Heiner Müllers Verhältnis zur DDR war von Beginn an ein Spannungsfeld zwischen Faszination und Konfrontation. Während seine Familie 1951 aus politischen Gründen floh, blieb Müller bewusst zurück – weniger aus Loyalität als aus dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung. Für ihn war die DDR ein Ort der radikalen biografischen Entkopplung: Befreiung von Herkunft, Eltern und Erwartungsdruck. Gleichzeitig sah er im Projekt des Sozialismus eine ästhetische und intellektuelle Herausforderung, die ihn ein Leben lang begleiten sollte.
Früh setzte er sich mit den Widersprüchen des Systems auseinander. Stücke wie „Der Lohndrücker“ oder „Die Umsiedlerin“ beleuchteten die Diskrepanz zwischen revolutionärem Programm und realsozialistischer Praxis. Die scharfe Reaktion des Staates – Verbote, offene Diffamierung, Existenzgefährdung – bestätigte für Müller die zentrale Triebfeder seines Schreibens: die Unordnung, die Brüche, das Unzuverlässige im angeblich monolithischen System. Der 17. Juni 1953 wurde für ihn sinnbildlich zur „Insel der Unordnung“ in einem ansonsten starren Land.
Müllers Überlebensstrategien waren pragmatisch. Die erzwungene Selbstkritik, die Gespräche mit Stasi-Offizieren und seine betonte Ideologiedistanz hatten einen einzigen Zweck: das Weiterarbeiten. Schreiben im System, über das System und gegen das System. Er verstand die DDR nicht als Heimat, sondern als Labor. Die „kalte Anatomie“ ihrer Widersprüche war für ihn unverzichtbares Material. In der gesellschaftlichen Erstarrung der 60er Jahre, aber auch in den späteren Möglichkeiten der Reise- und Publikationsfreiheit, fand er den Stoff für seine dramatische Anthropologie eines Landes, das stets von Gewalt, Bruchlinien und dem Erbe der Geschichte durchzogen war.
Sein Verhältnis zur DDR war daher nicht politisch im engeren Sinne, sondern existenziell. Die DDR war Werkstatt und Weltdeutungshintergrund. Als sich das System Ende der 80er Jahre auflöste, entglitt ihm nicht nur ein Staat, sondern auch der Resonanzraum seines Schreibens. Müllers Reaktion auf den Mauerfall – irritiert, knapp, analytisch – spiegelt dieses Spannungsverhältnis: Mit dem Untergang des Systems verlor er die Bühne, auf der seine künstlerische Anatomie überhaupt denkbar war.
Heiner Müller war nie ein Staatsdichter, nie ein Dissident im klassischen Sinne. Er war ein Autor, der in den Rissen zwischen Ideal und Realität lebte. Die DDR war für ihn weder Utopie noch Feindbild, sondern ein gewaltiges Experimentierfeld, das er sezierend, kritisch und zugleich abhängig betrachtete. Sein Werk bleibt damit ein Schlüssel zur intellektuellen Selbstbefragung eines untergegangenen Staates – und zugleich ein Zeugnis einer der produktivsten Ambivalenzen der deutschen Literaturgeschichte.