West-Berlin, Juni 1989. In den Messehallen spricht ein Gast aus dem Osten vor dem Evangelischen Kirchentag, während in der DDR Skinheads längst zum Alltag gehören und Prozesse wegen „Rowdytums“ geführt werden. Konrad Weiß steht am Rednerpult und blickt auf eine Gesellschaft, die ihre braunen Schatten nie losgeworden ist.
Die Analyse, die der Bürgerrechtler Konrad Weiß am 8. Juni 1989 vorträgt, bricht mit einem der größten Tabus der DDR. Er spricht offen aus, was die staatliche Propaganda leugnet: Dass Rechtsradikalismus und Antisemitismus keine reinen Probleme des Westens sind, sondern in der Mitte der sozialistischen Gesellschaft wuchern. Skinheads schlagen Ausländer zusammen, jüdische Friedhöfe werden geschändet, doch die Justiz verharmlost die Taten oft systematisch als unpolitisches Vergehen oder sieht die Täter als Opfer westlicher Verführung.
Weiß identifiziert eine gefährliche Akzeptanz für rechtsradikales Gedankengut, die weit in das unpolitische Kleinbürgertum hineinreicht. Die sogenannten „Faschos“ gelten vielen als ordentlich und diszipliniert, während der Staat selbst soldatische Tugenden und ein fragwürdiges Elitebewusstsein fördert. Die nicht aufgearbeitete Schuld der Mitläufer aus der NS-Zeit und der stalinistische Terror der Nachkriegsjahre haben eine echte Auseinandersetzung mit der Geschichte verhindert und konservierten alte Ideologien in den Köpfen.
Ein zentraler Aspekt seiner Rede ist die Beobachtung einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Doppelmoral. In einem Gemeinwesen, in dem Menschen dauernd etwas anderes sagen, als sie denken, und etwas anderes tun, als sie wollen, entsteht ein ethisches Vakuum. Diese erzwungene Anpassung und die Unterdrückung von Kritik schwächen den sozialen Zusammenhalt und machen insbesondere die Jugend anfällig für radikale, simplifizierende Lösungen von Rechtsaußen.
Die staatliche Gewaltanwendung gegen Andersdenkende und die Mauer als materialisiertes Prinzip der Gewalt dienen ungewollt als Vorbild. Wenn Konflikte staatlicherseits gewaltsam gelöst werden und Individualität zugunsten der Masse unterdrückt wird, finden faschistische Traditionslinien einen idealen Nährboden. Die künstliche Konstruktion einer „sozialistischen Nation“ wurde nie akzeptiert, was das gestörte Nationalgefühl zusätzlich belastet und Raum für extremistische Identifikationsangebote schafft.
Konrad Weiß mahnt eindringlich, die jungen Täter nicht einfach abzuschreiben, sondern sie als Produkte der eigenen gesellschaftlichen Defekte zu begreifen. Er fordert, dem Rechtsradikalismus seine Faszination zu nehmen, indem man echte demokratische Alternativen bietet. Nur eine wahrhaftige Demokratie und das Ende der gesellschaftlichen Lüge können die Jugend langfristig gegen das braune Gedankengut immunisieren, das im Schatten der Mauer überlebt hat.