Der Triumph des Westens: Die Übernahme der NVA durch die Bundeswehr

Sieg im Osten - Wie die Bundeswehr die NVA schluckte (Dokumentarfilm, 1993)

Sieg im Osten – Wie die Bundeswehr die NVA schluckte: Die Integration der NVA in die Bundeswehr: Eine Geschichte von Sieg, Verlust und ungelösten Fragen

Der Dokumentarfilm „Sieg im Osten – Wie die Bundeswehr die NVA schluckte“ aus dem Jahr 1993 ist eine packende Darstellung der Integration der Nationalen Volksarmee (NVA) in die Bundeswehr nach der Wiedervereinigung Deutschlands. Er zeigt den militärischen, gesellschaftlichen und emotionalen Übergang von der einst stolzen DDR-Armee in die westdeutsche Bundeswehr und beleuchtet die politischen, kulturellen und persönlichen Herausforderungen dieser Transformation.

Die NVA, die einst die militärische Säule des sozialistischen Staates war, verschwand innerhalb weniger Monate nach der Wiedervereinigung vollständig. Der Film legt dabei den Fokus auf die individuellen Geschichten der Soldaten, die plötzlich in einer neuen Realität leben mussten – ohne den Beruf, der ihr Leben definiert hatte, und ohne die ideologische Basis, auf der sie ihre militärische Laufbahn aufgebaut hatten. Für viele bedeutete der Übergang nicht nur das Ende ihrer militärischen Karriere, sondern auch das Gefühl, ihre Identität und Heimat zu verlieren.

Der Absorptionsprozess: Eine militärische „Schlacht“ ohne Waffen
Die Bundeswehr, die als Gewinner des Kalten Krieges galt, übernahm die NVA und begann einen beispiellosen Prozess der Integration und Auflösung. Diese Übernahme war kein gleichberechtigter Zusammenschluss, sondern ein ungleicher Prozess, in dem die Bundeswehr als „Sieger“ und die NVA als unterlegene Partei angesehen wurde. Dieser „Sieg“ war für die westdeutschen Streitkräfte fast symbolisch, aber für die ehemaligen NVA-Soldaten eine tiefe persönliche Niederlage.

Von den rund 90.000 Soldaten der NVA wurden nur ein kleiner Teil in die Bundeswehr übernommen. Diese Zahl war aufgrund politischer und ideologischer Unterschiede zwischen den beiden Armeen begrenzt. Insbesondere die Führungsebene der NVA, die eng mit der SED-Ideologie verbunden war, hatte kaum Chancen, in die Bundeswehr integriert zu werden. Die meisten Offiziere und Soldaten sahen sich mit Entlassungen konfrontiert. Der Film zeigt eindrucksvoll, wie diese plötzliche Entlassung viele Soldaten in Arbeitslosigkeit und Unsicherheit stürzte, oft ohne Perspektiven auf einen neuen beruflichen Einstieg.

Eggesin: Eine Garnisonsstadt im Wandel
Besonders eindrucksvoll ist der Abschnitt des Films, der die Kleinstadt Eggesin zeigt, eine ehemalige Garnisonstadt nahe der polnischen Grenze, die zu DDR-Zeiten eng mit der NVA verbunden war. Hier, wie in vielen anderen Garnisonsstädten, bedeutete der Wegfall der NVA nicht nur den Verlust von Arbeitsplätzen, sondern auch den Zerfall einer sozialen und wirtschaftlichen Struktur, die jahrzehntelang existiert hatte.

Der ehemalige Soldat Ingolf Hartlmeier wird in diesem Kontext vorgestellt. Er hatte gehofft, Kommandeur in Eggesin zu werden, doch drei Tage vor der deutschen Einheit erhielt er seine Entlassungspapiere. Die Dokumentation zeigt ihn, wie er seine alte Uniform aufbewahrt – ein symbolischer Akt des Erinnerns und Festhaltens an eine Vergangenheit, die mit der Wende unwiederbringlich verloren ging.

Die Zerstörung der NVA: Symbolischer Akt und geopolitische Auswirkungen
Ein bedeutender Teil des Films beschäftigt sich mit der Zerstörung und Verschrottung der militärischen Ausrüstung der NVA. Dies wird als ein symbolischer Akt dargestellt, der das Ende des Kalten Krieges markiert. Panzer, Flugzeuge und Waffen, die einst die Stärke der DDR-Streitkräfte repräsentierten, wurden entweder verschrottet oder ins Ausland verkauft. Die Verschrottung stand nicht nur für den materiellen, sondern auch für den ideologischen Zusammenbruch der NVA.

Im Zuge der Wiedervereinigung und der Auflösung der NVA wurden zahlreiche Rüstungsbetriebe geschlossen, was zu einem erheblichen wirtschaftlichen Rückgang in den betroffenen Regionen führte. Der Film beleuchtet auch diese Dimension und zeigt, wie viele ehemalige Rüstungsarbeiter ohne Arbeit blieben. Die versprochenen neuen wirtschaftlichen Perspektiven durch die „Konversion“ – also die Umstellung von Rüstungsbetrieben auf zivile Produktion – blieben für viele Menschen aus.

Persönliche Verluste und ungelöste Fragen
Der Film unterstreicht, dass die Integration der NVA in die Bundeswehr nicht nur eine militärische, sondern vor allem eine persönliche Tragödie für viele Menschen war. Zahlreiche NVA-Soldaten, die ihre gesamte Karriere in der Armee der DDR verbracht hatten, empfanden den Übergang als tiefen Bruch. Viele sahen sich als „Verlierer“ der Wiedervereinigung, fühlten sich von der westdeutschen Gesellschaft missachtet und in ihrem Stolz verletzt.

Diese individuellen Geschichten, die der Film erzählt, stehen im Kontrast zu dem allgemeinen Bild der erfolgreichen Wiedervereinigung, das in den frühen 1990er Jahren im Westen Deutschlands vorherrschte. Die Soldaten der NVA hatten nicht nur ihren Beruf, sondern oft auch ihre Identität und ihr Lebenswerk verloren. Für viele war es ein Gefühl des „Verrats“, weil die Ideale, für die sie jahrelang gestanden hatten, nun als überholt und falsch dargestellt wurden.

„Sieg im Osten“: Eine kritische Reflexion
„Sieg im Osten“ ist mehr als nur eine militärhistorische Dokumentation. Es ist ein Film, der die Widersprüche und Spannungen der deutschen Wiedervereinigung aufgreift und kritisch hinterfragt. Während im Westen die Wiedervereinigung als triumphaler Moment der deutschen Geschichte gefeiert wurde, zeigt der Film, dass sie für viele Menschen im Osten mit Verlusten und ungelösten Fragen verbunden war.

Besonders beeindruckend ist die Darstellung der tiefen Kluft zwischen den west- und ostdeutschen Soldaten. Während die Bundeswehr sich als Hüter der westlichen Demokratie und Freiheit sah, galten die NVA-Soldaten lange Zeit als „Feinde“ und „Gegner“, was die Integration erschwerte. Der Film verdeutlicht, dass die Überwindung dieser Kluft eine große Herausforderung war und für viele bis heute eine offene Wunde darstellt.

Schlussfolgerung: Ein langer Weg zur Einheit
Der Film endet mit der Erkenntnis, dass die militärische Einheit zwischen NVA und Bundeswehr zwar relativ schnell vollzogen wurde, aber die sozialen und kulturellen Folgen dieser Fusion weitaus länger nachwirken. Die Integration der beiden deutschen Armeen steht als Symbol für den gesamten Wiedervereinigungsprozess: ein historischer Sieg des Westens, der aber auf Kosten vieler persönlicher Schicksale errungen wurde.

„Sieg im Osten“ bleibt bis heute ein wichtiges Dokument, das die menschlichen und gesellschaftlichen Kosten der Wiedervereinigung und der Integration der NVA in die Bundeswehr eindringlich veranschaulicht.

Autor/Redakteur: Arne Petrich

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