Wie der DEFA-Kultfilm „Schwester Agnes“ in Waltersdorf lebendig bleibt

Waltersdorf im Zittauer Gebirge ist mehr als nur eine idyllische Kulisse. Fast ein halbes Jahrhundert nach den Dreharbeiten zum DEFA-Film „Schwester Agnes“ ist die Geschichte der engagierten Gemeindeschwester hier noch immer erstaunlich präsent. Der Film von 1974, der im fiktiven Ort Krumbach spielt, fand seine Heimat im echten Waltersdorf und prägt das Dorfleben bis heute.

Eine der Hauptfiguren dieser fortwährenden Geschichte ist heute Justin Birnstein, ein 28-jähriger Altenpfleger in Waltersdorf. Ähnlich wie die Hauptdarstellerin im Film, fährt auch er auf einer Schwalbe von Haus zu Haus, um zu helfen. Früher kannte Justin den Film gar nicht, wurde aber durch ein Schild in Waltersdorf darauf aufmerksam. Die Idee, eine Schwalbe als Dienstfahrzeug zu nutzen und den Film „Schwester Agnes“ einzubeziehen, kam ihm als „sehr tolle Werbung“. Der Plan ging auf. Mit der Schwalbe weckt Justin bei seinen Patienten Erinnerungen. Viele von ihnen haben die Dreharbeiten hautnah miterlebt. Justin stellt fest, dass er die Leute auf diese Weise aktivieren kann; sie erzählen, vergessen kurz ihre Sorgen und lächeln dabei. Er findet es „klasse, dass sich junge Leute finden, die alte unterstützen und pflegen“.

Die Titelrolle der Schwester Agnes war eine Paraderolle für die Schauspielerin Agnes Kraus. Sie sah die Rolle als „richtige Hauptrolle“, „eine richtige Frau, die im Leben steht, arbeitet und gute Arbeit macht“. Im Film kümmert sich Schwester Agnes um die Bewohner ihrer Gemeinde Krumbach. Sie hilft auf ihre ganz eigene Weise, wo immer sie kann, und ist gleichzeitig Gemeinderätin, was den Bürgermeister regelmäßig in den Wahnsinn treibt. Sie setzt sich beispielsweise verzweifelt im Kampf um Wohnraum für eine junge Familie ein.

Obwohl Agnes Kraus die Rolle der Moped fahrenden Gemeindeschwester so überzeugend spielte, gab es bei den Dreharbeiten ein entscheidendes Problem: Agnes Kraus konnte weder Fahrrad noch Moped fahren. Der ehemalige Abschnittsbevollmächtigte Horst Helle sollte ihr das Mopedfahren beibringen, beschrieb es aber als „sehr sehr anstrengend“ und stellte fest, dass es „absolut unmöglich“ war, sie überhaupt auf dem Moped in Bewegung zu versetzen. Da das Lernen nicht klappte, baute der Schmiedemeister Millerlaus ein Gestell mit Rädern, auf das das Moped gestellt wurde, um die Aufnahmen zu ermöglichen. Für spektakuläre Fahrszenen mussten sich die DEFA-Leute zusammen mit den Einheimischen noch einiges mehr einfallen lassen. Wer genau hinsieht, merkt, dass im Film nicht Agnes Kraus auf der Schwalbe sitzt. Stattdessen übernahm Joachim Seipt die Standrolle, wofür ihm die Beine rasiert und mit denen von Frau Kraus verglichen wurden. Dieses trickreiche Vorgehen mit Unterstützung der Einwohner machte den Film zu etwas Besonderem und trug zu seinem Kultstatus bei.

Die Dreharbeiten im Sommer 1974 im Zittauer Gebirge und insbesondere in Waltersdorf brachten einen „Hauch von Hollywood“ ins Dorf. Neben den Stars spielten auch Einheimische als Komparsen mit. Matthias Weiß war damals als Kind dabei, nachdem die DEFA-Leute von Klasse zu Klasse gingen und Kinder für den Film aussuchten. Für ihre Mitwirkung erhielten die Komparsen und Stand-Ins Geld: 40 Mark für eine Standrolle wie die von Joachim Seipt, 20 Mark für einfache Komparsen. Auch bei den Filmszenen wurde getrickst, etwa als Äpfel für eine Szene auf einen Walnussbaum gedrahtet wurden.

Die Schauplätze des Films sind in Waltersdorf bis heute erkennbar. Der Charme der traditionellen Umgebindehäuser eignete sich perfekt als Kulisse. Diese Häuser sind eine einzigartige Volksbauweise in der Oberlausitz, bei der ein slawisches Blockhaus von einem fränkischen Fachwerkhaus umbaut wird. Dieser Aufbau hat den Vorteil, dass tragende Holzbalken restauriert oder ausgetauscht werden können, ohne das Haus abreißen zu müssen. Viele Häuser in Waltersdorf wurden schon zu DDR-Zeiten von den Einwohnern mit wenig Geld und Baumaterialien selbst restauriert und nicht verändert. So gibt es heute über 200 solcher wunderschöner, originalgetreu erhaltener Häuser im Ort.

Das Quirlerhäusel, das im Film der Konsum war, wo Schwester Agnes einkaufen ging, ist heute ein Haus, das von den Schlagersängern Katrin und Peter saniert wurde. Auch das ehemalige Gemeindeamt von Krumbach im Film war ein echtes Haus in Waltersdorf, das Haus Helene. Harald Nagel wuchs dort auf und erinnert sich, wie das Haus für die Dreharbeiten dekoriert wurde. Das Wohnhaus von Schwester Agnes im Film befand sich im benachbarten Jonsdorf; der Eingangsbereich war eine Konstruktion der Filmarchitekten, die bis heute erhalten ist. Während der Dreharbeiten lebten die Bewohner des Hauses sogar einen Monat lang in einer Wohngemeinschaft mit Agnes Kraus. Jens Steffensen, damals 10, erinnert sich an Agnes Kraus‘ ausgeprägte Tierliebe; Szenen wurden unterbrochen, wenn eine Katze kam.

Die Darstellung der Arbeit einer Gemeindeschwester im Film ist allerdings nicht in allen Aspekten authentisch, wie die letzte Gemeindeschwester aus Waltersdorf, Birgit, erklärt. Sie hatte keinen „Knallkopp“-Bürgermeister und ihre Arbeit umfasste nicht so sehr Beziehungsprobleme. Auch sie hatte Probleme mit dem Mopedfahren und nutzte stattdessen ihr Fahrrad, da sie Angst hatte.

Die Figur der Gemeindeschwester berührt auch aktuelle Themen. Während die Gemeindeschwestern damals Zeit hatten, von Patient zu Patient zu fahren und nicht nur medizinische Hilfe leisteten, sondern auch für Gespräche da waren, ist dies heute aufgrund des Hausarztmangels und wenig Zeit für Hausbesuche schwierig. Es gab zwar Modellversuche mit Namen wie AGnES (die für verschiedene Programme stehen), doch die Qualifikationsanforderungen können zum Hindernis werden. Thomas Giebel, von Kollegen liebevoll „Schwester Thomas“ genannt, war als gelernter Rettungsassistent regelmäßig in Waltersdorf auf Hausbesuch, konnte aber aufgrund seiner Ausbildung keine Förderung für solche Programme erhalten. Er musste den Job aufgeben. Anders als im Film, hatte diese Geschichte „keinen Happy End“. Waltersdorf hat derzeit keine Gemeindeschwester mehr, und die Hausarztpraxis musste schließen. Die Bevölkerung auf dem Dorf werde vollkommen ignoriert, da immer weniger Menschen dort leben. Daher bewundert man junge Leute wie Justin, die bereit sind, sich um die alten Menschen zu kümmern.

Agnes Kraus selbst war 60 Jahre alt, als sie zum Fernsehstar wurde. Sie wurde achtmal zum Fernsehliebling gewählt. Viele Leute erkennen sie bis heute. Ursula Stark, die damals eine Touristin im Film spielte, traf Agnes Kraus auch privat und beschreibt sie als sehr mütterlich und mit einem tollen Charakter; sie sagte, was sie dachte, auch wenn sie damit aneckte. Agnes Kraus freute sich sehr darüber, dass die Leute sie kennen und gerne haben und dass sie Kontakt zu den Leuten hat.

Der Erfolg von Agnes Kraus und des Films scheint kein Ende zu nehmen. Der von ihr gespielte Charakter sei „zeitgemäß und modern“. Auch die Aufnahmen mit der Schwalbe tragen zur Popularität bei, da viele junge Leute im Osten wieder eine Schwalbe fahren wollen. Auf YouTube widmet „Oldtimer Blondie“ dem Film sogar ein eigenes Kapitel.

Waltersdorf, die Umgebindehäuser und die Erinnerungen der Einwohner halten die Geschichte von „Schwester Agnes“ lebendig. Und mit Justin Birnstein auf seiner Dienstschwalbe lebt ein Stück des Filmgeistes – die Idee der fürsorglichen Betreuung und des persönlichen Kontakts – in moderner Form weiter.