Rügen/Chemnitz. Ein Gefühl wie ein „Tag wie Gold in den Adern“, eine Mischung aus Wärme, Geborgenheit und der tiefen Sehnsucht nach Vergangenem, begleitet von einer leisen Wehmut über das Verlorene – das ist Nostalgie. Diese Emotion, die immer mehr das Interesse der Forschung weckt, birgt sowohl Potenzial als auch Risiken. Besonders prägnant zeigt sich dies in Deutschland, wo die Wiedervereinigung für viele nicht nur Freude über den Mauerfall, sondern auch den Verlust alter Gewissheiten und Lebensgewohnheiten bedeutete.
Auf der Ostseeinsel Rügen, im „Betriebsferienlager Gera“, scheint die Zeit stillgestanden zu sein. Alles dort erinnert an DDR-Zeiten. Für Urlauber wie Hendrik Sor aus Dessau, der als Kind regelmäßig dort Ferien machte, ist es eine Reise in die eigene Vergangenheit. Tausende verbrachten in der DDR ihre schönsten Tage des Jahres auf Rügen, oft ohne dass die diktatorische Realität oder die eingeschränkte Reisefreiheit eine Rolle spielte.
Ostalgie: Zwischen persönlicher Erinnerung und gesellschaftlicher Debatte
Die sogenannte „Ostalgie“ ist eine spezielle Form der Nostalgie, die sich auf die DDR-Zeit bezieht. Für die meisten ist sie primär eine Auseinandersetzung mit der eigenen Jugend und den persönlichen schönen Momenten, die sie trotz des politischen Systems erlebten – wie Musik hören oder Spaß mit Freunden. Es bedeutet nicht, dass sie das politische System zurückhaben wollen. Vielmehr soll es ein „unterhaltsames Geschichtserleben“ ermöglichen.
Ein zentrales Element des Nostalgie-Campinplatzes ist die „Karl Marxstädter Schulküche“, die dreimal pro Woche mit einfachen DDR-Gerichten wie Senfeier und Soljanka lockt. Diese Rezepte, die angeblich original aus einer Karl Marxstädter Schulküche stammen, treffen den Geschmack vieler Gäste und erinnern sie an „früher“. Manch einer verkleidet sich sogar für eine „Ossi-Party“.
Doch die Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit war und ist eine Quelle gesellschaftlicher Debatten. Schon kurz nach der Wende wurde Nostalgie oft als Vorwurf an bestimmte Gruppen verwendet, die angeblich zu stark zurückblickten und nicht an der Gegenwart partizipierten. Während Erinnerungen an die bundesrepublikanische Geschichte als „normal“ oder „richtig“ galten, wurde alles Ostdeutsche als „Vergangenheit“ und damit als Ostalgie kritisiert.
Die Schattenseiten der Verklärung
Für Menschen, die unter dem DDR-Regime litten, wie die Rentnerin Astrid Bodenstein aus Dresden, kann Ostalgie wie eine „Verharmlosung des Unrechtssystems“ wirken. Sie lehnt es ab, wenn ihre Stadt, die sich nach der Wende bewusst für den Namen Chemnitz statt Karl Marxstadt entschied, durch solche Referenzen an die ungeliebte Vergangenheit erinnert wird. Gerade frühere Oppositionelle befürchten eine Glorifizierung der DDR.
Dennoch war die Wende für viele Ostdeutsche ein gravierender Umbruch. Nicht jeder, der sich mit dem System arrangiert hatte, fand sich im Kapitalismus leicht zurecht. Ihre anfängliche Skepsis sollte nicht automatisch als Ostalgie oder als generelles Votum gegen die Bundesrepublik missverstanden werden.
Identität und Heilwirkung
Letztlich ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit unvermeidlich, denn „die Biografie lässt sich nicht abschütteln“. Nostalgie hat viel mit Kultur und Heimat zu tun und trägt zur Identitätsfindung bei. Besonders nach einem klaren Bruch wie der Wiedervereinigung ist es eine „Arbeit“, eine neue Identität zu finden und das Alte zu integrieren.
Obwohl Nostalgie kein Allheilmittel ist, kann sie als ein Mittel dienen, um „Gesundes zu wecken“. Die Erzählungen aus der Vergangenheit können uns im Hier und Jetzt stärken und uns helfen, positive Annahmen über die Zukunft zu treffen. Wir dürfen und sollen nostalgisch sein, denn es gehört zu uns.