Eine Reise durch Bautzen II – Dem Labor der psychischen Zerstörung

Mitten in einer sächsischen Kleinstadt steht ein Gebäude, das wie kein zweites die Abgründe des deutschen 20. Jahrhunderts verkörpert. In Bautzen II wechselten die Diktatoren, doch das Leid blieb. Eine Spurensuche an einem Ort, an dem die Zeit für die Häftlinge stillstand.

Der Name der Stadt weckt noch heute bei vielen Deutschen ein beklemmendes Gefühl. Es ist nicht die historische Altstadt, an die man denkt, sondern an die „Gelbe Gefahr“ (Bautzen I) und das hermetisch abgeriegelte „Sonderobjekt“ der Stasi (Bautzen II). Wer heute durch das schwere Tor an der Weigangstraße tritt, betritt einen Ort der beklemmenden Stille. Es ist eine Stille, die schreit. Denn hinter diesen Mauern vollzog sich über ein halbes Jahrhundert hinweg eine Staffelübergabe des Terrors. Drei totalitäre Systeme – der Nationalsozialismus, die sowjetische Besatzungsmacht und die SED-Diktatur – nutzten dieselben Zellen, um Menschen zu brechen.

Wenn Justiz zum Terror wird
Die Geschichte der politischen Verfolgung in Bautzen beginnt nicht erst mit der DDR, sondern bereits 1933. Die Nationalsozialisten machten die Justiz zum Erfüllungsgehilfen ihrer Ideologie. Wer nicht ins völkische Weltbild passte, landete hier: Kommunisten, Sozialdemokraten, Zeugen Jehovas, Homosexuelle und Juden.

Ein Blick in die Akten offenbart die Banalität des Bösen. Da ist der Elektriker Rudolf Hendrich, der 1940 verurteilt wird. Sein Verbrechen? Er hatte BBC gehört – einen „Feindsender“. Oder Walter Rosenheim, ein jüdischer Kaufmann. Er wurde 1939 inhaftiert, weil er eine Beziehung zu einer Nichtjüdin führte. In Bautzen isolierte man ihn, behandelte ihn schlechter als andere Häftlinge. Doch für Rosenheim war Bautzen nur die Vorhölle. Nach seiner Entlassung wurde er nicht frei, sondern deportiert. 1941 ermordeten ihn die Nazis in der Gaskammer von Bernburg. Bautzen war unter dem Hakenkreuz ein Ort, an dem das Recht gebeugt wurde, bis es brach.

Der nahtlose Übergang
Mai 1945. Der Krieg ist vorbei, die Diktatur besiegt. Doch für die Insassen von Bautzen öffnen sich die Tore nicht. Die sowjetische Besatzungsmacht übernimmt das Gefängnis fast nahtlos. Aus dem NS-Justizgefängnis wird ein Instrument des sowjetischen Geheimdienstes. Die Uniformen der Wärter wechseln, die Willkür bleibt.

In dieser zweiten Epoche wird Bautzen II zur Untersuchungshaftanstalt, während Bautzen I als „Speziallager“ fungiert. Tausende verschwinden hier spurlos. Militärtribunale fällen Urteile im Minutentakt, oft ohne Beweise, basierend auf konstruierten Vorwürfen wie „antisowjetischer Propaganda“.

Einer von ihnen ist Benno von Heynitz. 1947 wird er verhaftet, weil er Flugblätter für einen demokratischen Neuanfang klebt. Das Urteil: 25 Jahre Zwangsarbeit. Für fast neun Jahre verschwindet er hinter den Mauern. Die Bedingungen sind katastrophal. Hunger, Kälte und Krankheiten raffen Tausende dahin. Es ist ein Überlebenskampf in völliger Isolation von der Außenwelt. Erst 1956 kommt von Heynitz frei. Später wird er es sein, der als Vorsitzender des Bautzen-Komitees dafür kämpft, dass dieses Unrecht nicht vergessen wird.

Das Labor der psychischen Zerstörung
Mit der Gründung der DDR und der Übergabe der Kontrolle an das Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) ab 1956 wandelt sich der Charakter der Repression erneut. Bautzen II wird zum Hochsicherheitstrakt für „Staatsfeinde“. Hier sitzen nun Spione, Fluchthelfer, Oppositionelle und Abtrünnige aus den eigenen Reihen der SED.

Die physische Gewalt der Anfangsjahre weicht einer perfiden psychologischen Zermürbung. Die Stasi will keine Märtyrer, sie will gebrochene Persönlichkeiten. Die Zellen werden verwanzt, 24 Stunden am Tag wird mitgehört. Privatsphäre existiert nicht mehr.

Siggi Grünewald, inhaftiert wegen Fluchthilfe, erlebt den Verrat am eigenen Leib. Ihre Zellengenossin entpuppt sich als Spitzel, die jedes vertrauliche Wort an die Vernehmer weiterträgt. Das Ziel ist die totale Verunsicherung. Manfred Matthies, ein weiterer Häftling, verbringt neun Monate in Isolationshaft. Keine Bücher, keine Matratze tagsüber, kein menschlicher Kontakt. Die Folgen dieser „weißen Folter“ reichen weit über die Haftzeit hinaus. Matthies nennt sie später seine „Dämonen“ – die Stimmen der Vernehmer, die ihn noch Jahre später in seinen Träumen verfolgen.

Ein Mahnmal gegen das Vergessen
Als 1989 die Mauer fällt, endet auch die düstere Geschichte von Bautzen II als Gefängnis. Doch das Gebäude bleibt. Heute ist es eine Gedenkstätte. Es ist ein Ort, der wehtut, und das soll er auch.

Die vergleichende Betrachtung der drei Epochen in Bautzen ist erschütternd. Sie zeigt, wie anpassungsfähig totalitäre Herrschaft ist. Ob unter dem Vorwand der „Volksgemeinschaft“, der „Sicherheit der Besatzungsmacht“ oder des „Schutzes des Sozialismus“ – der Mechanismus war immer derselbe: Die Ausgrenzung und Zerstörung des Andersdenkenden.

Wer heute durch die Zellengänge läuft, hört keine Schritte mehr, kein Klappern der Schlüssel. Aber die Biografien von Menschen wie Walter Rosenheim, Benno von Heynitz und Siggi Grünewald hallen nach. Sie sind der Beweis, dass man Mauern bauen kann, um Menschen einzusperren, aber dass der Wille zur Freiheit sich am Ende nicht einkerkern lässt. Bautzen II ist heute kein Ort des Schweigens mehr, sondern ein lautes Mahnmal für Demokratie und Menschenrechte.