In den 1970er und 1980er Jahren erlebten zwei Busmodelle ihre Hoch-Zeit und prägten den Reiseverkehr auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs maßgeblich: der ungarische Ikarus 250 und der deutsche Setra S 215 HD. Obwohl sie auf den ersten Blick ein „ungleiches Paar“ schienen, waren sie „Geschwister im Herzen“, die jeweils eine neue Ära im Omnibusbau einläuteten. Ein im Juni 2019 gedrehter Film, in dem ein Ikarus 250 des Oldtimer Bus Verein Berlin (OBVB) und ein Setra S 215 HD aus der Fahrzeugsammlung von Daimler Buses direkt verglichen wurden, beleuchtet ihre Besonderheiten und gemeinsamen Fortschritte.
Der Ikarus 250: Das „Hammerwerk“ des Ostens
Der Ikarus 250 zeichnete sich durch sein sehr klares, kantiges und modernes Design aus, das in Osteuropa und der DDR eine neue Omnibus-Ära begründete. Er galt als der „größte Omnibushersteller der Welt überhaupt“, der jährlich über 25.000 Busse und insgesamt mehr als 200.000 Einheiten der 200er-Baureihe produzierte. Ikarus war der einzige Omnibushersteller für den gesamten Ostblock und lieferte Busse sogar nach Kuba und bis nach Los Angeles in die Vereinigten Staaten.
Technisch war der Ikarus 250 für seine Verhältnisse ein „Quantensprung“. Er verfügte über eine „russische Klimaanlage“, die sich durch Dachluken und Querstrommotoren auszeichnete, welche Außenluft in den Fahrgastraum brachten. Diese Belüftung wurde von heutigen Fahrgästen oft als besser empfunden als eine punktuell wirkende Klimaanlage, da sie das ganze Auto „komplett“ belüftete. Für den Ganzjahresbetrieb besaß der Ikarus eine Thermalheizung, die mit Diesel lief und das gesamte Wasser im Bus sowie den Motor vorheizen konnte, um diesen bei 80°C zu starten. Das Fahrzeug war mit zwei Tanks ausgestattet, die zusammen 500 Liter Kraftstoff fassten.
Ein besonderes Merkmal des Ikarus 250 war seine vier Batterien umfassende Stromversorgung, wovon ein zweiter Batteriesatz für einen 220-Volt-Umwandler vorgesehen war, um Geräte wie Kühlschrank oder Kaffeemaschine unabhängig vom Starterstrom betreiben zu können. Obwohl dieses spezifische Fahrzeug keine Toilette oder Küche hatte, konnten solche Ausstattungen vom Kunden bestellt werden. Das Fahrzeug wurde von einem ungarischen Raber Lizenzmotor angetrieben, da Mercedes die hohe Stückzahl an benötigten Motoren nicht liefern konnte. Trotz seiner vorderen Starrachse und Trommelbremsen rundum, zeigte der Ikarus im Fahrbetrieb ein „super“ Verhalten, war innen „wesentlich angenehmer“ als Vorgängermodelle und verhielt sich selbst auf der Kreisbahn ohne Assistenzsysteme „spektakulär gut“.
Der Setra S 215 HD: Der Pionier der selbsttragenden Karosserie
Der Setra S 215 HD repräsentierte die Innovationskraft des westdeutschen Busbaus. Der Name „Setra“ steht für „selbsttragende Karosse“, ein Konzept, das Kässbohrer bereits Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre (1951) als „Quantensprung weltweit“ einführte. Diese Integralbauweise machte das Unternehmen unabhängig von externen Chassis-Zulieferern wie Hanomag, Opel oder Mercedes. Der Ikarus übernahm dieses revolutionäre Bauprinzip drei Jahre später für seine 250er-Baureihe und wurde dadurch „genauso geschmeidig in Kurven“ wie der Setra.
Der Setra S 215 HD (Teil der Baureihe 200) führte ein völlig neues Heizungs- und Lüftungssystem ein, die sogenannte Querstrombelüftung, bei der die Fahrgäste quasi mit Luft „geduscht“ wurden. Er war zudem der erste Reisebus weltweit, dessen Fenster verklebt waren, was anfangs für Irritationen sorgte, da Passagiere es gewohnt waren, Fenster zu öffnen.
In puncto Fahrwerk setzte der Setra auf moderne Standards: Beide Busse waren luftgefedert. Der Setra verfügte über eine Einzelradaufhängung vorne, die bereits bei der Baureihe 100 eingeführt wurde und seither bei Setra Serie war. Er war mit Scheibenbremsen vorne und Trommelbremsen hinten ausgestattet und besaß zusätzlich eine verschleißfreie Wirbelstrombremse von Telma sowie eine Motorbremse, die durch leichtes Antippen des Bremspedals aktiviert wurde. Angetrieben wurde der Setra von einem 10-Zylinder-V8-Motor von Mercedes mit 320 PS und 16 Litern Hubraum, der einen „sehr gewaltigen Eindruck“ machte. Das Fahrverhalten wurde als „super“ beschrieben, mit einer „butterweichen“ 6-Gang-Schaltung.
Begegnungen auf der Straße: Ost trifft West
Trotz der ideologischen Trennung gab es zwischen den Fahrern aus Ost und West auf den Parkplätzen der Reiserouten Begegnungen. Man traf sich, tauschte sich aus und bot sich gegenseitig eine kalte Cola an. Westdeutsche Fahrer waren sich der enormen Größe des Ikarus-Werks bewusst, das damals weit mehr Busse produzierte als Setra in Ulm.
Ein direkter Bremsentest im ADAC Fahrsicherheitszentrum Linte zeigte die damaligen Grenzen auf. Während der Ikarus 250 Schwierigkeiten hatte, 80 km/h zu erreichen (er schaffte nur 76 km/h), erreichte der Setra S 215 HD die 80 km/h, benötigte aber für eine Vollbremsung immer noch 42,9 Meter – rund 10 Meter mehr als moderne Reisebusse.
Im Komfort für Fahrgäste bot der Setra Vorteile durch eine angenehmere Geräuschdämmung, Stoffboden und einen ruhigeren Motorlauf, was ihn auf langen Fahrten „etwas angenehmer“ machte. Die Sitze beider Busse waren verstellbar, wobei die Ikarus-Sitze als „etwas hart“ empfunden wurden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl der Ikarus 250 als auch der Setra S 215 HD in ihrer jeweiligen Zeit wegweisende Fahrzeuge waren, die Komfort, Technik und Design im Busbau maßgeblich voranbrachten. Sie stehen als Symbole einer Ära, in der Mobilität und Fortschritt in Ost und West auf unterschiedlichen, doch letztlich ähnlichen Wegen vorangetrieben wurden.