Die raffinierten Methoden der Fluchthilfe – So manipulierten Schleuser Reisepässe 1987

Berlin – Die Staatssicherheit der DDR (MfS) hat Anfang 1987 detaillierte Einblicke in hochprofessionelle Fälschungsmethoden erhalten, die von einem westberliner Kriminellen genutzt wurden, um DDR-Bürgern die Flucht zu ermöglichen. Ein Geschäftsmann aus West-Berlin, der seine geschäftlichen Beziehungen zur DDR intensivieren wollte, offenbarte einem inoffiziellen Mitarbeiter der Hauptabteilung Zwei des MfS brisante Informationen über einen Menschenhändler, der mittels gefälschter Ein- und Ausreisestempel DDR-Bürger über Grenzübergangsstellen schleuste. Die Methoden, die der Menschenhändler selbst entwickelt haben soll, sind so ausgeklügelt, dass sie bei Grenzpassagen mit bloßem Auge kaum festzustellen waren.

Der Geschäftsmann, der angab, die Methoden und Materialien für 20.000 D-Mark von dem Menschenhändler erworben zu haben, um sie angeblich anderen Schleuserorganisationen anzubieten, führte dem MfS beide Verfahren praktisch vor und übergab alle benötigten Materialien zur weiteren Untersuchung. Als Motiv nannte er ausschließlich materielle Gründe.

Methode 1: Die Fälschung von Einreisestempeln in sozialistische Staaten
Das erste Verfahren diente dazu, in präparierte BRD-Pässe Vermerke über eine angebliche Einreise des Passinhabers in einen sozialistischen Staat einzutragen. Dies erfolgte, indem die Schleuserorganisation BRD-Bürger mit echten Reisedokumenten als Ablenkung und zur Verschleierung des eigentlichen Vorhabens im Transit durch mehrere sozialistische Länder schickte – zum Beispiel zuerst nach Polen, dann in die ČSSR und weiter nach Ungarn. Anhand der Original-Einreisestempel in den Pässen dieser BRD-Bürger wurden mittels eines fotochemischen Verfahrens Duplikate angefertigt. Diese aktuell gültigen Einreisevermerke konnten dann auf gefälschte Pässe der auszuschleusenden DDR-Bürger übertragen werden.

Die Ausreise der DDR-Bürger ins westliche Ausland erfolgte dann aus einem dieser Länder. So konnten gleichzeitig mehrere DDR-Bürger ausgeschleust werden, oft sogar am selben Tag, etwa von Ungarn nach Österreich.

Das technische Vorgehen war dabei komplex:

• Auf den Original-Einreisevermerk im BRD-Pass wurde ein spezielles Filmmaterial gelegt, das mit einer lichtempfindlichen Schicht aus Gummi und Kunststoff versehen war.

• Die Belichtung des Films erfolgte mit schwachem Kunstlicht, etwa Philips Leuchtstoffröhren TL 8W/47, bei einem bestimmten Abstand und einer Belichtungszeit von etwa 11 Minuten unter Verwendung eines Gelbfilters. Auch direkte Sonnenstrahlung konnte die Belichtungszeit auf drei bis vier Sekunden verkürzen.

• Der belichtete Filmstreifen wurde anschließend in einem als Rasierwasser getarnten Entwickler und Fixierer entwickelt und fixiert.

• Das entstandene Positiv wurde dann in einem weiteren Belichtungsschritt zu einem Negativ umgekehrt.

• Dieses Negativ diente schließlich zur Herstellung der eigentlichen Stempelplatte, wofür dünne Aluminiumplättchen verwendet wurden. Nach dem Entfernen einer Schutzschicht wurde das Negativ auf das Plättchen gelegt und dieses 20 Minuten lang mit einer Leuchtstoffröhre mit Rotlichtanteilen (z.B. Philips TL 20D/18/09N) belichtet.

• Die unbelichteten Teile der lichtempfindlichen Schicht wurden mit einer nicht schäumenden Flüssigkeit (z.B. Wasser, Cola, Bier) ausgewaschen, und die fertige Stempelplatte wurde zur Nachhärtung nochmals fünf Minuten belichtet. Für Dauergebrauch konnte sie bei 150 Grad Celsius im Ofen gehärtet werden.

• Mit dieser Stempelplatte und einem gleichfarbigen Stempelkissen konnte dann der gefälschte Einreisevermerk in den vorbereiteten Pass übertragen werden.

Dieser Prozess dauerte bei entsprechender Übung etwa eine Stunde. Die benötigten Chemikalien und Materialien konnten laut Angaben des Geschäftsmanns problemlos in die sozialistischen Länder transportiert werden, da selbst bei Kontrollen niemand Rückschlüsse auf deren Verwendungszweck ziehen könnte.

Methode 2: Das spurenlose Entfernen von Ausreisestempeln
Die zweite Fälschungsmethode ermöglichte das nicht ohne Weiteres feststellbare Entfernen von Ausreisestempeln oder anderen Eintragungen aus Pässen. Dieses Verfahren setzte voraus, dass der Reisepass zuvor entsprechend präpariert wurde und ein BRD-Bürger damit kurz zuvor in einen sozialistischen Staat ein- und wieder ausreiste.

Die Präparation des Passes erfolgte in sechs Schritten:
1. Leere Passseiten wurden abwechselnd mit zwei verschiedenen Imprägniermitteln und einem Speziallack leicht besprüht.
2. Nach jedem Sprühvorgang mussten die Flächen mit einem Föhn getrocknet werden. Die Sprühflaschen waren dabei etwa 30 Zentimeter vom Dokument entfernt zu halten, um ein Durchnässen des Papiers zu vermeiden.

Nachdem ein BRD-Bürger mit einem derart vorbehandelten Pass beispielsweise in die Ungarische Volksrepublik und zurück in die BRD gereist war, übergab er den Pass dem Menschenhändler. Dieser konnte dann innerhalb weniger Minuten den Ausreisestempel entfernen, indem er mit einem benzinbefeuchteten Läppchen (z.B. einem Taschentuch) leicht über den Stempel rieb. Die Vorbehandlung des Passes verhinderte, dass die Stempelfarbe eine feste Verbindung mit dem Dokumentenpapier einging. Eventuelle Spuren wurden durch mehrfaches Abreiben mit Pergament- oder Butterbrotpapier vermieden. Dieses Verfahren war bis zu dreimal an derselben Stelle des Dokuments anwendbar.

Nach dem Austausch des Lichtbildes wurde der Pass dem auszuschleusenden DDR-Bürger in Ungarn übergeben, der dann zum Beispiel nach Österreich ausreisen konnte. Obwohl das Entfernen des Stempels nur wenige Minuten dauerte, musste der Pass nach dem Lichtbildwechsel wieder in das Land transportiert werden, aus dem der DDR-Bürger ausgeschleust werden sollte, was den Zeitfaktor bei dieser Methode erheblich beeinflusste.

Materialien aus den USA und MfS-Maßnahmen
Die für diese raffinierten Methoden benötigten Materialien, darunter spezielle Chemikalien und Filmmaterialien sowie dünne Aluminiumplättchen, stammten den Angaben zufolge aus den USA. Das MfS nutzte die vom Geschäftsmann offengelegten Informationen, um geeignete politisch-operative Maßnahmen in der DDR und bei den Partnerorganen einzuleiten, um Straftaten gemäß § 2113 Strafgesetzbuch zu verhindern. Die Enthüllung dieser Fälschungspraktiken zeigte die Kreativität und den Aufwand, mit denen Fluchthelferorganisationen die Sicherheitsmaßnahmen der DDR umgingen.