Die Wende 1989 brachte nicht nur den Fall der Berliner Mauer und die Hoffnung auf einen Neuanfang, sondern auch die Frage nach dem Umgang mit den ehemaligen Machthabern der DDR. Mitten in dieser Umbruchszeit ereignete sich eine Begebenheit, die das Credo von Frieden und Vergebung auf besondere Weise verkörperte: Der evangelische Pfarrer Uwe Holmer gewährte dem ehemaligen Staats- und Parteichef Erich Honecker und seiner Frau Zuflucht.
Für Uwe Holmer begann die Geschichte des Konflikts mit dem DDR-Staat bereits lange vor 1989. Schon 1953 wurde sein Vater plötzlich arbeitslos, weil Holmers Kinder alle in der Jungen Gemeinde aktiv waren – ein deutliches Zeichen für den damaligen „Höhepunkt des Kampfes des Staates gegen die Kirche“. Als im Herbst 1989 die Unruhen zunahmen, Honecker erkrankte und abgesetzt wurde, herrschte bei Holmer und vielen anderen Erleichterung.
Doch dann kam zwischen Weihnachten und Neujahr 1989/90 ein Vertreter der Kirchenleitung auf Holmer zu mit einer ungewöhnlichen Bitte: Ob er bereit wäre, Erich Honecker aufzunehmen? Honecker sollte am 11. Januar entlassen werden, und es gab keinen Ort, an den er gehen konnte – er wäre obdachlos gewesen. Nach reiflicher Überlegung, so Holmer, traf er eine Entscheidung, die von dem Wunsch nach einem „Neuanfang nicht mit Hass und Verachtung“ geprägt war, sondern von dem Streben nach „Frieden und Vergebung“. „Wir wollen einander vergeben“, war sein Leitgedanke.
Am Abend des 31. Januar wurden Erich Honecker und seine Frau schließlich von drei Stasi-Sicherheitspersonal zu Holmer gebracht. Die Nachricht verbreitete sich schnell. Ein Kirchenleiter aus Thüringen rief Holmer an, nachdem er im Radio gehört hatte, dass Honecker bei ihm untergebracht würde, und äußerte die Befürchtung: „Dann machen wir uns die Karriere kaputt“.
Trotz solcher Bedenken und der polarisierenden Persönlichkeit Honeckers erfuhr Holmers Geste auch breite Unterstützung. In den zehn Wochen, die Honecker bei ihnen verbrachte, erhielt die Familie Holmer rund 3.000 Briefe aus ganz Europa, die ihre Handlung befürworteten.
Rückblickend ist Uwe Holmer froh über sein Handeln: „Ich freue mich über alles, was Freundschaft schafft“, erklärt er. Er sei zudem glücklich, dass Deutschland wieder ein vereintes Land ist, auch wenn Honecker dies vielleicht nicht so empfinden konnte. Holmers Geschichte bleibt ein eindringliches Beispiel dafür, wie in Zeiten des Umbruchs eine individuelle Entscheidung für Menschlichkeit und Vergebung einen tiefgreifenden Einfluss haben kann.