Thüringens geschäftsführender Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) äußert deutliche Bedenken hinsichtlich der Effektivität eines geplanten Corona-Untersuchungsausschusses im Thüringer Landtag. Er ist skeptisch, ob ein solcher Ausschuss ausreichend breit gefasst werden kann, um die vielfältigen Folgen der Pandemie in angemessener Weise aufzuarbeiten. Seiner Meinung nach sei der Fokus eines Untersuchungsausschusses zu eng und beschränke sich hauptsächlich auf mögliche Fehler im regierungsamtlichen Handeln, während wesentliche Fragen zur zukünftigen Krisenbewältigung nicht behandelt würden. „In einem Untersuchungsausschuss gibt es einen eingeschränkten Suchradius. Dort werden ausschließlich Fehler im regierungsamtlichen Handeln untersucht, aber die Frage, was wir für die Zukunft aus der Corona-Pandemie mit Blick auf Resilienz lernen, wird nicht beantwortet“, betonte Ramelow in einem Interview mit der Presse.
Ramelows Forderung nach umfassender Aufarbeitung
Statt eines reinen Untersuchungsausschusses plädiert Ramelow für eine systematische Aufarbeitung der Pandemie, sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene. Er spricht sich für die Einrichtung einer Enquete-Kommission aus, die die Pandemie und ihre Auswirkungen umfassend analysieren und dabei vor allem Zukunftsfragen in den Mittelpunkt stellen soll. „Ich bin seit längerer Zeit der Überzeugung, dass es eine systematische Aufarbeitung braucht“, erklärte der Ministerpräsident. Diese solle weniger auf die Frage der Schuldzuweisung fokussiert sein, sondern vielmehr die notwendigen Lehren für mögliche künftige Pandemien und ähnliche Krisensituationen ziehen. „Es geht nicht um Schuld, sondern um die Frage, welche Schlussfolgerungen für eine mögliche nächste pandemische Großlage zu ziehen sind“, stellte Ramelow klar.
Ein zentraler Punkt, der dabei untersucht werden müsste, sei die unzureichende Ausstattung mit medizinischem Material zu Beginn der Pandemie. Ramelow kritisiert, dass es anfangs keine Verpflichtung zum Tragen von FFP2-Masken gegeben habe und stattdessen selbst genähte Masken akzeptiert wurden. „Hintergrund ist ein Erkenntnisprozess, dass das Material nicht vorhanden gewesen ist“, erläuterte er. Die Tatsache, dass die Produktion von medizinischen Produkten wie Masken in der Vergangenheit ins Ausland verlagert worden sei, habe das Land in eine schwierige Lage gebracht. Dies sei eine wesentliche Lehre, die gezogen werden müsse, um in Zukunft besser auf ähnliche Situationen vorbereitet zu sein.
Unterschiedliche Ansätze zur Aufarbeitung der Pandemie
Trotz Ramelows Vorbehalte treibt die Opposition, bestehend aus der neuen Wagenknecht-Partei BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) und der CDU, die Einrichtung eines Corona-Untersuchungsausschusses im Thüringer Landtag voran. Dieser soll sich insbesondere mit der Rolle und Verantwortung der Thüringer Landesregierung in der Pandemie auseinandersetzen. Neben den 15 Abgeordneten der BSW haben auch CDU-Vertreter wie Fraktionschef Mario Voigt, der Parlamentarische Geschäftsführer Andreas Bühl sowie die Abgeordneten Beate Meißner und Marcus Malsch den Antrag auf Einsetzung des Untersuchungsausschusses unterzeichnet.
Andreas Bühl von der CDU betonte, dass seine Partei den Antrag unterstütze, obwohl sie ursprünglich eine Enquete-Kommission für den geeigneteren Weg gehalten habe. „Wir wollen zusammenführen und nicht spalten, dazu gehört auch Fehler einzuräumen“, sagte Bühl und fügte hinzu, dass die Union den Blick im Ausschuss „konstruktiv nach vorne richten“ wolle. Die Einrichtung einer Enquete-Kommission sei zwar der präferierte Weg der CDU gewesen, doch nachdem absehbar war, dass ein Untersuchungsausschuss kommen würde, habe die Union den BSW-Antrag unterstützt, um die nötige Mehrheit zu sichern. „Da jedoch absehbar war, dass es in jedem Fall einen Corona-Untersuchungsausschuss geben wird, haben wir dem BSW-Antrag zum Mindestquorum verholfen“, erklärte Bühl weiter. Bereits vor zwei Jahren hatte die Union im Landtag versucht, eine Enquete-Kommission zu initiieren, war jedoch gescheitert.
Vorbehalte gegenüber dem Untersuchungsausschuss
Trotz der breiten politischen Unterstützung für den Untersuchungsausschuss äußert Bodo Ramelow deutliche Zweifel daran, dass dieses Gremium die notwendigen Erkenntnisse für die Zukunft liefern wird. Er glaubt nicht, dass der Ausschuss in der Lage sein wird, tiefgreifende Lehren aus der Pandemie zu ziehen. „Dass der Ausschuss jetzt die notwendigen Lehren für die Zukunft zutage fördert, daran habe ich erhebliche Zweifel“, sagte Ramelow. Dennoch stellt er klar, dass er den Ausschuss nicht aktiv bekämpfen werde. „Aber ich werde diesen Ausschuss nicht bekämpfen und mich den Befragungen stellen“, kündigte er an.
Ramelow geht davon aus, dass die Einsetzung des Untersuchungsausschusses im Thüringer Landtag eine Mehrheit finden wird. Er selbst gehört weiterhin als Abgeordneter diesem Parlament an und wird sich dem Ausschuss in seiner Rolle als ehemaliger Ministerpräsident stellen. Dabei betonte er, dass es ihm wichtig sei, dass die richtigen Fragen gestellt werden – insbesondere mit Blick auf die zukünftige Krisenresilienz des Landes.
Die Rolle der Parteien bei der Aufarbeitung
Die Frage, wie die Corona-Pandemie und ihre Folgen politisch aufgearbeitet werden sollen, bleibt ein kontroverses Thema in Thüringen. Während die BSW und die CDU einen klaren Fokus auf die Untersuchung von Fehlern und Versäumnissen der Landesregierung legen wollen, sieht Ramelow die Notwendigkeit, weiter zu denken. Eine rein rückwärtsgerichtete Analyse der Pandemiepolitik reiche seiner Meinung nach nicht aus. Vielmehr müsse der Blick in die Zukunft gerichtet werden, um die Krisenfestigkeit von Staat und Gesellschaft zu stärken. Die SPD hatte bereits in der Vergangenheit die Einrichtung einer Enquete-Kommission gefordert, konnte sich jedoch in der damaligen Koalition nicht durchsetzen.
Mit der geplanten Einsetzung des Corona-Untersuchungsausschusses steht Thüringen nun vor der Herausforderung, die unterschiedlichen politischen Ansätze zur Aufarbeitung der Pandemie miteinander zu vereinen. Es bleibt abzuwarten, ob der Ausschuss tatsächlich in der Lage sein wird, sowohl die Vergangenheit aufzuarbeiten als auch die Weichen für eine bessere Krisenbewältigung in der Zukunft zu stellen.