Die industrielle Blütezeit Bitterfelds und das verseuchte Erbe der DDR

Bitterfeld und das verseuchte Erbe der DDR-Chemie | Reupload | Doku

Vor dreißig Jahren war Bitterfeld ein Synonym für Umweltzerstörung. Giftige Abfälle, verseuchte Böden und eine von Chemikalien geschwängerte Luft prägten das Bild der Region. Junge Reporter dokumentierten damals wochenlang die Folgen von siebzig Jahren Chemieproduktion und stießen auf erschreckende Zustände. Heute, drei Jahrzehnte später, kehren zwei von ihnen, eine ehemalige Zeitungsredakteurin und der Leipziger Fotograf Michael Kurt, zurück. Sie betreten ein völlig verändertes Bitterfeld.

Der einst schmuddelige Konsum auf dem Marktplatz ist modernen Geschäften gewichen, und der Keulehafen, einst eine stinkende Brühe, ist verschwunden. Frisch renovierte Fassaden und gepflegte Straßen prägen das neue Stadtbild. Die Abwanderung der Nachwendezeit scheint überwunden, und inzwischen ziehen wieder Menschen nach Bitterfeld – angelockt von günstigen Wohnkosten, grüner Umgebung und dem klaren Gottschee-See. Doch eine Frage bleibt: Was geschah mit den giftigen Altlasten?

Ein Besuch in der Gartensparte „Am Busch“ in Wolfen, direkt neben den ehemaligen Chemieanlagen, gibt einen Einblick in die damalige Realität. Noch in den 1990er-Jahren flossen übelriechende Abwässer durch einen Graben an den Gärten vorbei. Bewohner wie Siegfried Seidel berichten, dass sie trotz des Gestanks Gemüse ernteten und aßen. Heute ist der Kanal zugewachsen und der Gestank verschwunden. Doch ob das Gift wirklich gebannt ist, bleibt ungewiss.

Am berüchtigten Silbersee zeigt sich, dass manche Altlasten die Zeit überdauert haben. Der See, einst gefüllt mit Millionen Kubikmetern chemischer Abfälle, ist noch immer ein Problem. Obwohl die Oberfläche heute harmlos erscheint, lagert der Giftschlamm weiterhin darunter. Eine langfristige Sanierung ist geplant, doch die Gefahr bleibt.

Besonders gravierend ist die Altlast „Freiheit 3“. Unter einem unscheinbaren Stück Rasen lagern sechs Millionen Tonnen Chemieabfälle, von denen ein großer Teil hochgiftig ist. Versuche, die Deponie vollständig zu sanieren, scheiterten bislang. Stattdessen wird das Grundwasser mit Pump- und Reinigungssystemen überwacht. Ähnlich dramatisch ist die Lage in der „Grube Antonie“, einem Hotspot der Verseuchung. Ohne spezielle Pumpen und Klärwerke könnten die Schadstoffe in Wohngebiete und Flüsse gelangen.

Auch die Bergmannshofsiedlung, die in den 1990er-Jahren unter giftigen Gasen aus dem Grundwasser litt, bleibt ein Mahnmal für die Altlasten der Chemieindustrie. Heute schützen Sperrmauern und Drainagesysteme die Bewohner, doch die Maßnahmen sind teuer und anfällig.

Peter Krüger, ein ehemaliger Chemiearbeiter, setzt sich seit Jahren für ein Denkmal ein, das an das schwerste Unglück der DDR-Chemie erinnert: die Explosion von 1968, bei der 42 Menschen ums Leben kamen. Für ihn bleibt Bitterfeld ein Ort der Erinnerung – an Zerstörung, Wandel und unbewältigte Gefahren.

Obwohl Bitterfeld sich äußerlich gewandelt hat, bleibt das Erbe der Chemieindustrie spürbar. Der Fortschritt ist sichtbar, doch im Untergrund lauert weiterhin die Bedrohung. Die Region hat einen weiten Weg zurückgelegt, doch das Kapitel der Altlasten ist längst nicht abgeschlossen.

Redakteur/Blogger/Journalist: Arne Petrich

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Weitere aktuelle Beiträge