Das Haus der Schulzes in Glienicke ist alles andere als gewöhnlich, und die Mauer, die es umgibt, war zu DDR-Zeiten eine der am stärksten bewachten Grenzen der Welt. In dem kleinen Ort an der Grenze zu Berlin, in der Straße Am Sandkrug, erstreckt sich der sogenannte „Entenschnabel“. Diese bizarre Bezeichnung stammt daher, dass die Straße wie ein Entenschnabel in den Westen hineinragte und somit eine direkte Verbindung zur Bundesrepublik Deutschland darstellte. Joachim Kullmann, ein ortskundiger Historiker, beschäftigt sich seit Jahren mit der ehemaligen Enklave und hat zahlreiche Geschichten und Anekdoten über das Leben an dieser besonderen Grenze gesammelt.
Die Lage des Entenschnabels hatte viele Folgen für seine Bewohner. Passkontrollen bei jedem Betreten und Verlassen der Straße waren an der Tagesordnung. Wer hier wohnen wollte, musste sich den strengen Auflagen der DDR unterwerfen. Die Schulzes waren eine der wenigen Familien, die sich in diese „Sondersperrzone“ wagten. Vor 33 Jahren zogen sie mit ihren Enten in das Gebiet, das für viele als „Hinterhof“ der DDR galt. Der Begriff „Sondersperrgebiet“ war nicht übertrieben; die Einschränkungen waren drakonisch.
Für „normale“ Menschen hätte es kaum einen Grund gegeben, in ein solches Gebiet zu ziehen. Handwerker durften das Haus nur unter strengen Kontrollen betreten. Oft wurden sie von Polizisten umstellt, die jeden ihrer Schritte überwachten. Manchmal kam es sogar zu gefährlichen Situationen, da die Anfahrt von Rettungsfahrzeugen durch die Grenzkontrollen erheblich verzögert wurde.
Trotz dieser Widrigkeiten ließen sich die Schulzes nicht abschrecken. Sie hatten sich für diesen Ort entschieden und waren bereit, die damit verbundenen Einschränkungen zu akzeptieren. „Ich durfte nicht nach West-Berlin winken, nicht einmal aus dem Fenster“, erinnerte sich eine der Schulzes. „Aber ich wollte das alles mitmachen. Wenn ich das nicht gewollt hätte, hätte ich hier nicht einziehen sollen. Das ist einfache Logik.“
Die Nachbarschaft im Entenschnabel war handverlesen. Es wurde darauf geachtet, dass die Bewohner staatsnahe Bürger waren – meist Armeeoffiziere oder Angehörige der Stasi. Dennoch fühlten sich die Schulzes in ihrer Nachbarschaft wohl. „Wir haben sie so angenommen, wie sie sind“, so die Schulzes. „Für uns war das hier einfach ein Geschenk. Ich bin gläubig, und wir haben für dieses Haus gebetet. Dann haben sich die Türen für uns aufgetan.“
Für viele Menschen hätte der Entenschnabel wie ein Käfig gewirkt, doch für die Schulzes war es ganz normal. Die Enklave bot ihnen einen Rückzugsort, eine Gemeinschaft, in der sie ihre eigenen Regeln leben konnten, auch wenn das bedeutete, in einer der am meisten kontrollierten Zonen der DDR zu wohnen.
In der DDR wurde das Leben oft von Angst und Misstrauen geprägt. Menschen, die aus der Norm fielen, mussten damit rechnen, bespitzelt oder verfolgt zu werden. Doch in der kleinen Gemeinschaft des Entenschnabels konnten die Schulzes eine Art Normalität finden, die vielen anderen verwehrt blieb.
Der Entenschnabel war nicht nur ein geografischer Ort; er war ein Symbol für das Überleben des menschlichen Geistes in einer repressiven Umgebung. Die Schulzes waren bereit, die Risiken einzugehen, um ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu leben. Ihr Haus stand nicht nur für einen physischen Raum, sondern auch für ein Zuhause, das sie trotz der Herausforderungen als etwas Positives betrachteten.
Diese Geschichte ist eine von vielen, die zeigen, wie Menschen auch unter extremen Bedingungen ein Gefühl von Normalität und Gemeinschaft schaffen können. Die Schulzes lebten in einem Umfeld, das von vielen als bedrohlich empfunden wurde, aber sie fanden Wege, um ihr Leben zu gestalten, mit Liebe, Glauben und einem unerschütterlichen Mut, ihre Entscheidungen zu treffen.
Das Haus der Schulzes ist somit nicht nur ein Relikt aus der Zeit der DDR, sondern ein Zeugnis für die Fähigkeit des Menschen, in selbst den widrigsten Umständen ein Zuhause zu finden. Die Erinnerungen an ihre Zeit im Entenschnabel sind wertvoll und wichtig, um die Vergangenheit zu verstehen und um die Resilienz der Menschen zu würdigen, die sich trotz aller Widrigkeiten entschieden haben, ihren eigenen Weg zu gehen.