In einem Interview mit einem amerikanischen Reporter geriet der damalige Parteisekretär Walter Ulbricht in erhebliche Erklärungsnot. Der Reporter stellte die brisante Frage, wie es möglich sei, dass in der DDR eine umfassende Umbenennung von Straßen, Plätzen und Stadien stattfinde, während gleichzeitig behauptet werde, eine Entstalinisierung sei im Land nicht notwendig.
Ulbricht, der für seine Fähigkeit bekannt war, sich geschickt aus heiklen Situationen herauszureden, stand in diesem Moment unter Druck. Der Reporter forderte eine präzise Erklärung für die Diskrepanz zwischen der offensichtlichen Praxis der Umbenennung und der politischen Rhetorik der DDR.
Der amerikanische Reporter wies darauf hin, dass er selbst die Umbenennung von Orten in Rostock und anderen Städten der DDR beobachtet hatte. Diese Maßnahmen schienen ein klares Zeichen für eine grundlegende Veränderung der politischen Landschaft zu sein. Der Reporter fragte, wie es mit der offiziellen Haltung der DDR zusammenpasse, dass eine Entstalinisierung nicht erforderlich sei, wenn doch auf der Ebene der Stadtgestaltung eine solche Veränderung stattfinde.
Ulbricht, sichtlich angespannt, hatte Schwierigkeiten, auf die Frage konkret und überzeugend zu antworten. Statt einer klaren Erklärung bot er eher allgemeine Bemerkungen und Versuche an, die Situation zu beschönigen. Er vermied es, direkt auf die widersprüchlichen Aspekte der Politik einzugehen und wich stattdessen auf vage Argumente aus.
Das Interview machte deutlich, dass die politischen Führer der DDR unter dem Druck der internationalen Beobachter standen und Schwierigkeiten hatten, ihre internen Widersprüche offen zu erklären. Ulbrichts Antwort zeigte, dass die DDR in der internationalen Arena mit einer komplexen und oft inkonsistenten politischen Realität konfrontiert war, die nicht leicht zu kommunizieren war.
Entstalinisierung 1949 – 1961
Nach Stalins Tod 1953 leitete dessen Nachfolger Nikita Chruschtschow auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 die Entstalinisierung ein. Dies überraschte und verwirrte die DDR-Führung. Bis vor dem Parteitag verteidigte und lobte sie Stalin und bemerkte den Politikwechsel erst spät. Ulbricht erkannte die Brisanz und passte seine Begrüßungsrede an die neuen Aussagen der sowjetischen Führer an.
Sofort nach dem Parteitag versuchte die SED-Führung, ihren Mitgliedern die neuen „Lehren“ zu vermitteln. Ulbricht schrieb im Zentralorgan der SED, der Zeitung Neues Deutschland, Stalin sei kein „Klassiker des Marxismus-Leninismus mehr“ – nachdem er noch einen Monat zuvor das Gegenteil gesagt hatte. Auch wenn die SED die Frage der Entstalinisierung auf ihrem Parteitag nur am Rande behandelte, erschütterte diese das Weltbild der deutschen Kommunisten.
Letztlich hatte sich die DDR zu keinem Zeitpunkt vollständig vom Stalinismus verabschiedet – und nachdem 1985 in der Sowjetunion antistalinistische Filme und Zeitschriftenbeiträge zugelassen wurden, kam es deshalb auch zum Bruch mit dem bisherigen Vorbild.
Im Zuge der zaghaften Entstalinisierung wurden jedoch 25.000, vor allem politische Häftlinge entlassen und zahlreiche Politiker (Franz Dahlem, Anton Ackermann, Hans Jendretzky und andere) rehabilitiert.