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Steinzeitdorf in Magdeburg öffnet nach mehrjähriger Schließung

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Magdeburg-Randau. Nach mehr als zweijähriger Zwangspause öffnete das Steinzeitdorf in Magdeburg-Randau am 1. Mai wieder seine Pforten. Die rustikale Nachbildung prähistorischer Langhäuser und Werkstätten hatte seit 2022 keine regelmäßigen Führungen und pädagogischen Angebote mehr ermöglicht – doch nun lädt das Freilichtmuseum Familien, Schulklassen und Geschichtsbegeisterte ein, in längst vergangene Zeiten einzutauchen.

Neue Partnerschaft sichert Zukunft des Freilichtmuseums
Möglich wird die Wiedereröffnung durch eine Kooperation zwischen den Pfeifferschen Stiftungen und dem Förderverein Randau. „Die Pfeifferschen Stiftungen bringen nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch Expertise im Bereich Bildungs- und Erlebnismuseum ein“, erklärt Martina Schulz, Vorsitzende des Fördervereins. Gemeinsam wollen beide Träger das Dorf langfristig betreiben und weiterentwickeln.

Die Landeshauptstadt Magdeburg hatte bereits 600.000 Euro in die Sanierung investiert: Das historische Gruppenhaus wurde instand gesetzt, mehrere Langhäuser vollständig erneuert und ein neues Backhaus errichtet. Weitere Fördermittel in Höhe von 350.000 Euro stehen bis 2026 bereit, um etwa Wege zu befestigen, Ausstellungsstücke zu ergänzen und barrierefreie Zugänge zu schaffen.

Wiedereröffnung mit mittelalterlichem Flair
Zur offiziellen Eröffnung vom 1. bis 3. Mai lädt der Förderverein Randau zu einem vielfältigen Rahmenprogramm ein. Zwei Lagergruppen – die Händlersippe „Anno 962“ und die „Harzfüchse“ – präsentieren mittelalterliches Handwerk und Handelswaren. Während die einen Bronze- und Silberwaren feilbieten, zeigen die Harzfüchse traditionelle Holzschnitzarbeiten und geben Einblick in alte Zimmermannstechniken.

Für das leibliche Wohl sorgen am 1. Mai ab 10 Uhr die Freiwillige Feuerwehr Randau und der Förderverein: Auf dem Areal brutzeln Bratwurst und Stockbrot, Met und Kräutertee dürfen natürlich nicht fehlen. Auch handgemachte Keramik, Wolltextilien und Lederwaren finden reißenden Absatz.

Bildungsangebot für Jung und Alt
Abseits der Festtage sollen künftig wieder regelmäßig Kurse stattfinden: Töpfern in der Feuerscheune, Weben an originalgetreuen Webstühlen und Bogenschießen auf der Wiese hinter dem Gruppenhaus. Die Programme richten sich vor allem an Schulklassen, die das Dorf nach vorheriger Anmeldung besuchen können. „Für unsere Schülerinnen und Schüler ist das Steinzeitdorf mehr als nur ein Museumsbesuch – hier wird ihre Geschichtserzählung lebendig“, sagt Anna Becker, Lehrerin an der Regionalen Schule „Am Elbauenpark“.

Auch Erwachsene sollen mit Workshops und Sonderführungen angesprochen werden. Geplant sind unter anderem „Archäologische Sondagen“, bei denen Interessierte selbst Grabungsgeräte ausprobieren dürfen, sowie Themenabende zu Ernährung und Werkzeugtechnik der Jungsteinzeit.

Perspektiven und Herausforderungen
Trotz der neu gesicherten Finanzierung steht das Steinzeitdorf vor Herausforderungen: Die Erschließung weiterer Förderquellen für Personal- und Betriebskosten bleibt eine Daueraufgabe. Darüber hinaus müssen Konzepte entwickelt werden, um bei wechselhaftem Wetter Ausweichmöglichkeiten für Veranstaltungen zu bieten.

Den Verantwortlichen ist jedoch bewusst, dass gerade das einzigartige Konzept des prähistorischen Freilichtmuseums viele Besucher anzieht. „Unser Ziel ist es, das Dorf zu einem festen Bestandteil der regionalen Bildungslandschaft zu machen“, so Schulz. Wenn das Konzept aufgeht, könnten künftig nicht nur Touristen, sondern auch junge Familien und Kulturinteressierte aus ganz Sachsen-Anhalt den Alltag der Altsteinzeit hautnah erleben – ganz im Sinne von „Herz, Hand und Feuerstein“.

Die „Ferkeltaxen“ der Deutschen Reichsbahn

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In den frühen 1960er Jahren brachte die Deutsche Reichsbahn mit dem VT 2.09 eine neue Generation von Leichttriebwagen auf die Schienen. Diese Fahrzeuge sollten den Nahverkehr auf nicht elektrifizierten Strecken verbessern und zugleich die Betriebskosten senken. Der VT 2.09, später als BR 172 bezeichnet, war ein bedeutender Schritt in der Modernisierung des Schienenverkehrs in der DDR.

Die Entwicklung der VT 2.09 begann in den späten 1950er Jahren, als die Reichsbahn erkannte, dass die vorhandenen Triebwagen den gestiegenen Anforderungen des Personenverkehrs nicht mehr gerecht wurden. Ziel war es, einen robusten, zuverlässigen und wirtschaftlichen Triebwagen zu konstruieren, der sowohl im städtischen als auch im ländlichen Raum eingesetzt werden konnte. Die Konstruktion übernahm der VEB Waggonbau Bautzen, ein renommierter Hersteller von Eisenbahnfahrzeugen.

Der VT 2.09 war ein zweiteiliger Dieseltriebwagen, der aus einem motorisierten Triebwagen und einem antriebslosen Beiwagen bestand. Die Fahrzeuge verfügten über eine einfache, aber funktionale Ausstattung, die den Bedürfnissen des Nahverkehrs angepasst war. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h und einer Leistung von 300 PS konnte der VT 2.09 auf vielen Strecken einen schnellen und effizienten Transport gewährleisten.

Technisch überzeugte der VT 2.09 durch seine robuste Bauweise und die Verwendung bewährter Komponenten. Der Dieselmotor wurde von der Firma VEB Motorenwerk Johannisthal geliefert, während die Getriebe von VEB Getriebebau „Roter Oktober“ in Magdeburg stammten. Diese Zusammenarbeit verschiedener DDR-Betriebe garantierte eine hohe Verfügbarkeit von Ersatzteilen und eine einfache Wartung der Triebwagen.

Der Einsatz des VT 2.09 begann 1962 und erlebte schnell eine breite Akzeptanz bei Fahrgästen und Eisenbahnern. Die Triebwagen wurden auf zahlreichen Nebenstrecken in der gesamten DDR eingesetzt und galten als zuverlässig und komfortabel. Besonders auf Strecken mit geringem Fahrgastaufkommen und schwierigen topografischen Bedingungen spielten die VT 2.09 ihre Vorteile aus.

Ein markantes Merkmal des VT 2.09 war seine charakteristische Lackierung in den Farben der Deutschen Reichsbahn, die ihn sofort erkennbar machte. Auch das Interieur wurde mehrfach modernisiert, um den steigenden Ansprüchen gerecht zu werden. Die Fahrzeuge boten Platz für etwa 120 Fahrgäste und waren sowohl im Berufs- als auch im Ausflugsverkehr im Einsatz.

Mit der politischen Wende 1989 und der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 änderte sich auch die Situation der Deutschen Reichsbahn und ihrer Fahrzeuge. Viele VT 2.09 wurden noch einige Jahre weiter betrieben, bevor sie nach und nach durch modernere Triebwagen ersetzt wurden. Einige Exemplare wurden jedoch erhalten und finden sich heute in verschiedenen Eisenbahnmuseen oder werden bei Sonderfahrten eingesetzt.

Der VT 2.09 bleibt ein bedeutendes Kapitel in der Geschichte der Deutschen Reichsbahn und ein Symbol für die Bemühungen um eine effiziente und moderne Nahverkehrslösung in der DDR. Die Leichttriebwagen standen für Fortschritt und Zuverlässigkeit und trugen wesentlich zur Mobilität in der DDR bei.

Goethe, Schiller und die Weimarer Klassik: Von Sturm und Drang zur nationalen Ikone

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Weimar / Jena. Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller gelten bis heute als Eckpfeiler deutscher Literatur. Ihre enge Zusammenarbeit, die ab 1794 in Weimar und Jena blühte, prägt das, was wir heute als „Weimarer Klassik“ bezeichnen. Doch wie entstand diese Epoche, und was macht sie bis heute so einzigartig – und umstritten?

Anfänge im Sturm und Drang
Beide Dichter starteten ihre Karriere in der aufwühlenden Phase des Sturm und Drang, einer Strömung, die das Individuum feierte und Konventionen radikal hinterfragte. Goethe, 1749 in Frankfurt am Main geboren, feierte mit seinem Drama Götz von Berlichingen (1773) und vor allem mit dem Briefroman Die Leiden des jungen Werther (1774) erste literarische Triumphe. Letzterer löste nicht nur eine Modewelle aus – junge Männer kleideten sich fortan in gelber Weste und blauem Frack –, sondern machte Goethe schlagartig zum gefeierten Schriftsteller.

Schiller, zehn Jahre jünger und 1759 in Marbach am Neckar geboren, wagte 1781 mit Die Räuber sein Debüt. Das Drama, in dem zwei Brüder die bestehende Ordnung herausfordern, stieß auf begeisterte Resonanz und machte den jungen Autor berühmt. Doch der Herzog von Württemberg verbot ihm daraufhin, weiterhin literarisch zu arbeiten. Schiller verlor sein sicheres Einkommen und entschied sich zur Flucht – ein radikaler Schritt, der seinem künstlerischen Selbstverständnis entsprang.

Freundschaft und Weimarer Klassik
Trotz ihrer frühen Erfolge dauerte es bis Juli 1794, bis Goethe und Schiller in Jena erstmals ernsthaft miteinander ins Gespräch kamen. Ein Vortrag Schillers war Anlass für ein so lebhaftes, langes Gespräch, dass beide den Beginn einer prägenden Freundschaft empfanden. Schillers Umzug nach Weimar im Dezember 1799 und sein Adelstitel (1802) brachten die beiden schließlich physisch zusammen.

In zahlreichen nächtlichen Diskussionen entwickelten sie ein gemeinsames ästhetisches Programm: die Rückkehr zu antiken Vorbildern, die Förderung von Humanität und Toleranz sowie das Gleichgewicht von Gefühl und Verstand. Goethe ließ sich von seiner Italienreise (1786–1788) inspirieren, Schiller von seiner historischen Professur in Jena. Werke wie Goethes Iphigenie auf Tauris (1787) und Schillers Wallenstein-Trilogie (1798–1799) wurden zu Musterbeispielen klassischer Dramen – streng strukturiert, in Versform und mit moralischem und erzieherischem Anspruch.

Antike Ideale und humanistischer Anspruch
Die Weimarer Klassik verstand sich als Gegenentwurf zu den Gewalt­exzessen der Französischen Revolution. Goethe und Schiller plakatierten Werte wie Menschenwürde und sittliche Verantwortung – als Korrektiv zu den chaotischen Umbrüchen ihrer Zeit. Antike Kunst und Dichtung galten ihnen als Vorbild: Nicht nur in Struktur und Form, sondern auch in Haltung.

Rezeption und nationale Vereinnahmung
Nach Schillers frühem Tod am 9. Mai 1805 setzte Goethe die gemeinsame Arbeit fort und wurde zur Symbolfigur deutscher Kultur. Bereits 1832 – wenige Jahre nach Goethes Tod 1832 – erhob die nationale Bewegung beide Dichter zu „National­dichtern“. Das berühmte Doppel­denkmal von 1857 vor dem Weimarer Theater festigte dieses Bild.

Im 19. Jahrhundert trug die Vereinnahmung als „kultureller Klebstoff“ den Gedanken eines Nationalstaats. Paradoxerweise engagierten sich weder Goethe noch Schiller zeitlebens für deutsche Einheitsbestrebungen – umso heftiger aber wurde ihr Erbe politisch instrumentalisiert, nicht zuletzt im Nationalsozialismus, wo sie als Vorläufer ge­genwärtiger Ideologie stilisiert wurden.

„Weimarer Klassik“ heute: Schlagwort und Kritik
Literaturwissenschaftler behalten den Begriff „Weimarer Klassik“ trotz Kritik bei, um die außergewöhnliche Phase intensiver Zusammenarbeit Goethes und Schillers zu beschreiben. Gleichwohl mahnen sie an, dass die Epoche nicht allein durch zwei Autoren definiert werden darf: Auch Christoph Martin Wieland, Johann Gottfried Herder und andere prägten das kulturelle Klima am Weimarer Hof.

Die Weimarer Klassik bleibt ein faszinierendes Kapitel deutscher Geistesgeschichte: zwei herausragende Persönlichkeiten, die aus Sturm und Drang zu einem Modell „klassischer“ Harmonie fanden und deren Werke bis heute gelesen und diskutiert werden. Gleichzeitig wirft die nachträgliche nationale Instrumentalisierung ein Schlaglicht auf die Gefahren, literarisches Erbe für politische Zwecke zu vereinnahmen.

Ob man Goethe und Schiller als „unbedingt lesenswerte“ Autoren betrachtet oder andere Literaten bevorzugt – das Erbe beider ungebrochener Klassiker bietet vielfältige Ansätze für Diskussionen über Ästhetik, Moral und den Umgang mit kulturellem Erbe im 21. Jahrhundert.

Talsperre Klingenberg: Geschichte, Sanierung und Zukunftssicherheit im Spiegel der Zeit

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Die Talsperre Klingenberg – ein Bauwerk, das seit über 100 Jahren dem Element Wasser trotzt – wurde nach dem Jahrhundert-Hochwasser 2002 einer umfassenden Sanierung unterzogen. Heute steht sie nicht nur als Zeugnis frühzeitiger Ingenieurskunst, sondern auch als Symbol für moderne Technik und zukunftssichere Wasserversorgung.

Ein Jahrhundertbauwerk im Wandel der Zeit
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkannte man im Erzgebirge die Notwendigkeit, Wasser nicht nur zu speichern, sondern auch vor verheerenden Hochwassern zu schützen. Der Architekt Hans Pölzig entwarf 1908 eine Staumauer, die allein durch ihre Masse dem Druck des Wassers standhalten sollte. In den folgenden Jahren wurde die Talsperre als Mehrzweckbauwerk – zur Trinkwasserversorgung für Tharandt, Freital und später auch Dresden – errichtet. Dabei spielte der Einsatz von Bruchsteinmauerwerk, eigens aufbereiteter Mörtel und sogar dampfbetriebene Bagger eine entscheidende Rolle.

Die Jahrhundertflut und ihre Folgen
Am 12. August 2002 wurde das Erzgebirge Zeuge eines außergewöhnlichen Naturereignisses: Über 312 Millimeter Regen innerhalb kürzester Zeit ließen die Wasser der Wilden Weißeritz in ungeahnte Höhen steigen. Obwohl die ursprüngliche Vorsperre den Wassermassen nicht standhalten konnte, bewies die Hauptsperre – gebaut vor mehr als einem Jahrhundert – trotz altersbedingter Mängel noch ihre Widerstandskraft. Dennoch machte diese Flut offensichtlich, dass das Bauwerk den heutigen Anforderungen an Hochwasserschutz und Trinkwassersicherheit nicht mehr gerecht werden konnte.

Moderne Sanierung – Ein Meisterwerk der Ingenieurskunst
Unter der Leitung von Wasserbauingenieur Michael Humsch begann der ehrgeizige Sanierungsplan, der über acht Jahre hinweg rund 85 Millionen Euro kostete. Moderne Technik traf hier auf historische Bausubstanz: Der alte Umlaufstollen wurde in einen Grundablass umgewandelt, die Hochwasserentlastungsanlage komplett modernisiert und die originalgetreue Optik der Talsperre wiederhergestellt. Mit innovativen Modellversuchen der TU Aachen im Maßstab 1:30 konnten die Ingenieure präzise die Auswirkungen von Hochwasserströmen berechnen und so den Neubau der Entlastungsanlagen optimal planen.

Besonders dramatisch wurde es während des Tunnelbaus: Eine Tunnelbohrmaschine stieß unerwartet in einen alten Bergwerksstollen, was zu einem Wassereinbruch führte. Die Bauarbeiten wurden unterbrochen, um den Altbergbau zu sichern – ein Rückschlag, der jedoch nicht den Fortschritt des Projekts aufhielt. Nach einer zeitweisen Verzögerung konnte die Bohrmaschine ihren Weg fortsetzen und den Tunnel erfolgreich fertigstellen.

Ein Bauwerk für die Zukunft
Mit der Wiederinbetriebnahme der sanierten Talsperre im Frühjahr 2012 wurde nicht nur die Wasseraufnahme auf 15 Millionen Kubikmeter sichergestellt, sondern auch die Funktionalität für den Hochwasserschutz drastisch verbessert. Über 200 Kubikmeter Wasser pro Sekunde können im Notfall abgegeben werden – ein entscheidendes Kriterium, um auch zukünftige Extremereignisse zu meistern. Bereits bei der Juniflut 2013 bewies das modernisierte Bauwerk seine Leistungsfähigkeit, indem es den störungsfreien Betrieb der Trinkwasserversorgung für Dresden garantierte.

Die Sanierung der Talsperre Klingenberg ist mehr als nur ein technisches Update – sie ist ein Symbol für den gelungenen Spagat zwischen Erhalt historischer Baukunst und dem Erfordernis moderner Sicherheitstechnik. Handwerker und Ingenieure zweier Jahrhunderte haben ihre Spuren hinterlassen, um auch künftigen Generationen zuverlässigen Schutz und hochwertiges Trinkwasser zu garantieren.

„Freiheit auf dem Rückzug?“ – Eine politische Bestandsaufnahme Ostdeutschlands

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Warum die AfD im Osten so stark ist – Eindrücke von einer brisanten Veranstaltung

Der große Saal des Karl-Rainer-Instituts in Leipzig war am 14. März bis auf den letzten Platz gefüllt. Rund 250 Gäste kamen, um einer Veranstaltung beizuwohnen, deren Titel bereits andeutete, dass es um mehr als eine bloße Wahlanalyse ging: „Der Osten Deutschlands: Freiheit auf dem Rückzug? Warum die AfD so stark ist.“ Eingeladen hatte das Institut in Kooperation mit der Initiative „Demokratie stärken“, die sich seit Jahren um politische Bildung und Dialog in Ostdeutschland bemüht. Als Gäste auf dem Podium: der Historiker und Bürgerrechtler Ilko-Sascha Kowalczuk und der Demokratieforscher Dr. Michael Jennewein.

Die zentrale Frage des Abends war deutlich: Wie konnte sich die AfD in weiten Teilen Ostdeutschlands zur stärksten politischen Kraft entwickeln? Und was bedeutet das für das demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik?

Die AfD – ein gesamtdeutsches Phänomen mit ostdeutscher Zuspitzung
Wie die Bundestagswahl, aber auch zahlreiche Landtagswahlen der letzten Jahre gezeigt haben, ist die AfD längst kein rein ostdeutsches Phänomen mehr. Sie ist in ganz Deutschland präsent – doch in Ostdeutschland ist sie besonders erfolgreich. In manchen Wahlkreisen erreicht sie inzwischen beinahe 50 Prozent der Stimmen. Das politische Klima hat sich dort spürbar verändert: In vielen Gemeinden stellt die AfD die stärkste Fraktion im Gemeinderat, und ihre Kandidaten gewinnen zunehmend auch Bürgermeisterposten.

Warum wählen Ostdeutsche 35 Jahre nach der Wiedervereinigung so anders als der Westen? Wieso wird die liberale Demokratie ausgerechnet dort in Frage gestellt, wo 1989 die erste erfolgreiche Revolution auf deutschem Boden stattfand?

Diese Fragen durchziehen nicht nur die Diskussion des Abends, sondern auch das jüngste Buch von Ilko-Sascha Kowalczuk. In „Freiheitsschock. Eine andere Geschichte Ostdeutschlands von 1989 bis heute“ beschreibt er, wie der Osten nach dem Zusammenbruch der DDR einen radikalen Umbruch erlebte – einen „Schock der Freiheit“, wie er es nennt. Kowalczuk analysiert präzise die Frustrationen des Vereinigungsprozesses, die weit verbreitete Opfermentalität, das Gefühl, übergangen und entmachtet worden zu sein – und die langfristigen Wirkungen der SED-Propaganda, die tief in den kollektiven Bewusstseinsstrukturen der DDR-Gesellschaft verwurzelt war.

Mit ihm analysieren wir, welche historischen Entwicklungen zum heutigen Erfolg der AfD beigetragen haben – und warum der Kampf um die Demokratie in Ostdeutschland eine entscheidende Bedeutung für die Zukunft des ganzen Landes hat.

„Ein autoritärer Backlash?“
Kowalczuk, 1967 in Ostberlin geboren, gehört zu den prägendsten Stimmen dieser Debatte. Auf dem Podium begann er mit einer provokanten Diagnose: „Wir erleben in vielen Regionen Ostdeutschlands keinen bloßen Protest gegen ‚die da oben‘, sondern eine gefährliche Abkehr von der Demokratie als solcher.“ Der Wahlerfolg der AfD sei nicht nur ein Ausdruck von Frust, sondern das Ergebnis eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels, der sich in einem autoritären Denken manifestiere – genährt durch Enttäuschung, Identitätsverlust und mangelndes Vertrauen in politische Institutionen.

Dabei warnte er vor einfachen historischen Erklärungen: „Die SED-Diktatur ist ein Faktor, aber sie erklärt nicht alles. Vielmehr müssen wir uns fragen, warum 34 Jahre nach der Wiedervereinigung die liberale Demokratie in vielen Regionen noch immer nicht verankert ist.“

Das Erbe der „erlebten Ohnmacht“
Dr. Michael Jennewein, Demokratieforscher mit Schwerpunkt auf politischer Kultur, legte den Fokus auf psychologische und kulturelle Langzeitwirkungen. „Was wir heute erleben, ist das Ergebnis eines Jahrzehnte langen Erfahrungsprozesses. Viele Ostdeutsche haben nach der Wende nicht nur wirtschaftliche Einschnitte erlebt, sondern vor allem einen symbolischen Verlust: Ihre Biografie wurde entwertet, ihre Lebenswelt delegitimiert“, so Jennewein.

Aus dieser kollektiven Erfahrung einer „verordneten Transformation“ resultiere ein tiefes Misstrauen gegenüber Eliten, Medien und staatlichen Institutionen – eine Gemengelage, die von der AfD strategisch genutzt werde. „Die Partei inszeniert sich als einzig legitime Stimme der sogenannten ‚Normalbürger‘. Sie operiert mit einem klaren Freund-Feind-Schema, das komplexe Wirklichkeiten auf einfache Wahrheiten reduziert – und damit anschlussfähig ist für viele, die sich in ihrer Lebensleistung übergangen fühlen.“

Vom Demokratiedefizit zum Demokratieverdruss
In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurde deutlich, wie sehr diese Analysen den Nerv der Zeit treffen. Ein älterer Mann aus Altenburg meldete sich zu Wort: „Ich habe 40 Jahre gearbeitet, danach meine Arbeit verloren und dann gesagt bekommen: Ihr müsst euch halt anpassen. Dass sich da Enttäuschung aufbaut, ist doch klar! Und wer hört uns denn noch zu außer der AfD?“ Der Applaus auf diese Wortmeldung zeigte, wie tief die Kluft zwischen subjektiv empfundener Ungerechtigkeit und politischer Realität inzwischen ist.

Kowalczuk reagierte differenziert: „Wir dürfen den Frust nicht ignorieren. Aber wir müssen auch widersprechen, wenn dieser Frust in Ressentiments, Rassismus oder autoritäre Sehnsüchte umschlägt.“ Es sei Aufgabe der demokratischen Parteien und der Zivilgesellschaft, Räume für Debatten zu schaffen – gerade dort, wo der Diskurs von Polarisierung und Angst dominiert werde.

Jennewein ergänzte: „Wir sprechen nicht mehr nur über Desinteresse, sondern in Teilen der Gesellschaft über eine aktive Ablehnung demokratischer Prinzipien. Das ist eine neue Qualität.“

Medien, Mythen und Manipulation
Ein weiteres Thema des Abends war die Rolle von Medien in Ostdeutschland. Kowalczuk kritisierte, dass viele bundesweite Medien Ostdeutschland entweder nur im Kontext von Problemen thematisierten oder als Sonderfall darstellten. „Was fehlt, ist eine gleichwertige Erzählung. Der Osten wird oft mit einer Mischung aus Mitleid und Misstrauen betrachtet – das erzeugt Gegennarrative, die leicht in Verschwörungsdenken kippen.“

Er forderte eine differenziertere Berichterstattung, mehr Regionaljournalismus und eine stärkere Förderung von Medienkompetenz – besonders bei jungen Menschen. Der Hinweis auf die hohe Reichweite rechtsextremer Influencer auf Plattformen wie TikTok oder Telegram war Mahnung und Alarmzeichen zugleich.

Was tun?
Ein zentraler Aspekt der Diskussion war die Frage: Was lässt sich gegen diese Entwicklung tun? Gibt es einen Weg zurück zu mehr Vertrauen in die Demokratie?

Für Kowalczuk liegt die Antwort in einer ehrlicheren Erinnerungskultur und Bildungsarbeit: „Wir müssen den Menschen im Osten zuhören, ohne ihnen nach dem Mund zu reden. Und wir müssen ihre Geschichte als Teil der deutschen Geschichte begreifen – mit allen Brüchen, aber auch mit aller Würde.“

Jennewein plädierte für eine stärkere Präsenz demokratischer Akteure in ländlichen Räumen: „Demokratie braucht Begegnung. Wenn Bürgermeister bedroht werden, wenn Vereine Angst haben, sich zu positionieren, dann zieht sich die Demokratie zurück – und die AfD füllt das Vakuum.“

Am Ende der Veranstaltung blieb ein Gefühl der Dringlichkeit. Kowalczuk fand die vielleicht eindringlichsten Worte des Abends: „Wir dürfen nicht warten, bis die Brandmauer endgültig durchbrochen ist. Die Demokratie braucht uns – jetzt.“

Ein Zwischenruf
Die Diskussion im Karl-Rainer-Institut war keine nüchterne Analyse, sondern ein Zwischenruf: Die AfD ist nicht nur ein politisches Phänomen, sondern Ausdruck einer tiefen sozialen und kulturellen Spaltung. Der Osten Deutschlands steht exemplarisch für Entwicklungen, die längst auch den Westen erreichen. Es geht nicht mehr nur um Wahlergebnisse – es geht um die Frage, welche Gesellschaft wir sein wollen.

Diese Veranstaltung war ein wichtiger Impuls. Sie hat gezeigt: Es gibt kein einfaches „Warum“, keine schnelle Lösung. Aber es gibt die Möglichkeit, genau hinzusehen, zuzuhören und den demokratischen Diskurs – gegen alle Widerstände – lebendig zu halten.

Die Carl Zeiss Stiftung aus Jena: Eine Reise durch Licht und Zeit

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Wenn wir heute durch ein Mikroskop blicken oder mit einer Kamera gestochen scharfe Bilder aufnehmen, dann verdanken wir dies nicht zuletzt dem Vermächtnis von Carl Zeiss, Ernst Abbe und Otto Schott. Die Carl Zeiss Stiftung, gegründet im Jahr 1889, ist eine der bedeutendsten wissenschaftsfördernden Stiftungen Deutschlands und hat in den letzten 125 Jahren eine bewegte Geschichte durchlebt. Ihr Einfluss reicht weit über die Optik- und Glasindustrie hinaus und prägt bis heute Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft.

Die Anfänge: Eine Vision nimmt Gestalt an

Die Geschichte der Carl Zeiss Stiftung beginnt Mitte des 19. Jahrhunderts in Jena. Carl Zeiss, ein talentierter Mechaniker, eröffnet 1846 eine Werkstatt für Feinmechanik und Optik. Schnell wird er für seine Präzisionsmikroskope bekannt. Doch die wahre Revolution beginnt erst, als der Physiker und Mathematiker Ernst Abbe sich dem Unternehmen anschließt. Abbe entwickelt eine wissenschaftlich fundierte Theorie der Mikroskopie und schafft damit die Grundlage für optische Präzisionsinstrumente, die bis heute weltweit führend sind.

Mit der Aufnahme des Glaschemikers Otto Schott beginnt eine weitere entscheidende Phase: Die Herstellung von Spezialgläsern. 1884 gründen Zeiss, Abbe und Schott das Jenaer Glaswerk, das erstmals exakt berechnete optische Gläser herstellt – eine bahnbrechende Innovation. Doch Abbe denkt weiter: Er will nicht nur technologischen Fortschritt, sondern auch soziale Verantwortung in das Unternehmen integrieren.

Die Gründung der Carl Zeiss Stiftung: Ein Unternehmen für die Gesellschaft

Am 19. Mai 1889 errichtet Abbe die Carl Zeiss Stiftung zu Ehren seines verstorbenen Partners Carl Zeiss. Sein Ziel: Das Unternehmen unabhängig von privaten Erbfolgen zu machen und Gewinne nachhaltig zu investieren. Der Stiftungssatz, den er 1896 festlegt, enthält revolutionäre Grundsätze für die damalige Zeit:

  • Geregelte Arbeitszeiten, darunter der Acht-Stunden-Tag
  • Betriebliche Sozialleistungen, darunter eine Pensionskasse
  • Investitionen in Wissenschaft und Bildung

Diese Prinzipien machen die Carl Zeiss Stiftung zu einem Vorbild in der deutschen Wirtschaftsgeschichte.

Wachstum und weltweite Anerkennung (1890–1914)

Dank Abbes wissenschaftlicher Grundlagenforschung und Schotts innovativer Glasproduktion erobert Carl Zeiss in den folgenden Jahrzehnten die Weltmärkte. Mikroskope, Objektive und optische Geräte aus Jena setzen neue Maßstäbe. Bereits um 1900 ist Carl Zeiss der weltweit führende Hersteller in diesem Bereich. Auch sozial bleibt das Unternehmen Pionier: Die Mitarbeiter haben gesicherte Arbeitsbedingungen, wie sie sonst kaum existieren.

Krisenzeiten: Weltkriege und ihre Folgen (1914–1945)

Der Erste Weltkrieg bringt eine Zäsur: Die Produktion wird kriegsbedingt umgestellt. Nach Kriegsende leidet das Unternehmen unter wirtschaftlichen Schwierigkeiten, kann sich aber durch Innovationen behaupten. Die Weltwirtschaftskrise in den 1920er Jahren trifft Zeiss ebenfalls hart, doch durch kluge Unternehmenspolitik bleibt die Stiftung bestehen.

In der Zeit des Nationalsozialismus gerät Carl Zeiss wie viele andere große Unternehmen in die Abhängigkeit des NS-Regimes. Die Produktion von militärisch relevanten optischen Geräten wird ausgeweitet, gleichzeitig werden auch Zwangsarbeiter eingesetzt – ein dunkles Kapitel der Unternehmensgeschichte. Der Zweite Weltkrieg bringt massive Zerstörungen durch alliierte Luftangriffe auf Jena.

Die Teilung: Zwei Zeiss-Stiftungen im Kalten Krieg (1945–1989)

Nach dem Krieg teilen sich die Alliierten Deutschland und damit auch das Unternehmen:

  • Die Amerikaner verlagern 1946 führende Mitarbeiter und technisches Know-how nach Oberkochen (Baden-Württemberg).
  • Die Sowjets enteignen das Stammwerk in Jena und nutzen es für die sozialistische Planwirtschaft der DDR.

Es entstehen zwei getrennte Carl Zeiss Stiftungen: Carl Zeiss Jena (DDR) und Carl Zeiss Oberkochen (BRD). Beide Unternehmen entwickeln sich trotz politischer Gegensätze zu führenden Technologieherstellern. Der jahrzehntelange Rechtsstreit um Markenrechte und Patente zwischen Ost und West endet erst mit der Wiedervereinigung.

Wiedervereinigung und Neuausrichtung (1990–2004)

Mit dem Fall der Berliner Mauer beginnt der schwierige Prozess der Wiedervereinigung der Carl Zeiss Stiftung. In den 1990er Jahren erfolgt schrittweise die Zusammenführung der getrennten Unternehmen in Jena, Oberkochen und Mainz. Doch der wirtschaftliche Wandel bringt auch harte Einschnitte: Restrukturierungen, Fusionen und Personalabbau sind notwendig, um das Unternehmen international wettbewerbsfähig zu halten.

2004 erfolgt eine grundlegende Reform der Stiftung, um sie an die Anforderungen der globalisierten Wirtschaft anzupassen. Seitdem arbeitet die Stiftung wieder als eine Einheit und kann ihre ursprünglichen Aufgaben vollumfänglich wahrnehmen.

Carl Zeiss Stiftung heute: Forschung fördern, Zukunft gestalten

Heute steht die Carl Zeiss Stiftung wieder auf einem soliden Fundament und bleibt ihrer Mission treu: die Wissenschaft zu fördern und technologische Innovationen zu ermöglichen. Die Stiftung finanziert unter anderem:

  • Doktoranden- und Postdoc-Programme
  • Stiftungsprofessuren an Universitäten
  • Deutschlandstipendien für MINT-Studierende
  • Forschungsprojekte in Physik, Optik und Materialwissenschaften

Fazit: Ein Erbe mit Zukunft

Die Carl Zeiss Stiftung ist mehr als eine wirtschaftliche Institution – sie ist ein Symbol für die Verbindung von Wissenschaft, sozialer Verantwortung und Unternehmertum. Was einst mit der Vision von Carl Zeiss, Ernst Abbe und Otto Schott begann, hat sich zu einer der einflussreichsten Stiftungen Deutschlands entwickelt. Ihr nachhaltiger Beitrag zur Forschung und Gesellschaft zeigt: Die Reise mit dem Lichtstrahl geht weiter.

Martin Brambach und seine Sicht auf die DDR und Wiedervereinigung

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Martin Brambach, geboren 1967 in Dresden, schildert seine Ansichten zum Osten, Ostdeutschland und der DDR in einer Weise, die stark von seinen persönlichen Erfahrungen geprägt ist. Er wuchs in Alt-Koschitz auf, einem dorfähnlichen Ort, der später eingemeindet wurde. Brambach beschreibt seine Kindheit dort als „sehr, sehr glücklich“ und erinnert sich an ein Fachwerkhaus sowie ein nahegelegenes Waldgebiet. Diese unbeschwerte Kindheit empfand er als „herrlich“. 1973 zog die Familie nach Berlin-Prenzlauer Berg, der bereits zu DDR-Zeiten einen leicht alternativen Charakter hatte. Als Kind hegte Brambach den Wunsch, Sowjetsoldat zu werden, beeinflusst von der polnischen Fernsehserie „Vier Panzersoldaten und ein Hund“. In der Schule wurde dieser Berufswunsch jedoch belächelt. Seine Mutter, Kostümbildnerin an der Volksbühne, und sein Stiefvater, Schauspieler und Regisseur, brachten ihn früh mit bildender Kunst und Sprache in Berührung. Besonders das Theaterleben in der DDR empfand Brambach als frei und kreativ. Kinder konnten an der Volksbühne spielen, sich verkleiden und austoben.

Dresden und Leipzig, zwei bedeutende Städte in Brambachs Leben, beschreibt er als grundverschieden. Dresden sei konservativer, geprägt von einem großen Bildungsbürgertum, das Wert auf klassische Kultur legt. Leipzig hingegen erscheine weltoffener und von jungen Leuten geprägt. Brambach fasst dies mit dem Satz zusammen: „In Leipzig wird Geld verdient, in Dresden ausgegeben.“ Er hebt hervor, dass Mentalität und Bevölkerungsstruktur beider Städte unterschiedlich seien, auch wenn dies einem Berliner nicht immer auffalle.

Der sächsische Dialekt war für Brambach eine Herausforderung. In seiner Kindheit wurde er dafür gehänseln, weshalb er bemühte, Berlinisch zu lernen. Er lernte dies so gut, dass er später Schwierigkeiten hatte, den Dialekt für die Schauspielschule wieder abzulegen. Dennoch betont er die Bedeutung des Sächsischen, insbesondere für seine Rolle in dem Film „Die Fälscher“. Er beschreibt Sächsisch als einen „herrlichen Dialekt“, der zu Unrecht an den Rand gedrängt werde. Im Gespräch mit Gregor Gysi demonstrierte er seine Fähigkeit, Sächsisch, Berlinerisch und Wienerisch zu sprechen. Das Wienerische empfindet er als eine „spielerische Sprache“, in der man Dinge im „Schmäh“ sagen könne, die im Deutschen ernst wirken.

Ein einschneidendes Erlebnis war die Ausreise seiner Mutter in den Westen. Sie diskutierte zuvor über eingeschränkte Arbeitsmöglichkeiten in der DDR und entschied sich schließlich, bei einem Kostümbildnerkongress in Westberlin zu bleiben. Brambach empfand die Vorstellung einer Mutter im Westen als „super“, da dies mit „hohen Adidas-Turnschuhen“ und „Bravo“ verbunden war. Seine eigene Ausreise wurde durch Kontakte von befreundeten Schriftstellern zu Egon Bahr und Franz Josef Strauß ermöglicht. In der DDR hatte er, nachdem seine Mutter gegangen war, das Gefühl, sich „alles erlauben“ zu können. Bei einer Befragung an der Schauspielschule erzählte er eine Geschichte von Heiner Müller, was den Parteisekretär nicht verstand. Noch am selben Tag stellte er einen Ausreiseantrag, nachdem er an der Schauspielschule angenommen worden war. Die Ausreise verlief für ihn verhältnismäßig schnell, was er als „wahnsinniges Glück“ bezeichnete. Die Wohnung seiner Mutter wurde nach ihrer illegalen Ausreise nicht enteignet, aber von einem Stasi-Mitarbeiter überwacht, der sich für ihre Rückkehr interessierte. Trotz seiner Ausreise durfte er seine Freundin in Ost-Berlin nicht besuchen. Nach seiner Ankunft im Westen besuchte er zunächst eine Schule in Finnland und später in Hamburg. Dort trug er einen DDR-Aufkleber auf seiner Schultasche und empfand das Gymnasialniveau als niedriger als in der DDR. Schließlich brach er die Schule ab und begann seine Schauspielkarriere in Bochum.

Brambachs Kritik an der deutschen Einheit ist differenziert. Er bemängelt die Reduzierung der DDR auf Mauertote und die Vernachlässigung des Lebens in der DDR durch die Bundesregierung. Besonders hebt er hervor, dass Schulen, Kindereinrichtungen und die Gleichstellung der Geschlechter in der DDR weiter fortgeschritten waren als im Westen. Er ist der Meinung, dass die Übernahme positiver Aspekte der DDR die Lebensqualität der Westdeutschen hätte erhöhen können. Brambach kritisiert die einseitige Darstellung der DDR und die daraus resultierenden Folgen bis heute. Er betont, dass in der DDR die Fächer Biologie, Chemie und Physik besser vernetzt waren, was dem Bildungsniveau zugutekam.

Seine Theatererfahrungen schildert er ebenfalls eindrücklich. Er beschreibt die Mischung des Publikums bei Aufführungen in Anklam als „fantastisch“ für DDR-Verhältnisse, da Menschen aus Prenzlauer Berg und Anklam aufeinandertrafen. Brambach merkt an, dass es in der DDR zwar Rolltreppen gab, diese jedoch nicht immer funktionierten. Er hebt hervor, dass in den 50er Jahren in Westdeutschland das Thema Auschwitz verdrängt wurde.

Zusammenfassend vermittelt Martin Brambach ein differenziertes Bild der DDR und Ostdeutschlands. Er erinnert sich an eine glückliche Kindheit und hebt positive Aspekte wie das Bildungssystem und die Gleichstellung hervor. Gleichzeitig kritisiert er die einseitige Darstellung der DDR in der gesamtdeutschen Geschichte und die Art, wie die Wiedervereinigung ablief, die er als feindliche Übernahme empfindet. Seine persönlichen Erfahrungen prägen seine Sichtweise auf die Unterschiede zwischen Ost und West, sowohl in Bezug auf Mentalität als auch auf politische und kulturelle Aspekte.

Vom Fliegerhorst zum Hochschulcampus – Bernburg-Strenzfeld im Wandel

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Der weitläufige Campus in Bernburg-Strenzfeld, heute geprägt von grünen Wiesen und modernen Hochschulgebäuden, war einst Zentrum eines bedeutenden Flugzeugbau- und Militärstandorts: des Fliegerhorsts Bernburg und des Junkers-Zweigwerks Bernburg (JFM-FZB).

Bereits im Frühjahr 1935 begannen die Bauarbeiten, und am 18. April 1936 wurde der Fliegerhorst offiziell eröffnet. Die Jagdgruppe I./232 rückte ein und verlieh dem Standort schnell seinen militärischen Charakter. Doch schon bald folgte die industrielle Erweiterung: Im Februar 1937 legte man den Grundstein für das Junkers-Zweigwerk, das in kurzer Zeit drei gewaltige Hangars errichtete. Bereits im Oktober desselben Jahres lief dort die erste Ju 52 „Tante Ju“ vom Band.

1938 begann in Bernburg die Serienproduktion moderner Flugzeugmuster: Sturzkampfbomber Ju 87 („Stuka“), Schnellbomber Ju 88 und Bomber He 111 wurden hier gefertigt. Unter der Leitung von Direktor August Kürner koordinierte die eingerichtete „Flugzeugbau-Großreihe“ die Serienfertigung aller Junkers-Werke. Zwischen 1939 und 1945 wurden im Werk rund 350 Metallflugzeugbauer, Industriekaufleute und Flugzeug-Elektromechaniker ausgebildet; zudem fanden Umschulungslehrgänge für Luftwaffenpersonal statt.

Am 1. März 1941 nahmen die neu errichteten Bahnstationen „Fliegerhorst“ und „Junkerswerk“ den Personenverkehr auf, was den täglichen Arbeitsweg vieler Beschäftigter erleichterte. Im gleichen Jahr übertraf die Produktion erstmals 1.000 Flugzeuge (Ju 52 und Ju 88) innerhalb eines Geschäftsjahres.

Der Kriegsverlauf hinterließ seine Spuren: Im Dezember 1938 wurde die Stationierung der Jagdgruppe beendet, und zum 1. Januar 1940 pachtete das JFM-FZB den Fliegerhorst samt Rollbahnen vom Reichsluftfahrtministerium. Die Ju-87-Produktion endete nach 257 gebauten Maschinen.

Im April 1945 erreichten amerikanische Truppen das Gelände, die Fertigung kam abrupt zum Erliegen. Am 21. Juli 1945 übernahm die sowjetische Besatzungsmacht das Areal und leitete die planmäßige Demontage ein. Maschinen und Anlagen wurden in die Sowjetunion verschifft; bis 1950 war das Werk vollständig zurückgebaut, kaum ein Relikt blieb erhalten.

Aus den Fundamenten des einstigen Rüstungsstandorts erwuchs schließlich eine neue Nutzung: 1957 wurde auf dem Gelände die Hochschule Bernburg gegründet, heute Standort der Hochschule Anhalt. Wo zuvor Flugzeuge montiert wurden, lernen Studierende heute Maschinenbau, Landwirtschaft und Wirtschaft. Der Wandel dokumentiert, wie ehemalige Industrieflächen in Zeiten des Friedens neu interpretiert und für Bildung und Forschung gewidmet werden können.

Entdeckung der Toskana des Ostens: Bad Kösen und seine Schätze

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Sanfte Hügel, strahlender Sonnenschein, ertragreiche Weinberge und eine Fülle an Geschichte – Bad Kösen, die „Toskana des Ostens“, ist ein Juwel in der Region zwischen Bad Sulza, Naumburg, Jena und Weimar. In diesem Bericht wird die Schönheit und die bedeutenden historischen Stätten dieses charmanten Ortes erkundet, der nur 70 Kilometer südwestlich von Leipzig liegt und zur Stadt Naumburg gehört.

Das Video zeigt eindrucksvoll, wie sich Bad Kösen um das historische Gradierwerk und weitere kulturelle Sehenswürdigkeiten gruppiert. Dieses Gradierwerk, erbaut im Jahr 1770, erstreckt sich über 320 Meter und erreicht eine Höhe von fast 20 Metern. Es wurde aus Baumstämmen und Schwarzdornreisig errichtet, um eine fünfprozentige Sole über die Reisigstränge rieseln zu lassen. Doch um die Funktionsweise des Gradierwerks zu verstehen, muss man zum Ufer der Saale gehen, wo ein bemerkenswertes Radhaus mit Wasserrad steht. Dieses, im 18. Jahrhundert errichtete Bauwerk, nutzt die Kraft des Wassers, um ein Doppelfeldgestänge in Bewegung zu setzen, das die Sole 180 Meter hoch pumpt.

Das beeindruckende technische Erbe des 18. Jahrhunderts wird durch die Erzählungen des Geologen Johann Borlach lebendig, der zwischen 1731 und 1735 den Borlachschacht anlegte. In diesem Schacht wurde die Sole gefördert, die dann durch Kolbenpumpen in das Gradierwerk geleitet wurde. Hier, in Bad Kösen, wird die Sole weiter angereichert, während sie über das Reisig rieselt. Durch die Einwirkung von Wind und Sonne verdunstet ein Teil des Wassers, und die Salzkonzentration steigt auf bis zu acht Prozent.

Bad Kösen, einst ein beschauliches Vorwerk des Zisterzienserklosters Pforta, entwickelte sich ab 1730 zur Salzgewinnung und wurde ab 1850 zu einem beliebten Kurort. Historische Persönlichkeiten wie Franz Liszt und Theodor Fontane waren hier Kurgäste. In der Zeit der DDR war Bad Kösen als „Volkssolbad“ bekannt und vor allem für Kinderkuren beliebt.

Ein weiteres Highlight des Videos ist die Kösener Spielzeugmanufaktur, die seit der Enteignung der Puppenmacherin Käthe Kruse im Jahr 1952 hier Plüschtiere herstellt. Käthe Kruse lebte von 1912 bis 1952 in Bad Kösen und schuf hier ihre berühmten Puppen, die aufgrund ihrer beweglichen Gliedmaßen und lebensechten Gesichter geschätzt wurden. Die Manufaktur zeugt von der Tradition und dem Erbe der Puppenkunst in dieser Region.

Besucher der Kösener Spielzeugmanufaktur haben die Gelegenheit, Käthe Kruses Puppen und die dazugehörigen Geschichten zu bewundern. Ihre Werkstatt befand sich in einem Haus in der Straße „Am Rechenberg“, und viele ihrer Puppen wurden nach den Vorbildern ihrer eigenen Kinder gefertigt. Diese Verbindung zur Kindheit und die liebevolle Handarbeit machen die Puppen zu etwas ganz Besonderem.

Die Geschichte von Bad Kösen ist jedoch nicht nur mit dem Gradierwerk und der Puppenmacherei verbunden. Die Ruine der Rudelsburg, gegenüber dem Ufer der Saale, ist ein weiteres bedeutendes Wahrzeichen der Region. Diese Höhenburg, die im 30-jährigen Krieg zerstört wurde, diente früher der Sicherung der Handelswege und zieht heute Besucher mit ihrer beeindruckenden Gastronomie und dem kleinen Burghof an. Die Rudelsburg war ein beliebter Treffpunkt von Romantikern und Studenten, und das berühmte Volkslied „An der Saale hellem Strande“ wurde hier von dem Studenten Franz Kugler verfasst.

Darüber hinaus ist das ehemalige Zisterzienserkloster Pforta von historischer Bedeutung. Gegründet im Jahr 1137, wurde es im 16. Jahrhundert zur Schule umfunktioniert und gilt als eine der ersten staatlichen Schulen Deutschlands. Hier wurden bedeutende Persönlichkeiten wie Friedrich Gottlieb Klopstock und Johann Gottlieb Fichte ausgebildet. Das Kloster und seine historischen Gebäude, wie das Gotische Haus und die Abtskapelle, zeugen von einer reichen akademischen Tradition.

Die Kombination aus Naturschönheit, faszinierender Geschichte und kulturellem Erbe macht Bad Kösen zu einem lohnenden Ziel für Reisende und Geschichtsinteressierte. Der Ort zeigt eindrucksvoll, wie Natur und Geschichte miteinander verwoben sind und bietet ein Erlebnis, das in die Vergangenheit eintaucht. In diesem Video werden die verschiedenen Facetten von Bad Kösen lebendig und laden dazu ein, diese „Toskana des Ostens“ selbst zu entdecken. Die sanften Hügel, die Sonne und der Wein umrahmen die ergreifende Geschichte, die in jedem Stein und in jeder Geschichte des Ortes weiterlebt.

Hinter den Kulissen der SED-Herrschaft: So lenkte die Partei die DDR

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Leipzig/Berlin. Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) existierte von 1949 bis 1990 und verstand sich selbst als „sozialistischer Staat“ – in Wahrheit war sie eine Einparteien-Diktatur, in der alle staatlichen Organe der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) untergeordnet waren. Ein journalistischer Überblick:

Demokratischer Zentralismus statt Gewaltenteilung
In der DDR wurde das Prinzip des demokratischen Zentralismus angewandt: Entscheidungen wurden in der Parteiführung getroffen und dann starr von oben nach unten durchgesetzt. Legislative (Volkskammer), Exekutive (Regierung mit Ministerien und Plankommission) und Judikative (Gerichte) waren formal getrennt, praktisch aber Teil eines einheitlichen Machtapparats unter Kontrolle der SED.

  • Fünfjahrespläne legten zentrale Wirtschaftsziele fest: Produktionsmengen, Preise, Verteilung.
  • Verwaltungsgliederung: 14 Bezirke plus Ost-Berlin, darunter Landkreise und Gemeinden – alle Hierarchieebenen folgten Weisungen von oben.

Die SED: Herzstück der Macht
An der Spitze stand das Politbüro des Zentralkomitees (ZK) der SED, geleitet vom Generalsekretär (z. B. Walter Ulbricht, Erich Honecker). Das Politbüro bestimmte Richtlinien, die sämtliche staatlichen Organe und Massenorganisationen umzusetzen hatten. Zwischen den alle fünf Jahre tagenden Parteitagen leitete das ZK die Politik der SED.

„Der Generalsekretär ist der mächtigste Mann, und das Politbüro setzt die Richtung für Regierung, Parlament, Gerichte und Staatssicherheit.“ (Parteiinterna DDR, 1985)

Die Volkskammer, offiziell das höchste Staatsorgan, diente lediglich der Legitimation. Alle Abgeordneten kandidierten auf einer einzigen Einheitsliste der Nationalen Front, in der SED, Blockparteien und Massenorganisationen (FDJ, Gewerkschaften, Frauenbund) zusammengeschlossen waren. Eine echte Wahl fand nicht statt.

Staatsrat und Volkskammer: Kollektives Staatsoberhaupt
Ab 1960 ersetzte der Staatsrat den Präsidenten. Formal hatte dieses Gremium weitreichende Befugnisse (Erlass von Verordnungen, Ratifizierung von Verträgen, Einberufung der Volkskammer), entwickelte sich jedoch spätestens ab 1974 zu einem rein repräsentativen Organ. Die wirkliche Macht lag weiterhin beim SED-Politbüro.

Repression und Kontrolle
Ohne unabhängige Justiz war in der DDR der Rechtsstaat aufgehoben. Die Richterzertifikate wurden von der Partei vergeben, die Gerichte dienten der „Erziehung im Sinne des Sozialismus“. Wer sich öffentlich oder parteiintern abweichend äußerte, riskiert(e):

  • Verfolgung durch die Staatssicherheit (Stasi): flächendeckende Überwachung, Informantennetz, willkürliche Haft.
  • Berufs- und Bildungsausschlüsse: nur Parteimitglieder hatten Zugang zu höheren Positionen.

Die massenhafte Repression sicherte das Fortbestehen des Regimes – bis im Herbst 1989 Hunderttausende auf die Straße gingen und mit friedlichen Protesten das SED-System zu Fall brachten.

Die DDR präsentierte sich als demokratischer sozialistischer Staat, doch hinter den hohlen Begriffen von „Volkskammer“ und „Nationaler Front“ verbargen sich straffe Parteikontrolle, fehlende Rechtsstaatlichkeit und umfassende Repressionsmechanismen. Erst 1989 zeigte sich das Ausmaß der Unzufriedenheit, als die Bevölkerung die zentrale Macht des SED-Apparats durch friedlichen Protest beendete.