Der Hüter des Bahnhofs und sein Mammutprojekt

Der Dresdner Hauptbahnhof ist seit über 125 Jahren ein Ort voller Leben, Geschichten und tiefgreifender Veränderungen. Er ist nicht nur ein zentraler Verkehrsknotenpunkt, sondern auch ein Spiegelbild der deutschen Geschichte und der persönlichen Schicksale unzähliger Menschen.

Heiko Klaffenbach ist seit 20 Jahren Chef des Bahnhofsmanagements in Dresden. Für ihn ist der Hauptbahnhof mehr als nur ein Arbeitsplatz; er empfindet ein Gefühl von Freiheit und sogar Heimat, wenn er auf dem Dach steht. Er pendelt täglich aus dem Erzgebirge nach Dresden und sieht den Bahnhof inzwischen als Teil seiner Heimat an.

Klaffenbach verantwortet aktuell die wohl außergewöhnlichste Baustelle Deutschlands: die Erneuerung der gesamten Dachhaut auf einer Fläche von 33.000 Quadratmetern. Dieses ehrgeizige Projekt kostet 44 Millionen Euro. Dabei muss aus der Vergangenheit gelernt werden, um Schäden wie die Zerstörung der ursprünglichen Trichter durch starken Winter zu vermeiden. Das neue Membrandach aus Glasfaser, ursprünglich als Sensation für die Ewigkeit konzipiert, wurde nun mit Skylights ausgestattet, die die Trichter schließen und in denen Glasscheiben eingebracht werden. Das neue Konstrukt wiegt 7 Tonnen und kann zusätzlich 33 Tonnen Last aufnehmen. Es ist zudem energiewirtschaftlich vorteilhaft mit einer Transluzenz von 13%, was den Stromverbrauch minimiert.

Eine der größten Herausforderungen ist es, den regulären Zugbetrieb trotz der umfangreichen Dachsanierung aufrechtzuerhalten. Der Bahnhof steht seit 1978 unter Denkmalschutz. Alte Bauwerke von 1898 mit Nietverbindungen werden saniert, wobei bei Bedarf Verstärkungselemente mit Passschrauben eingefügt werden, um eine Symbiose zwischen Alt und Neu zu schaffen.

Heimat, Ankunft und Verlust: Geschichten am Drehkreuz
Der Dresdner Hauptbahnhof ist die Visitenkarte der Stadt und das Eingangstor für Reisende. Er ist ein Ort des Ankommens, aber auch des Abfahrens. Seit mehr als 125 Jahren finden Menschen hier ihre Heimat oder sind gezwungen, sie zu verlassen.

Die Geschichte der jüdischen Familie von Henny Wolf, 1924 in Dresden geboren, ist eng mit dem Bahnhof verbunden. Ihre Vorfahren flohen Ende des 19. Jahrhunderts vor Pogromen aus Russland und kamen in Dresden an, wo sie sich sicher fühlten und eine neue Heimat fanden. Henny Wolf selbst bezeichnete Dresden immer als ihre Heimat, auch wenn sie „Flecken“ hatte und schwierig geworden war.

Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Begriff der Heimat neu definiert, und die Gestapo-Zentrale zog 1937 direkt neben den Eingang des Hauptbahnhofs, um die Ausgrenzung und Deportation der jüdischen Bevölkerung zu organisieren. Henny Wolfs Vater wurde von der Gestapo bedrängt, sich von seiner jüdischen Frau scheiden zu lassen, was er ablehnte. Die Deportationen der Dresdner Juden begannen im Juli 1942. Ironischerweise rettete der Bombenangriff auf Dresden am 13. Februar 1945 Henny Wolfs Familie vor der Deportation, da das entstandene Chaos dies verhinderte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg schien die Heimatfrage geklärt, doch Anfang der 1950er Jahre begann in der DDR erneut eine antisemitische Kampagne. Dies führte dazu, dass Henny Wolf und ihre Familie 1952 nach West-Berlin flohen und dabei erneut alles verloren. Den Dresdner Hauptbahnhof und ihre Heimat sollten sie jahrzehntelang nicht mehr wiedersehen.

Für andere ist Dresden jedoch eine feste Heimat geblieben. Beate Schmidt, Servicekoordinatorin am Bahnhof, kennt diesen von klein auf, da ihr Vater Lokführer war. Sie ist in Dresden geboren und hat ihrer Heimatstadt unverbrüchliche Treue gehalten. Auch Elisabeth Schüssler, Reinigungskraft am Bahnhof, blieb Dresden treu. Ihre eigene Familiengeschichte ist ebenfalls von den Schatten des Nationalsozialismus betroffen: Ihr Großvater war Nazigegner und wurde sieben Jahre im KZ Buchenwald inhaftiert, was sie als Kind tief prägte.

Der Bahnhof im Alltag: Helden des Service und historische Wendepunkte
Der Betrieb eines so großen Verkehrsknotenpunkts erfordert unermüdlichen Einsatz. Beate Schmidt ist seit 2001 am Dresdner Hauptbahnhof tätig und hat dort alles erlebt – von Randale über Naturkatastrophen bis hin zu Flüchtlingsströmen. Sie stellt fest, dass der Umgangston rauer geworden ist.

Elisabeth Schüssler und ihre Kollegen sorgen rund um die Uhr für Sauberkeit. Eine ihrer größten Herausforderungen ist die Beseitigung von Taubenkot, der 10% aller Reinigungsarbeiten ausmacht und gesundheitsschädlich sein kann.

Der Bahnhof hat auch Naturkatastrophen überstanden. Bei der Flut 2002 war der Hauptbahnhof komplett geflutet. Der damalige Manager, Joachim Teubert, konzentrierte sich darauf, alle Zugänge zu sperren und die Reisenden in Sicherheit zu bringen. Obwohl ein großer Gebäudeschaden entstand, kam kein Mensch tödlich zu Schaden.

Der Hauptbahnhof war auch ein zentraler Schauplatz der Wendezeit. In der DDR waren die Lebenshaltungskosten für Bürger durch enorme staatliche Preisstützungen niedrig gehalten. So kostete ein Kilogramm Mischbrot 70 Pfennig und die monatliche Miete betrug nur 9 Mark 45, da der Staat große Differenzen zuschoss. Matthias Wegner, ein Koch, war Teil des „Touristenexpress“ (Tourex), einem Prestigeprojekt der DDR, der Urlauber bis ans Schwarze Meer beförderte. Doch im Sommer 1989 erlebte er, wie Gäste einfach an den Betriebshalten ausstiegen und „weg waren“, als die ungarische Grenze zu Österreich geöffnet wurde.

Im Herbst 1989 wurde der Dresdner Hauptbahnhof zum Nadelöhr und historischen Kipp-Punkt. Tausende DDR-Bürger, darunter auch Mario Wolf, flüchteten über Prag und wurden mit Sonderzügen, die über die DDR ausreisen mussten, nach Hof gebracht. Am 4. Oktober 1989 befanden sich laut Akten des Ministeriums für Staatssicherheit bis zu 20.000 Menschen auf dem Gelände des Hauptbahnhofs. Es entwickelte sich eine Spaltung zwischen denen, die riefen „Wir wollen raus!“, und einer großen Gruppe, die entgegnete „Wir bleiben hier!“.

Ein lebendiges Denkmal
Der Dresdner Hauptbahnhof bleibt ein Ort ständiger Herausforderungen und Innovationen. Er ist nicht nur ein Bauwerk von historischer Bedeutung, das Denkmalschutz und Moderne vereint, sondern auch ein lebendiges Zentrum, das die Geschichten von Ankommen, Abschied, Heimat und Wandel in sich trägt. Für Heiko Klaffenbach ist er sogar wie ein „drittes Kind“, ein Projekt, das ihm Freude bereitet und das er mit Leidenschaft führt.