Am 25. September wurden 12 Stolpersteine in Schwerin verlegt. Unter ihnen – die Zeugin Jehovas Emma Tiesel. Damit erinnert erstmals in Mecklenburg-Vorpommern ein solcher Stein an ein im Nationalsozialismus verfolgtes Mitglied der Zeugen Jehovas.
Das Wohnhaus der 1890 geborenen Schwerinerin Emma Tiesel in der Heinrich-Mann-Straße existiert heute nicht mehr. Doch ein Stolperstein, eingelassen in den Bürgersteig, erinnert an sie und ihr Schicksal. Dieser Stolperstein ist von besonderer Bedeutung, denn er ist der erste seiner Art in Mecklenburg-Vorpommern, der an ein von den Nationalsozialisten verfolgtes Mitglied der Zeugen Jehovas erinnert. Am 25. September wurde dieser Gedenkstein verlegt – ein emotionaler Moment für viele Anwesende, insbesondere für Tiesels Enkelin Johanna Dunken.
Für Johanna Dunken war es eine Herzensangelegenheit, diesen Stolperstein für ihre Großmutter verlegen zu lassen. „Für mich war es ein Bedürfnis, ihr den Stein legen zu lassen, weil sie mir wirklich sehr, sehr viel vorgelebt hat. Und zwar an Gottestreue und an Liebe zu Gott, und damit auch sehr viel Motivation gegeben hat, meine Mitmenschen zu lieben. Das versuche ich genauso auszuleben, wie sie es gemacht hat“, erklärte Dunken mit tiefer Rührung. Diese persönlichen Worte zeigen, wie stark der Glaube und die Werte von Emma Tiesel bis heute in ihrer Familie nachhallen.
Emma Tiesel war eine Frau von großer Überzeugung. Im Jahr 1925 schloss sie sich den Zeugen Jehovas an, die damals noch als Bibelforscher bekannt waren. Schwerin beherbergte damals die größte Gruppe dieser Glaubensgemeinschaft in Mecklenburg-Vorpommern, mit rund 120 Mitgliedern. Doch schon wenige Jahre später, ab 1933, wurden die Zeugen Jehovas systematisch von den Nationalsozialisten verfolgt. Ihr Glaube und ihre Überzeugungen standen im direkten Widerspruch zu den Ideologien des Regimes, und sie wurden deshalb gnadenlos unterdrückt.
Emma Tiesel ist ein herausragendes Beispiel für den Mut und die Standhaftigkeit der Zeugen Jehovas, die trotz schwerster Verfolgung fest an ihrem Glauben festhielten. Sie und ihre Glaubensbrüder und -schwestern widersetzten sich dem Druck des Naziregimes. „Emma Tiesel steht für eine mutige Glaubensgemeinschaft. Für Männer und Frauen, die vom ersten Tag an sich dem Zugriff des Naziregimes entzogen haben. Die nicht bereit gewesen sind, den Hitlergruß zu entbieten, schon gar nicht bereit, unschuldige Mitbürger zu denunzieren oder sich in die Kriegsmaschinerie einspannen zu lassen“, sagte ein Vertreter bei der Zeremonie.
Die Zeugen Jehovas verweigerten es, den nationalsozialistischen Führerkult zu unterstützen. Sie lehnten jede Form der Kriegsbeteiligung ab und riskierten damit ihr Leben. Während viele andere in Deutschland still blieben oder gar mit dem Regime kooperierten, standen die Zeugen Jehovas oft einsam da. Sie hielten an ihrer Überzeugung fest, dass Gewalt und Krieg nicht mit ihrem Glauben vereinbar seien, auch wenn dies für sie Inhaftierung, Folter oder sogar den Tod bedeutete. Emma Tiesel war eine dieser mutigen Frauen, die sich weigerte, ihren Glauben aufzugeben – eine Tat, die in einer Zeit des Terrors und der Gewalt außergewöhnlich war.
Neben dem Stolperstein für Emma Tiesel wurden an diesem Tag auch weitere Stolpersteine in Schwerin verlegt. So erhielten unter anderem Otto Ielli, Renate Eddie, Peter Löwental, Julius und Elfriede Stein sowie Käte und Martha Ladewich ihre eigenen Stolpersteine. Diese wurden an verschiedenen Orten in der Stadt verlegt, beispielsweise am Dämmlerplatz, in der Mozartstraße, Friedrichstraße und der Buschstraße. Ebenso erinnert ein Stein an Heinrich Markus in der Puschkinstraße.
Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig und sollen an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern. Diese kleinen, in den Boden eingelassenen Gedenktafeln tragen die Namen, Geburtsdaten und – soweit bekannt – die Sterbedaten der Menschen, die von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden. Sie erinnern uns im Alltag daran, dass die Geschichte des Nationalsozialismus nicht nur eine abstrakte, ferne Erzählung ist, sondern dass hinter jedem Schicksal ein Mensch steht – ein Mensch mit Familie, mit Hoffnungen, mit Träumen. Die Stolpersteine zwingen uns, innezuhalten und uns daran zu erinnern, dass auch in unseren Städten Menschen Opfer dieser schrecklichen Zeit wurden.
In Schwerin wird die Erinnerung an Emma Tiesel und die anderen Opfer des Nationalsozialismus durch diese Gedenksteine weiterleben. Der Stolperstein für Emma Tiesel ist nicht nur ein Symbol für ihren persönlichen Mut und ihre Treue zu ihrem Glauben, sondern auch ein Zeugnis dafür, wie wichtig es ist, an die Opfer des Nationalsozialismus zu erinnern. Die Verlegung dieses ersten Stolpersteins für ein Mitglied der Zeugen Jehovas in Mecklenburg-Vorpommern ist ein weiterer Schritt, das Gedenken an diese oft übersehene Opfergruppe zu bewahren.
Die Zeremonie rund um die Verlegung des Stolpersteins war für viele Teilnehmer ein emotionaler Moment. Johanna Dunken, die Enkelin von Emma Tiesel, hat in den Erinnerungen an ihre Großmutter Trost und Inspiration gefunden. Ihre Worte und ihre Entschlossenheit, die Erinnerung an ihre Großmutter lebendig zu halten, stehen symbolisch für die vielen Nachkommen von Holocaust-Opfern, die dafür sorgen, dass die Geschichte ihrer Familien nicht vergessen wird.