Die tragischen Unglücke der DDR und die Mauer des Schweigens

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Die Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik ist nicht nur eine Erzählung von Aufbau und sozialistischem Leben, sondern auch eine von tragischen Unglücken, deren Hintergründe und wahre Ursachen oft im Verborgenen blieben. Für die Staatsführung waren solche Ereignisse politisch brisant, da sie das Bild eines funktionierenden Systems gefährden konnten. Das Ergebnis war eine Politik des strengsten Stillschweigens und der gezielten Informationskontrolle, die die Öffentlichkeit und insbesondere die Hinterbliebenen in quälender Ungewissheit zurückließ.

Die Grube als tödliche Falle: Das Zwickauer Bergbauunglück von 1960
Am Morgen des 22. Februar 1960 ereignete sich im Zwickauer Steinkohlewerk „Karl Marx“ eine Katastrophe, die sich tief in das kollektive Gedächtnis einprägte. In rund 1000 Metern Tiefe kam es zu einer Explosion, gefolgt von einer schnellen Ausbreitung von Feuer. Panik brach aus, und die Grube wurde zur tödlichen Falle für 178 eingeschlossene Bergleute. Trotz des mutigen und aufopferungsvollen Einsatzes der Grubenwehren, die sich selbst verbrannten, um Überlebende zu retten, und des Eilens von Ministerpräsident Otto Grotewohl zum Unglücksort, starben 123 Kumpel in der brennenden Hölle.

Besonders hervorzuheben ist die Ablehnung westdeutscher Hilfsangebote – inklusive Grubenwehren und einer speziellen Rettungskapsel – durch die DDR-Regierungskommission. Im Kontext des Kalten Krieges und des „systemischen Systemkampfes“ wollte die DDR vermitteln: „Wir schaffen das alleine, wir sind stark genug, wir brauchen den Westen nicht“. Diese politische Haltung führte dazu, dass angeforderte ostdeutsche Grubenwehren erst zwei Tage nach dem Unglück eintrafen.

Die Tragödie wurde schnell zu einem innerdeutschen Politikum. Während westdeutsche Zeitungen über mangelnde Arbeitssicherheit und den unbedingten Willen zur Planerfüllung spekulierten, konterte die DDR-Presse mit scharfen Tönen. Erst nach der Wende wurden geheime Stasi-Berichte zugänglich, die zeigten, dass die Katastrophe durch einen Sprenghauer und grobe Vergehen gegen Sprengstoffvorschriften verursacht worden war. Die Bevölkerung erfuhr davon jedoch nichts; offiziell wurde eine Schlagwetter- und Methan-Kohlenstaubexplosion als Ursache angegeben.

Die tödliche Spritztour: Das Panzerunglück am Rietzsee 1965
Fünf Jahre später, im Sommer 1965, geschah ein weiteres tragisches Unglück, das die gefährliche Nähe zwischen Volk und Militär in der DDR offenbarte. Am Rietzsee in Brandenburg nahmen Soldaten eines Militärstützpunktes Kinder aus einem Ferienlager zu Spritztouren auf einem Schwimmpanzer mit. Trotz klarer Vorschriften, die dies untersagten, geschah das Unfassbare: Der Panzer kenterte etwa 100 Meter vom Ufer entfernt, und sieben Jungen ertranken. Eines der Opfer war der siebenjährige Frank Peter Smolka, der nicht schwimmen konnte.

Die Militarisierung der Gesellschaft war in der DDR politisch gewollt. Kinderbesuche bei der NVA waren üblich, und selbst in Vorschulen wurden Soldatenlieder gesungen. Kinderbücher mit Titeln wie „Wenn die Haubitzen schießen“ prägten das Bild. Nach dem Unglück versuchten die Staatsorgane den Vorfall einzudämmen: Das Gebiet wurde abgeriegelt, Telefone abgestellt, und für die Öffentlichkeit wurde eine schwammige Meldung formuliert, die das Militärfahrzeug als „Motorfahrzeug der Nationalen Volksarmee“ umschrieb und die tatsächliche Kinderzahl verschleierte. Interne Diskussionen in der Armee belegten jedoch die Mitschuld der Vorgesetzten, doch am Ende wurden nur „kleine Fische“ verurteilt.

Der Flammeninferno von Langenweddingen 1967
Im Juli 1967 ereignete sich in Langenweddingen, Bezirk Magdeburg, das schlimmste Eisenbahnunglück der DDR-Geschichte. Ein Personenzug kollidierte an einem Bahnübergang mit einem Tanklastwagen, der 15.000 Liter Leichtbenzin geladen hatte. Die Unfallstelle verwandelte sich in ein Flammeninferno. Von den 94 Todesopfern waren 44 Kinder und Schüler. Viele Überlebende trugen schwerste Verbrennungen davon.

Die Rekonstruktion der Ereignisse durch eine Regierungskommission machte zunächst den Fahrdienstleiter und den Dienstvorsteher des Bahnhofs verantwortlich. Doch es waren auch gravierende technische Mängel im Spiel: Ein unzulässiges Telefonkabel über dem Bahnübergang dehnte sich bei Wärme aus, verfing sich in der Schranke und verhinderte deren Schließung. Die DDR-Führung erkannte die strukturellen Probleme und änderte nach dem Unglück zahlreiche Vorschriften; Ende 1967 trat eine neue Transportordnung in Kraft. Dies zeigte, dass man sich bewusst war, dass es nicht nur um menschliches Versagen, sondern auch um technische Mängel ging.

Bitterfeld 1968: Der größte Chemieunfall der DDR-Geschichte
Nur ein Jahr später, im Juli 1968, erschütterte eine gewaltige Detonation das Elektrochemische Kombinat Bitterfeld. Die PVC-Fabrik, in der 14.000 Menschen arbeiteten, flog in die Luft. Es war wie Krieg. 42 Leichen wurden geborgen, rund 270 Menschen teils schwer verletzt.

Die Ursache lag in maroder Technik und katastrophalen Sicherheitsmängeln: Die Fabrik nutzte Rollautoklaven aus den 1930er Jahren, die nicht immer einwandfrei funktionierten. Wenn der Druck zu hoch wurde, wurde das hoch explosive Vinylchloridgas direkt in die Fabrikhalle abgelassen – eine Praxis, die jahrelang gut ging, aber diesmal zu einer Entzündung führte. Bereits sechs Jahre zuvor hatte es einen ähnlichen Unfall gegeben, doch die damals beschlossenen Schutzmaßnahmen, wie der Bau von Abgasleitungen, wurden nicht umgesetzt. Zeugen berichteten von Materialmangel und fehlendem Geld. Dieser Unfall war ein typischer Effekt der Mangelwirtschaft, die fehlende Investitionen und Modernisierungen zugunsten der Produktionsziele duldete.

Die Öffentlichkeit wurde diesmal ausführlich informiert, doch der Fokus der Berichterstattung lag auf dem Einsatz der Helfer und der medizinischen Versorgung. Dennoch gab es keine gesamtdeutsche Trauerbeflaggung, was die verhärtete innerdeutsche Situation verdeutlichte.

Der Absturz des „Weißen Riesen“: Königs Wusterhausen 1972
Eine der schwersten Flugzeugkatastrophen auf deutschem Boden ereignete sich im August 1972. Eine moderne Il-62 der Interflug, liebevoll „der weiße Riese“ genannt, stürzte kurz nach dem Start vom Flughafen Schönefeld über Königs Wusterhausen ab. Alle 156 Insassen starben, darunter 48 Kinder. Nur 60 Opfer konnten identifiziert werden.

Der Pilot bemerkte, dass die Hecksteuerung nicht mehr funktionierte, und das Heck fing Feuer. DDR-Experten ermittelten, dass der Brand im Heckgepäckraum aufgrund gravierender Konstruktionsmängel entstanden war: Eine 300° heiße Heißluftleitung verlief in unmittelbarer Nähe von Elektrokabeln, was zu einer Lichtbogenzündung und einem Brand von Magnesiummaterial führte. Zudem fehlten Feuerwarn- und Löschanlagen im Gepäckraum.

Doch die Moskauer Flugzeugspezialisten wiesen das Ergebnis der DDR-Experten zurück. Erich Honecker, der kurz zuvor Walter Ulbricht abgelöst hatte, stimmte zu, die Sache ruhen zu lassen, um Kritik an sowjetischer Technik zu vermeiden und das „Freundschaftsdienst“ zum „großen Bruder“ aufrechtzuerhalten. Die Hinterbliebenen erfuhren nichts von den wahren Ursachen und blieben in quälender Ungewissheit zurück.

Das Opfer des Piloten: Cottbus 1975
Im November 1975 stürzte ein Jagdflieger der NVA in einen Plattenbau in Cottbus. Fünf Frauen kamen ums Leben, zwölf Menschen wurden schwer verletzt. Der 33-jährige Pilot Peter Makovik starb ebenfalls. Er hatte sich entgegen der Anweisung, den Schleudersitz zu benutzen, offenbar geopfert, indem er das mit Hunderten Menschen besetzte Textilkombinat und einen Kindergarten überflog, um eine freie Fläche (einen Friedhof) zu erreichen.

Die Ursache war eine unzureichend befestigte Klappe am Rumpf, die sich im Fahrwerksschacht löste und zum Triebwerksausfall führte. Der zuständige Wartungsmechaniker gab zu, die Luke „nur angeheftet“ zu haben. Das Gebiet wurde sofort abgeriegelt, das Flugzeug schnell abtransportiert, und das Loch in der Fassade binnen eines Tages geschlossen. Feuerwehrleuten wurde das Sprechen über den Vorfall untersagt.

Die Zeitungsberichte waren spärlich und verschwiegen die Beteiligung eines Militärflugzeugs. Obwohl die Zeichen auf Entspannung zwischen Ost und West standen, wollte die DDR nach außen hin Stärke und eine funktionierende Luftwaffe demonstrieren, weshalb Defizite vertuscht wurden. Die Staatssicherheit sammelte Stimmungsberichte der Bevölkerung, da eine freie Presse zur Reflexion der öffentlichen Meinung fehlte.

Ein Muster des Schweigens
Diese tragischen Unglücke zeigen ein wiederkehrendes Muster in der DDR: Umfassende Informationskontrolle und Geheimhaltung, insbesondere wenn die Ereignisse politisch sensibel waren oder das Bild des sozialistischen Staates oder seiner Verbündeten trüben könnten. Häufig wurde die Verantwortung auf Einzelpersonen abgewälzt, anstatt strukturelle Ursachen wie Mängelwirtschaft, veraltete Technik oder Planerfüllungsdruck zu benennen. Für die Betroffenen und Hinterbliebenen bedeutete dies neben dem tiefen Leid auch eine „Ohnmacht“, da es niemanden gab, den man fragen konnte, und die Wahrheit oft erst Jahrzehnte später ans Licht kam.