Kommunismus und Demokratie: Ein schwieriges Verhältnis mit überraschenden Wendungen

Die Geschichte kommunistischer Parteien und ihr Verhältnis zur Demokratie ist komplex und nicht einheitlich, wie die jüngsten Einblicke eines Experten nahelegen. Entgegen der Vorstellung, dass alle kommunistischen Parteien einem strikten Modell folgten, gab es erhebliche Unterschiede in ihrer innerparteilichen Willensbildung.

Partei oder Herrschaftsapparat?
Ein wesentlicher Unterschied zeigte sich zwischen Parteien, die im demokratischen Wettbewerb standen, und solchen, die zum Herrschaftsapparat wurden. Während Parteien wie die Kommunistische Partei Frankreichs (KPF) oder die Kommunistische Partei Italiens (KPI) sich in ihrer internen Struktur kaum von liberalen oder sozialdemokratischen Parteien unterschieden, organisierten sich Herrschaftsapparate fundamental anders. Sie verloren den Charakter einer Partei und strukturierten sich hierarchisch wie Behörden. Das sogenannte „demokratische Zentralismus“ in diesen Systemen hatte laut Quelle wenig mit Parteien im eigentlichen Sinne zu tun, sondern beschrieb die Organisationsform eines Herrschaftsapparates, der faktisch das Wahlprinzip abgeschafft hatte. Dies zeigt, was aus einer Partei wird, wenn sie sich in Bürokratie verwandelt.

Für Kommunisten, die von der Diktatur träumten, konnte die liberale Demokratie nur ein Mittel zum Zweck sein. Es gab jedoch wichtige Ausnahmen. Kommunistische Parteien wie die KPI und die KPF machten „ihren Frieden mit der Demokratie“ und träumten nicht mehr von der Diktatur des Proletariats. Sie waren sogar an Regierungen beteiligt, ohne dass es zu Revolutionen oder ähnlichem kam.

Der sozialdemokratische Weg
Große Sozialdemokraten wie Karl Kautsky und Eduard Bernstein erkannten schon Ende des 19. Jahrhunderts, dass sie den Sozialismus auf legalem Weg durch Wahlen erreichen konnten. Dies war ein entscheidender Grund, warum sie sich von Gewalt und Diktatur abwandten. In Deutschland war die SPD im Kaiserreich die stärkste Partei im Parlament und hatte daher wenig Anlass, weiter von der Diktatur zu träumen. Sozialistische Parteien konnten von der Demokratie profitieren, da ihre Attraktivität es ihnen ermöglichte, ihre Ziele durch Wahlen und Überzeugung zu erreichen. Westeuropäische kommunistische und sozialistische Parteien versöhnten sich letztlich mit der liberalen Demokratie, was als Erfolgsgeschichte bezeichnet wird.

Die Spaltung zwischen sozialistischen und kommunistischen Bewegungen entstand, weil die Sozialdemokraten erkannten, dass sie durch demokratischen Wandel mehr erreichen würden als durch revolutionäre Unruhen oder Gewalt. Sie arrangierten sich mit dem Staat, während der radikale Flügel die Idee verfolgte, soziale Probleme endgültig lösen zu können. Die demokratischen Sozialisten konzentrierten sich stattdessen auf die systematische Verbesserung der Lebensverhältnisse der Arbeiter durch Einhaltung von Recht und Gesetz und unter demokratischen Bedingungen.

Krieg, Krisen und der Nährboden für Radikalität
Der Erste Weltkrieg führte zu einer Verrohung und Gewalt, die dem kommunistischen Radikalismus neue Nahrung gab. Die Wirtschaftskrisen der 1920er Jahre boten Kommunisten und Faschisten, den Gegnern der Sozialdemokraten, die Gelegenheit, den Sozialdemokraten (oft in Regierungen) Versagen vorzuwerfen. Diese Ideologien hatten Erfolg, weil sie in einer Zeit operierten, die von den schrecklichen Folgen des Krieges geprägt war – Millionen Tote, Verstümmelte, Traumatisierte. Für viele Menschen war das parlamentarische System in dieser Zeit kein Ort, an dem ihre Wünsche oder Ressentiments eine Antwort fanden. Faschisten und Kommunisten gaben das Stichwort, dass man das Elend hinter sich lassen und eine Welt schaffen könne, in der Probleme für immer gelöst werden.

Langfristig setzten sich jedoch die Sozialdemokraten durch, indem sie zeigten, dass Sozialismus und liberale Ordnung einander nicht ausschließen. Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa wird als das sozialdemokratische Zeitalter bezeichnet.

Kommunismus als Modernisierungsideologie in Entwicklungsländern
Der Nährboden, auf dem kommunistische Parteien auch heute noch gedeihen, ist die soziale Frage. Ihre Bedeutung in Ländern wie Indien oder Lateinamerika hängt damit zusammen, dass die liberale Demokratie bestimmte soziale Fragen nicht gelöst hat. Die repräsentative Demokratie kann die Begüterten, Gebildeten und Einflussreichen bevorzugen und könnte im späten 19. Jahrhundert sogar als Instrument gedient haben, um die Volksmassen zu „betrügen“, indem sie nur über die Elite abstimmen konnten, aber kaum Einfluss auf ihren Alltag hatten. Für Menschen in extremer Armut ohne soziale Sicherung hilft ein Kreuz alle vier Jahre wenig.

Kommunismus präsentiert sich dort als Bewegung, die die repräsentative Demokratie in eine direkte Demokratie verwandelt, was äußerst attraktiv ist. Er ist eine Modernisierungsideologie, die verspricht, dass der Staat nicht rückständig bleiben muss und alle am Wohlstand teilhaben werden. Diese Idee hat ihre Sprengkraft nicht verloren, besonders in Ländern mit prekären Bedingungen. Das Wahlrecht allein ist nicht entscheidend; wichtig ist, was zwischen den Wahlen passiert und wer die Herrschaft ausübt. Daher wird die Geschichte des Kommunismus als nicht zu Ende betrachtet.

Gewalt: Bedingt durch die Umstände?
Die Gewalt und Diktatur, die oft mit dem Kommunismus assoziiert werden, kommen laut Quelle möglicherweise nicht aus der Ideologie selbst. Das friedliche Engagement der italienischen und französischen Kommunisten in der Demokratie deutet darauf hin. Stattdessen wird die Gewalt damit in Verbindung gebracht, dass Kommunisten paradoxerweise nicht in Industrieländern an die Macht kamen, sondern in Entwicklungsländern. Dies geschah oft durch Eroberung oder war in Ländern wie China, Vietnam, Kuba etc. verankert.

Diese Regime wurden zu Erziehungsdiktaturen, weil ihnen die notwendigen Bedingungen fehlten, um den Sozialismus zu entfalten: keine Infrastruktur, keine Kommunikationsstrukturen und keine zivile Gesellschaft, die sich gegen den Staat hätte organisieren können. Dies gab den Herrschern extreme Macht. Die Gewalt resultierte auch aus den gigantischen Aufgaben, wie der schnellen Umwandlung eines Agrarlandes in einen Industriestaat, und dem Fehlen von Widerstand gegen diese „absurden Vorstellungen“. Bureaukratische Institutionen, Infrastruktur und zivile Strukturen werden als Barrieren gegen Tyrannei gesehen. Die Tragik des Kommunismus liegt darin, dass er ausgerechnet dort verwirklicht wurde, wo solche Strukturen fehlten. Es hat weniger mit dem Kommunismus an sich zu tun, als mit den Bedingungen seiner Verwirklichung.

Lernen in der Demokratie
Kommunistische Parteien, die in Demokratien Wahlen gewinnen, aber keine absolute Mehrheit erreichen, verwandeln sich mit der Zeit tendenziell in sozialdemokratische Parteien, weil sie Erfolg haben. KPF und KPI werden am Ende als sozialdemokratisch bezeichnet. Sogar die Linkspartei in Deutschland sozialdemokratisiere sich. Sie erkennen, dass Revolution in Ländern mit funktionierender Zivilgesellschaft und bürgerlichen Strukturen unrealistisch ist und zur Marginalisierung führt.

Der Vorteil von Demokratien ist, dass man lernen kann. Man kann Ideen ausprobieren und sehen, ob sie funktionieren. In autoritär regierten Staaten fehlt diese Möglichkeit; die Opposition weiß, dass sie nur durch Revolution an die Macht kommt. Richard Pipes schlug vor, wenn Lenin und die Bolschewiki in der Duma beteiligt gewesen wären, hätte man sie schnell „entzaubern“ können, indem sie die Probleme hätten lösen müssen. Parteien werden radikaler, wenn sie wissen, dass sie ohne Revolution nie an die Macht kommen. Dissidentenbewegungen in Diktaturen sind oft weltfremd, weil ihnen die Praxis fehlt. Italienische und französische Kommunisten hatten das Privileg, in einer pluralistischen Gesellschaft zu arbeiten und mussten ihre Ideen den Wählern erklären, wobei sie lernten, dass bestimmte Konzepte wie die Diktatur des Proletariats nicht überzeugen. Das Lernen in der Demokratie, wie am Beispiel der deutschen Sozialdemokraten und des Godesberger Programms gezeigt, ermöglichte die Anpassung von Ideen, die nicht funktioniert haben. Gewalt und Terror entstehen dagegen oft in despotischen Kontexten, wo Ausprobieren unmöglich ist.

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