Berlin. Die Meinungsfreiheit – ein Grundpfeiler der Demokratie und doch ein Begriff, der zunehmend zum Zankapfel wird. Auf der diesjährigen re:publica, dem Schmelztiegel der digitalen Gesellschaft, entbrannte auf der ARD/ZDF Media Stage eine hitzige und aufschlussreiche Diskussion über die Grenzen, Gefahren und die Zukunft dieses fundamentalen Rechts. Unter der Moderation von Philip Wortmann trafen ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten, Jurist Ulf Burmeier und Satiriker Nico Semsrott aufeinander, um die komplexen Herausforderungen von Desinformation, der Macht globaler Plattformen und dem Vormarsch rechtsextremer Narrative zu beleuchten.
Einigkeit herrschte darüber, dass der Begriff „Meinungsfreiheit“ keineswegs universell verstanden wird. Insbesondere der Vergleich zwischen den USA und Europa offenbare tiefe Gräben, so die Experten. Während in den Vereinigten Staaten oft das Bild eines freien „Marktplatzes der Ideen“ vorherrsche, auf dem sich die überzeugendste Meinung wie von selbst durchsetze, zog Ulf Burmeier diese Prämisse in Zweifel. Algorithmen, wie sie etwa auf X (vormals Twitter) unter Elon Musk zum Einsatz kämen, würden die Chancengleichheit von Meinungen massiv beeinflussen. Zudem, so Burmeier, seien nicht alle Meinungen per se legitim.
Deutschlands Ansatz, so wurde deutlich, ist tief in seiner Geschichte verwurzelt. Die schmerzhaften Lehren aus dem Scheitern der Weimarer Republik und dem Schrecken des Nationalsozialismus hätten dazu geführt, dass die Menschenwürde über eine unbeschränkte Meinungsäußerung gestellt wurde. Der Grundsatz „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit“ sei hierzulande leitend, um zu verhindern, dass demokratiefeindliche Bestrebungen politische Wirksamkeit entfalten.
Juristisch, erklärte Burmeier, seien die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland „sehr sehr weitgehend“. Eine klare rote Linie existiere bei beweisbar falschen Faktenbehauptungen, wie der Leugnung des Holocausts. Auch Volksverhetzung und persönliche Beleidigungen seien nicht geschützt. Dennoch, so die Einschätzung, mache die Politik von diesen Einschränkungsmöglichkeiten nur „extrem zurückhaltend Gebrauch“.
Ein zentrales Schlachtfeld im Kampf um die Deutungshoheit sind die globalen Internetplattformen. Persönlichkeiten wie Elon Musk und Mark Zuckerberg inszenierten sich zwar als Vorkämpfer grenzenloser Freiheit, verfolgten laut Bettina Schausten aber vor allem handfeste ökonomische Interessen und das Ziel der Deregulierung. Ulf Burmeier unterstrich die immense Bedeutung von Plattformen wie Facebook, Instagram oder X als zentrale Arenen des öffentlichen und politischen Diskurses. Es sei daher „sehr wichtig, dass diese Plattformen so strukturiert sind, dass Lügen möglichst wenig Chancen haben.“ Der Digital Services Act (DSA) der EU sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, ihm fehle es jedoch an „Zähnen“, um die Konzerne wirksam in die Pflicht zu nehmen. Die Gefahr, den demokratischen Diskurs profitorientierten Unternehmen zu überlassen, sei immens.
Besonders kritisch sahen die Diskutanten das Phänomen der „False Balance“, bei dem wissenschaftlich fundierte Aussagen, etwa zum Klimawandel, mit unbelegten Gegenmeinungen auf eine Stufe gestellt werden. Dies erwecke den trügerischen Anschein zweier gleichwertiger Positionen und vergifte die Debattenkultur. Schausten betonte: „Eine vielfältige Diskussion kann nur auf einer gemeinsamen Basis von Fakten funktionieren.“
Intensiv widmete sich die Runde den Strategien der neuen Rechten und der AfD. Diese, so der Tenor, instrumentalisierten den Begriff der Meinungsfreiheit, um sich als Opfer einer vermeintlichen „Meinungsdiktatur“ zu stilisieren und staatliche Institutionen zu delegitimieren. Nico Semsrott griff zu einem drastischen Vergleich: Die Diskussion mit Rechtsextremen sei wie Schachspielen gegen eine Taube – diese „kacke aufs Brett, werfe alle Figuren um und behaupte dann, sie habe gewonnen.“ Ziel sei es, die Debatte an sich zu zerstören. Ulf Burmeier erklärte die Anziehungskraft rechtsextremen Gedankenguts mit dessen Fähigkeit, Emotionen wie Hass und Neid zu schüren, die oft schwerer durch komplexe, rationale Argumente für Demokratie und Menschenrechte zu entkräften seien.
Der Umgang der Medien, insbesondere der öffentlich-rechtlichen, mit der AfD wurde ebenfalls kritisch beleuchtet. Bettina Schausten stellte klar, dass ein pauschaler Ausschluss der Partei angesichts ihrer parlamentarischen Stärke nicht zielführend sei. Vielmehr erfordere der Umgang „mehr Sorgfalt und mehr Vorbereitung“, um Falschaussagen konsequent entgegenzutreten und Inszenierungen als Opfer zu durchschauen.
Die vieldiskutierte „gefühlte Meinungsfreiheit“ – laut einer Umfrage fühlen sich 44% der Deutschen in ihren Äußerungen eingeschränkt – wurde differenziert betrachtet. Während Semsrott eine Ursache in der ständigen Feedback-Kultur der sozialen Medien sah, sprach Burmeier von einem „Wahrnehmungsproblem“. Meinungsfreiheit bedeute nicht Freiheit von Widerspruch. Faktoren wie Polarisierung und eine Verschiebung des „Overton Windows“ nach rechts, wodurch ehemals abseitige Meinungen salonfähig würden, spielten ebenfalls eine Rolle.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, so Schausten, sei historisch mit dem Auftrag angetreten, unabhängig von politischen und ökonomischen Interessen Wahrheit von Lüge zu trennen. Man müsse sich jedoch der Kritik stellen, eine verengte Meinungsvielfalt abzubilden, und stärker auf Dialog und Faktenchecks setzen. Die Zukunft des Journalismus liege in der Einordnung und Erklärung von Kontexten, da reine Nachrichtenüberblicke zunehmend von KI übernommen werden könnten.
Als bedrohlich wurde der steigende Druck auf engagierte Bürger, Kommunalpolitiker und Journalisten durch politische Gewalt und Einschüchterung empfunden. Solidarität und Unterstützungsangebote seien hier unerlässlich. Ulf Burmeier stellte die von ihm mitgegründete Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) vor, die sich als „Rechtsschutzversicherung für das Grundgesetz“ verstehe und Grundrechte strategisch einklage.
Zum Abschluss appellierten die Experten an das Publikum: „Irgendetwas machen“, riet Nico Semsrott, denn Handeln sei ansteckend. Ulf Burmeier betonte die untrennbare Verbindung von Meinungs- und Pressefreiheit und rief zur finanziellen Unterstützung von Qualitätsjournalismus auf. Bettina Schausten formulierte das Ideal eines demokratischen Diskurses, der auf Fakten basiert und Lüge klar von Wahrheit trennt.
Die Debatte auf der re:publica machte eindrücklich klar: Meinungsfreiheit ist kein Selbstläufer. Sie bedarf des ständigen Engagements, klarer Grenzen gegenüber ihren Feinden und eines robusten, faktenbasierten Diskurses – eine Aufgabe für Medien und Zivilgesellschaft gleichermaßen.