Alles im Argen: DDR-Alltag zwischen Transportchaos, Versorgungsmängeln und Baustellenrisiko

Am Morgen eines Septembertages 1986 beginnt auf dem Berliner Ostgüterbahnhof ein Tag, der mehr als nur Transportaufträge und Ladezeiten in den Fokus rückt. In der neuen Ausgabe von Prisma – Innenpolitisches Magazin der DDR wird der Alltag der Akteure des Güterverkehrs in den Mittelpunkt gestellt, wobei logistische Pannen, bürokratische Hürden und ineffiziente Abläufe an die Oberfläche treten.

Bereits um 5.45 Uhr erwacht die Dispatcherzentrale einer Spedition zum Leben: Fahrer erhalten rund um die Uhr ihre Aufträge, und die Güter, die mit der Bahn ankommen, sollen bis in die Betriebe transportiert werden. Doch schon in den ersten Stunden des Tages zeigt sich, dass das System mit gravierenden Mängeln behaftet ist. So wird beispielsweise ein Auftrag für Großhandelstextilwaren anfangs an die falsche Adresse in der Kronenstraße gesendet – bis nach mehrfachen telefonischen Rücksprachen der richtige Ort, das Haus am Vogtai Platz, erreicht wird.

Der Fahrer Wolfgang Übelacker schildert, wie sich trotz der Aufbruchstimmung in den frühen Stunden immer wieder Verzögerungen einstellen:

„Zwischen 7.19 Uhr und 7.27 Uhr passiert nichts, weil wir erst einmal die Entladekolonne zusammenstellen müssen.“

Diese Verzögerungen häufen sich im Tagesverlauf. Ein Großhandelsbetrieb für Schuhe und Lederwaren in der Rosenstraße benötigt statt der vorgesehenen 20 Minuten eine ganze Stunde, um einen LKW vollständig zu entladen – ein Vorgang, der nicht nur den Zeitplan sprengt, sondern auch den logistischen Fluss im gesamten Transportnetz lahmlegt. Die Reportage macht deutlich, dass hinter diesen Verzögerungen ein Zusammenspiel von verworrenen Zuständigkeiten, starren Abläufen und einer allgemein mangelnden Bereitschaft zur Kooperation steckt.

Während die Spediteure mit diesen logistischen Herausforderungen ringen, beleuchtet Prisma einen weiteren Bereich, der den Alltag der DDR-Bürger maßgeblich beeinflusst: die Grundversorgung im ländlichen Raum. Am Beispiel der Altmarktgemeinde Hindenburg im Kreis Osterburg – einer Ortschaft mit rund 500 Einwohnern – wird der eklatante Mangel an Friseurdienstleistungen deutlich. Einst gab es hier zwei Friseursalons, heute jedoch fehlt es gänzlich an Angeboten. Die Bürger stehen vor dem Dilemma, für einen einfachen Friseurtermin einen ganzen Urlaubstag einplanen zu müssen.

Die Problematik wird nicht isoliert betrachtet: In vielen Gemeinden zeigt sich ein ähnliches Bild. In einigen Orten, wie in Schwarzholz, wird jedoch bereits versucht, den Missstand zu beheben. Dort treiben lokale Initiativen in Zusammenarbeit mit der zuständigen Provinzialgesellschaft (PGH) den Ausbau von Friseurstuben voran – ein Projekt, das neben klassischem Haarschnitt auch Zusatzleistungen wie Fußpflege vorsieht. Diese neuen Ansätze werden als wichtige Maßnahmen gewertet, um nicht nur die Versorgungslücke zu schließen, sondern auch den ländlichen Raum attraktiver zu gestalten und Abwanderungen in die Städte zu verhindern.

Den dritten Schwerpunkt des Magazins bildet der Blick in die Welt der Bauarbeiten und den allgegenwärtigen Mangel an Arbeitsschutz. An einer Baustelle in Görlitz wird ein beinahe folgenreicher Unfall geschildert: Bei Abstimmarbeiten an der Fassade verliert ein Arbeiter das Gleichgewicht, stolpert und stürzt – glücklicherweise ohne schwerwiegende Verletzungen, jedoch als mahnendes Beispiel für die vernachlässigte Sicherheitskultur.

Im Zentrum der Kritik steht die mangelhafte Umsetzung der sogenannten Drei-Stufen-Kontrolle:

  1. Tägliche Kontrolle: Brigadiere sollen zu Arbeitsbeginn den Baustellenbereich inspizieren und Mängel feststellen.
  2. Wöchentliche Kontrolle: Bauleiter sind angehalten, regelmäßig den Fortschritt und die Sicherheitsstandards zu überprüfen.
  3. Vierteljährliche Überprüfung: Die Betriebsleitung muss sich persönlich ein Bild von den Zuständen machen.

Doch in der Praxis zeigt sich, dass diese Kontrollmechanismen oft lückenhaft und formal abgearbeitet werden – anstatt präventiv für Sicherheit zu sorgen. Fehlende Sicherheitsgeländer, unzureichend befestigte Gerüste und mangelnde Belehrungen der Arbeiter sind nur einige der wiederkehrenden Mängel, die in den Berichten zur Sprache kommen. Ein Arbeitsschutzinspektor bemängelt:

„Es ist inakzeptabel, dass trotz mehrfacher Belehrungen und verbindlicher Vorschriften die tägliche Kontrolle durch die Brigadiere versagt.“

Gespräche mit den verantwortlichen Bauleitern und den betrieblichen Führungskräften offenbaren ein System, in dem Routine und bürokratische Selbstzufriedenheit oft über das nötige Sicherheitsbewusstsein gestellt werden. Der daraus resultierende Zustand – in dem die Gesundheit und das Leben der Arbeiter auf dem Spiel stehen – fordert ein Umdenken in der Umsetzung staatlicher Vorgaben.

Prisma zeichnet damit ein facettenreiches Bild des DDR-Alltags, in dem strukturelle Schwächen und ineffiziente Abläufe in verschiedenen Bereichen des staatlich organisierten Lebens offensichtlich werden. Der Bericht macht deutlich, dass es nicht allein um isolated logistische Probleme, sondern um ein umfassendes Systemversagen geht, das sich von der Warenversorgung bis hin zur Arbeitssicherheit erstreckt.

Die Resultate dieser Reportage sind alarmierend: Verzögerungen und Missverständnisse im Transportwesen führen zu erheblichen wirtschaftlichen Einbußen und Ressourcenverschwendung, während die mangelnde Daseinsvorsorge in ländlichen Gemeinden den Alltag der Bürger zusätzlich erschwert. Gleichzeitig wirft der unzureichende Arbeitsschutz im Bauwesen ein Schlaglicht auf ein Versagen in der praktischen Umsetzung von Sicherheitsvorschriften – ein Problem, das nicht erst nach einem tragischen Unfall seine Dringlichkeit entfalten darf, sondern bereits im Vorfeld adressiert werden muss.

Dieser umfassende Bericht aus dem Innenmagazin Prisma ruft die Verantwortlichen in der DDR dazu auf, die bestehenden Systeme und Kontrollmechanismen zu überdenken und konsequent zu reformieren. Nur durch ein Umdenken in den Bereichen Logistik, Grundversorgung und Arbeitssicherheit kann es gelingen, das Vertrauen der Bevölkerung in die Leistungsfähigkeit des sozialistischen Systems wiederherzustellen – und den Weg in eine effizientere, bürgernähere Zukunft zu ebnen.

Autor/Redakteur: Arne Petrich
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