende kauften daher eine Fahrkarte bis Marienbad (im internationalen Bereich), auch wenn sie bereits in Plauen ausstiegen. Allerdings war der Zug platzkartenpflichtig, und Platzkarten waren oft durch Funktionäre ausgebucht, was dazu führte, dass man oft „auf dem Schleichweg“ zusteigen musste.
Unfall und Ausmusterung
Ein trauriges Kapitel ereignete sich am 30. Oktober 1972 beim Unfall von Schweinsburg-Culten. Der Ex 69 Carola stieß auf dem eingleisigen Abschnitt zwischen Gößnitz und Werdau frontal mit dem D 273 zusammen. Dabei kamen 25 Menschen ums Leben. Als Unfallursache wurde später ermittelt, dass der Triebwagenführer ein Signal überfahren hatte, vermutlich beeinträchtigt durch Restalkohol. Ein Reservemaschinenwagen half später bei der Komplettierung des Zuges.
Die Ära der VT 18.16 im internationalen Verkehr endete im Jahr der DDR-Energiekrise 1981. Neben der Energieknappheit boten diesellokbespannte Züge ein erheblich größeres Platzangebot als die SVT. Nach der Einstellung der internationalen Läufe wurden zwei Züge noch bis 1985 auf der Strecke Berlin – Bautzen eingesetzt.
Nach dem Regelbetrieb: Museumszug und Legende
Anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins wurde 1987 ein SVT Bauart Görlitz als Museumszug wieder in Betrieb genommen. Seine Karriere als Museumszug sollte bald ebenso lange dauern wie sein Einsatz im Regeldienst. Dabei kam er auch wieder auf seinen alten Stammstrecken nach Prag und Karlsbad zum Einsatz.
Heute existieren noch mehrere Einheiten, darunter der Museumszug 175 014/019, der 1993 in den Park der betriebsfähigen Museumsfahrzeuge beim Verkehrsmuseum Nürnberg aufgenommen wurde. Eine Freizeitgruppe kümmert sich seit 1991 um den Erhalt dieses Fahrzeugs. Der Zug fuhr bei Sonderfahrten auch wieder durch das Vogtland und überfuhr das Göltzschtalviadukt. Er war bis zum Frühjahr 2003 betriebsfähig. Besondere Fahrten waren etwa die Teilnahme an der 150-Jahr-Feier der Schiefen Ebene 1998 oder der „Literaturexpress“ im Jahr 2000, der von Lissabon über Kaliningrad und Minsk nach Berlin führte.
Andere erhaltene Züge sind die Einheit 175 005/006, die zum Jugendclubzug umgebaut wurde, und die Einheit 175 015/016, die als Standobjekt in Berlin-Lichtenberg steht.
Der SVT Bauart Görlitz, oft liebevoll „Alex“ genannt, blieb bis zu seinem Einsatzende der exklusivste Zug der Deutschen Reichsbahn und war alles andere als ein Massenverkehrsmittel. Er verkörperte einen anderen Komfort und eine andere Art des Reisens. Seine Bekanntheit, insbesondere durch die Vorbilder Karlex und Carola im Vogtland, führte auch zu sehr guten Verkaufszahlen bei Modellbahnen. Der VT 18.16 wurde zu einer Legende auf Schienen, ein Symbol für das Streben der DDR nach „Weltniveau“ im internationalen Reiseverkehr.