Leipzig, DDR. In der zweitgrößten Stadt der Deutschen Demokratischen Republik, die weltweit als Messestadt und Zentrum der sozialistischen Sportbewegung bekannt ist, fand im Jahr 1977 ein herausragendes Ereignis statt: Das VI. Deutsche Turn- und Sportfest, das gleichzeitig die VI. Kinder- und Jugendspartakiade der DDR umfasste. Eine Woche lang vereinte dieses Großereignis Zehntausende von Wettkämpfern und Hunderttausende von Gästen zu einer beeindruckenden Sport- und Leistungsshow, die als Höhepunkt der Verwirklichung des Sportprogramms des Deutschen Turn- und Sportbundes der DDR, der Gewerkschaften und des Sozialistischen Jugendverbandes galt.
Sport als Lebensgrundlage und politisches Bekenntnis
Das Fest unterstrich die tiefe Verankerung des Sports im Alltag der DDR-Bürger. Die sozialistische Verfassung garantierte das Recht auf Sport, auf regelmäßige Gesundheitsvorsorge und sinnvolle Freizeitgestaltung, was für viele Menschen zu einem echten Bedürfnis geworden war. Körperkultur und Sport genossen die volle, umfassende Förderung und Unterstützung durch die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) und die Regierung der DDR. Diese Veranstaltung demonstrierte eindrucksvoll, wie anerkannte Weltbestleistungen aus einer breiten sportlichen Massenbeteiligung im ganzen Land resultierten und wie sportliche Höchstleistungen zum Vorbild für die junge Generation werden konnten.
Von Vorschulkindern bis zur Nationalen Volksarmee: Vielfalt der Teilnehmer
Die Eröffnung des Sportreigens im Stadion der Hunderttausend war den Jüngsten gewidmet: Über 1105 fünf- bis sechsjährige Vorschulkinder, zumeist aus Leipziger Kindergärten, zeigten spielerisch ihre Freude an der Bewegung. Der tägliche Sport, schon in frühester Jugend, gehörte zu den sozialistischen Bildungs- und Erziehungszielen in der DDR. Mädchen und Jungen im Alter von sieben bis zehn Jahren präsentierten ihre im Sportunterricht erlernten Fähigkeiten unter dem olympischen Motto „Citius-Altius-Fortius“ (schneller, höher, stärker). Der Übungsverband der Jugend, bestehend aus zehn- bis sechzehnjährigen Sportlern, verwandelte das Stadion in einen Schauplatz großer Handball- und Volleyballturniere. Auch 2000 Mädchen und Frauen beteiligten sich unter dem Motto „treib alle Sport“, und Mitglieder der Sportvereinigung der Nationalen Volksarmee (NVA) demonstrierten ihre Bereitschaft zum Schutz des Friedens und zur Verteidigung der sozialistischen Heimat. Den krönenden Abschluss der Sportschau bildeten die Sportler der Sportvereinigung Dynamo, aus der viele der besten Athleten der DDR stammten.
Umfassende Vorbereitungen und beeindruckende Darbietungen
Den monatelangen Vorbereitungen für dieses Großereignis ging das Ausrollen eines riesigen Kunststoffteppichs im Stadion der Hunderttausend voraus. Tausende von Übungsstunden lagen hinter den zwölftausend Sportlern aus Leipzig und den umliegenden Orten, die mit farbigen Tüchern wechselnde Bilder, Symbole und Schriftzeichen auf den Tribünen erzeugten. Diese Sportshow, die in Leipzig Premiere hatte, war das Ergebnis einer gemeinsamen Idee, die in unzähligen Sportgruppen und Vereinigungen umgesetzt wurde.
Volkssport und Talentschmiede Spartakiade
Neben den beeindruckenden Darbietungen umfasste das Fest auch sportliche Wettbewerbe für jedermann. Die sogenannte Turnfestmeile, ein Ausdauerlauf, an dem nur teilnehmen durften, wer im vergangenen Jahr hundertmal oder öfter diese Strecke absolviert hatte, war nur ein Beispiel dafür. Volkssportturniere, denen Qualifizierungswettkämpfe in Stadt und Land vorausgingen, fanden ebenfalls statt, darunter die Finalwettbewerbe der tausend besten Tischtennisspieler der DDR und Kegelmeisterschaften. Auch im Volleyball traten Mannschaften aus Betrieben, Wohngebieten und ländlichen Gemeinden an, wobei auch nicht-organisierte Mitglieder zugelassen waren – entscheidend war die Teilnahme, um Gesundheit, Wohlergehen, Lebensfreude und Leistungsfähigkeit der Menschen zu fördern.
Ein zentraler Bestandteil des Festes war die Kinder- und Jugendspartakiade, die in fast sämtlichen olympischen Sportarten stattfand und 10.000 Teilnehmer vereinte. Wettbewerbe begannen in den Schulen und setzten sich in Kreisen und Bezirken fort, wobei Millionen von Schülern und Lehrlingen teilnahmen. Die besten von ihnen trafen sich in Leipzig, um Talente zu entfalten und zu entdecken. Viele international anerkannte DDR-Sportler und Medaillengewinner, wie zum Beispiel Cornelia Ender oder der Kugelstoß-Olympiasieger Udo Beyer, begannen ihre erfolgreiche Laufbahn bei solchen Spartakiaden.
Internationale Begegnungen und Solidarität
Die freundschaftliche Verbundenheit des DDR-Sports mit Sportorganisationen vieler Länder zeigte sich in Leipzig deutlich. Weltklassesportler aus Japan, wie der dreifache Weltmeister Shigeru Kazama, und aus der Sowjetunion, wie der mehrfache Olympiasieger Nikolai Andrejanov, zeigten ihr Können. Auch Sportlerinnen aus Kuba waren anwesend, und Leichtathletik-Wettkämpfe im abendlichen Stadion der Hunderttausend lockten mit starker internationaler Beteiligung. Besonders enge und brüderliche Beziehungen verbanden die DDR und die UdSSR, was sich in gemeinsamen Wettkämpfen und Begegnungen wie einem Fußballspiel beider Ländermannschaften zeigte. Sowjetische Sportler und Trainer hatten nach der Befreiung vom Faschismus als Erste ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit den Sportlern der DDR geteilt, deren Erfolge ohne diese enge Zusammenarbeit undenkbar gewesen wären.
Fast 500 Repräsentanten aus 53 Ländern, darunter elf Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees sowie zahlreiche Präsidenten von Weltföderationen und Sportminister, zählten zu den fachkundigsten Zuschauern. Sie besuchten auch die Hochschule für Körperkultur und Sport der DDR, um die gesellschaftspolitischen Zusammenhänge und die Struktur der sozialistischen Sportbewegung kennenzulernen. Schirmherr des Sportfestes war Erich Honecker, Generalsekretär des Zentralkomitees der SED und Vorsitzender des Staatsrates der DDR, der die Gäste zu einem Empfang lud. Dabei wurde betont, dass die Förderung von Körperkultur und Sport in der DDR zur „Hauptaufgabe“ gehörte: das Leben der Bürger sozial sicherer, reicher und schöner zu gestalten. Das Fest war auch ein Bekenntnis zur internationalen Solidarität, insbesondere mit denen, die die Folgen imperialistischer Aggressionen überwinden oder um nationale und soziale Befreiung kämpfen.
Kunst, Kultur und das Vermächtnis
Eine Ausstellung „Kunst und Sport“ vereinte Karikaturen, Grafiken, Plastiken und Gemälde und bestätigte das Wort von Coubertin, wonach der Sport als Hervorbringer und Gelegenheit für die Kunst gelten könne. Der Abschluss des Festes wurde durch einen Umzug von 60.000 Sportlern durch die Straßen Leipzigs und eine große Abschlussveranstaltung im Stadion mit einem künstlerisch-sportlichen Programm gestaltet. Hunderte von Musikern, Tänzern und Turnern, darunter Schüler und Studenten von Musik- und Ballettschulen sowie Turnerinnen und Turner des Deutschen Turn- und Sportbundes der DDR, zeigten ihr Können.
Das VI. Deutsche Turn- und Sportfest 1977 in Leipzig, das Fest der sozialistischen Körperkultur und des Sports, ging zu Ende. Doch die Begeisterung und die Bereitschaft von Millionen Menschen in der DDR, Sport und Körperkultur zu einem festen Bestandteil ihres Lebens zu machen, sollte bleiben. Es war eine eindrucksvolle Demonstration von Leistungsfähigkeit, Lebensfreude und dem untrennbaren Zusammenhang von Sport und der Friedenspolitik der Regierung der DDR und der sozialistischen Staatengemeinschaft.