Erich Mielke: Vom „Meister der Angst“ auf die Anklagebank

Berlin – Jahrzehntelang stand er an der Spitze des gefürchtetsten Geheimdienstes der Deutschen Demokratischen Republik: Erich Mielke, der „Meister der Angst“. Seine Handschrift trug die systematische Überwachung der DDR-Bürger. Doch nach dem Fall der Mauer fand sich der einstige Machtmensch, der als ältester Häftling Deutschlands galt, auf der Anklagebank des Landgerichts Berlin wieder. Ein tiefer Fall für den Mann, der 32 Jahre lang Minister für Staatssicherheit war.

Kindheit und politisches Erwachen Geboren am 28. Dezember 1907 im Berliner Wedding, wuchs Erich Mielke in beengten Verhältnissen auf und schämte sich für sein Zuhause. Er beschrieb sich selbst als einen ängstlichen, überempfindlichen Jungen, geprägt von Kontaktmangel und Selbstunsicherheit. Seine Eltern traten bereits 1919 der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei, und Mielke selbst wurde mit 14 Mitglied im Kommunistischen Jugendverband. Er wollte die Verhältnisse der Weimarer Republik verändern und die Unterdrückung der Arbeiterklasse beenden.

Seine wahre Bestimmung fand Mielke im Parteiselbstschutz, einer paramilitärischen Gruppe der KPD. Dort radikalisierte er sich schnell. Am 9. August 1931 war Mielke zusammen mit Erich Ziemer mutmaßlich an der Ermordung zweier Polizisten am Bülowplatz beteiligt. Die Attentäter gaben aus nächster Nähe Schüsse auf die Beamten Franz Lenck und Paul Willig ab. Mielke brüstete sich später in seinem Stammlokal mit den Morden und zeigte die Tatwaffe, was ihm den Spitznamen „Pistolen-Erich“ einbrachte. Von manchen wurde er als „trivialer Mörder“ wahrgenommen, der sich hinter Ideologien versteckte. Nach der Tat floh Mielke nach Moskau, wo er die Internationale Lenin-Schule besuchte und unter dem Decknamen Paul Bach lernte. Sein großes Vorbild war Stalin, den er als „Lehrer“ und „Vater“ verehrte.

Der Architekt der Angst: Mielkes Stasi-System Nach seiner Rückkehr ins zerstörte Berlin 1945 machte Mielke in der sowjetischen Besatzungszone schnell Karriere in der Volkspolizei und später in der neu entstehenden Staatssicherheit. Er knüpfte Kontakte zu den Mächtigen wie Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht und genoss die Anerkennung, nach der er sich so lange gesehnt hatte. Als Minister für Staatssicherheit etablierte Mielke ein umfassendes System der Überwachung. Die Stasi schürte bewusst Angst, um Unsicherheit zu verbreiten und den Bürgern das Gefühl zu geben, verfolgt zu werden. Mielke repräsentierte dieses System, von den hauptamtlichen Offizieren bis zu den inoffiziellen Mitarbeitern (IM). Sein Misstrauen gegenüber dem eigenen Volk war immens, doch gleichzeitig sehnte er sich nach dessen Liebe – eine Paranoia, die er unter dem Mantel der Volksnähe verbarg.

Mielke war ein Mann mit einem starken Willen zur Macht, geprägt von den Kämpfen der 1920er und 30er Jahre. Er lebte asketisch, rauchte und trank nicht und war der Partei bis zu seiner Haft treu ergeben. Sein Kontrollzwang reichte bis in den Sport, wo er Fußballmannschaften abhören und Schiedsrichter bestechen ließ. Er sah die Welt in Freunden, Feinden und Verrätern, wobei er die „Verräter“ am meisten hasste. Unter seiner Führung entwickelte sich die Stasi sogar zu einer härteren Kontrollinstanz als der sowjetische KGB. Mielke war überzeugt, dass Angst die wirkungsvollste Triebfeder menschlichen Handelns sei, „stärker als Ehrgeiz, als Hoffnung und alles zusammen“.

Der Fall des Ministers: 1989 und das Ende der DDR In den späten 1980er Jahren geriet Mielkes System ins Wanken. Er widersetzte sich vehement den Reformen Michael Gorbatschows in der Sowjetunion, die er als „Anfang vom Ende des Sozialismus“ betrachtete. Die Kommunalwahlen im Mai 1989, die traditionell mit Zustimmungswerten von bis zu 99 Prozent endeten, wurden zu einem Wendepunkt. Trotz Mielkes anfänglicher Anweisung, „keine Manipulation“, wurden die Ergebnisse massiv gefälscht, um eine höhere Zustimmung vorzugaukeln.

Die Fälschungen führten zu wachsendem Protest und Demonstrationen. Mielke, der die Massenproteste als „neue Phase des Klassenkampfes“ sah, forderte drastische Maßnahmen, wie die Verhaftung von fast 14.000 „staatsgefährdenden Elementen“. Er verglich die Situation mit dem Mauerbau 1961, doch die Zeiten hatten sich geändert. Die Sowjetunion, einstiger „Waffenbruder“, erklärte, die DDR nicht mehr schützen zu können. Dies war ein „Verrat“, der Mielke und viele Genossen tief traf.

Mielkes Macht schwand zusehends. Wenige Tage nach dem 40. Jahrestag der DDR war er maßgeblich an der Absetzung Erich Honeckers beteiligt. Doch auch Honeckers Nachfolger, Egon Krenz, hörte nicht mehr auf Mielkes Ratschläge. Der „Meister der Angst“ erteilte schließlich den Befehl zur Aktenvernichtung, um die operativen Methoden der Stasi vor dem „Klassenfeind“ zu verbergen. Seine letzte Rede vor der Volkskammer wurde mit Lachen quittiert – ein Symbol für das Ende seiner Ära und die Überwindung der Angst durch die Bevölkerung.

Der Prozess und das Erbe Nach der Wende wurde Erich Mielke inhaftiert. Er sah sich als Märtyrer, der sein ganzes Leben lang die DDR gegen „Klassenfeinde“ verteidigt hatte, und gab an, wenn es nach seinem Willen gegangen wäre, gäbe es die DDR noch heute. Im Gerichtssaal schwieg er oft stundenlang. Mediziner stellten seine Haftfähigkeit fest.

Im Jahr 1993 wurde Erich Mielke wegen des Doppelmordes an den Polizisten im Jahr 1931 zu sechs Jahren Haft verurteilt. Alle weiteren Verfahren gegen ihn als Minister für Staatssicherheit der DDR wurden wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt. Ende 1995 wurde er auf Bewährung entlassen.

Mielkes Leben ist untrennbar mit dem System der DDR-Staatssicherheit verbunden. Er glaubte fest an die Überlegenheit seiner Methoden, doch am Ende scheiterte er an der Entschlossenheit der Bürger, die sich von der Angst befreiten und friedlich auf die Straße gingen. Seine Geschichte ist eine Mahnung an die zerstörerische Kraft der Angst und die Möglichkeit, sie zu überwinden.