Ostberlins Mitte: Eine Zeitreise durch die legendären Jahrzehnte

Berlin-Mitte, ein Stadtbezirk, der Erinnerungen weckt und Geschichten erzählt. Eine aktuelle Dokumentation des rbb nimmt uns mit auf einen Spaziergang durch die 60er, 70er und 80er Jahre und enthüllt, wie sich die Stadt einst anfühlte und aussah. Von den strahlenden Aushängeschildern der DDR bis zu den verborgenen, bröckelnden Fassaden – die „Mitte“ war ein Ort der Kontraste, in dem sich Alltag mit Mauer, Zuckertüte und einem Hauch Erotik mischte.

Der Alexanderplatz: Vom gesichtslosen Trümmerfeld zum „Weltstadtplatz“ Der Alexanderplatz war die „allererste Adresse in Ostberlin“ und wurde nach seiner gesichtslosen Zerstörung im Krieg Mitte der 60er Jahre massiv umgestaltet. Die junge Republik wollte hier zeigen, dass es bergauf geht, und schuf einen großzügigen, mit allem Notwendigen ausgestatteten „Weltstadtplatz“. Er war ein beliebter Treffpunkt zum Staunen, Einkaufen, Flanieren und Flirten. Die Weltzeituhr war ein zentraler Verabredungspunkt, oft von der Stasi überwacht. Der Brunnen in der Mitte des Platzes, offiziell „Brunnen der Völkerfreundschaft“ genannt, war im Volksmund als „Nuttenbrunnen“ oder „Nuttenbrosche“ bekannt und immer belebt. Jedes Jahr im Dezember verwandelte sich der Alex in den größten Weihnachtsmarkt des Landes, der Millionen von Besuchern anzog und mit Zuckerwatte und Ponyreiten eine Idylle schuf. Für viele Berliner war der Alex schlichtweg das „Zentrum“.

Der Fernsehturm: Ein ehrgeiziges Projekt über den Wolken Als ehrgeiziges Projekt Mitte der 60er Jahre mitgebaut, war der Fernsehturm mit seiner Einweihung im Oktober 1969 ein Symbol der Zukunftsvision der Genossen. Die 203 Meter hohe Aussichtsetage und das moderne Drehrestaurant, das Tele-Café, waren ein „Muss“ für Berliner und Besucher. Eine Stunde im rotierenden Café zu verbringen, war „sensationell“, auch wenn der Blick auf West-Berlin nur einen Teil der Umdrehung ausmachte.

Konsum und Kultur: Von Westhosen bis Wagner-Opern Das Centrum Warenhaus am Alex galt als „erstes Haus am Platz“ und bot Waren, die sonst nirgendwo in der DDR erhältlich waren, ein Beweis gegen die Mangelwirtschaft für Touristen. Hier gab es eine überwältigende Menge an Spielsachen und später die begehrten West-Jeans.

In der Kongresshalle am Alex fanden Modenschauen statt, insbesondere für die Jugendweihe, einem wichtigen Tag für viele Jugendliche, der oft mit großzügigen Geldgeschenken verbunden war.

Das Palasthotel, ein Fünf-Sterne-De-Luxe-Hotel an der Karl-Liebknecht-Straße, war für Normalbürger nicht zugänglich und bot Prominenten wie Leonard Bernstein und Gorbatschow Luxus mit frischen Blumen, Obst und Rotwein. Gerüchte über Top-Manager, Spione, Stasi und Prostituierte an der Sinusbar im Keller kursierten. Das asiatische Restaurant „Jade“ im Hotel war ein „Highlight“, dessen exotisches Angebot und hoher Preis eine „Jahresendprämie“ kosten konnten.

Die Berliner Staatsoper Unter den Linden war eine Renommierbühne mit Weltklasse-Aufführungen zu moderaten Preisen. Auch nach der Sanierung in den 80er Jahren blieben die Preise erschwinglich, was es auch Studenten ermöglichte, kulturelle Erlebnisse zu genießen. Besonders beeindruckend waren die bis zu neun Stunden dauernden Wagner-Opern.

Alltag und Widerstand: Einblicke in das Leben der Berliner Der rbb-Spaziergang führt auch in die weniger schicken Gegenden hinter der Mitte, wo Putz bröckelte und Einschusslöcher aus dem Krieg noch sichtbar waren – ein Zeichen der Vernachlässigung zu DDR-Zeiten. Die Leipziger Straße hingegen war mit modernen Hochhäusern und zentraler Heizung ein begehrter Wohnort für Künstler, kinderreiche Familien, Diplomaten und westliche Journalisten. Von dort aus konnte man die Mauer und sogar West-Berlin sehen.

Das Nikolaiviertel, ein neues Stadtviertel, das zum 750. Geburtstag Berlins 1987 entstand, sollte ein Gefühl von Geschichte und Nationalgefühl vermitteln. Trotz seiner detailgetreuen Rekonstruktion wirkte es auf manche wie ein „potemkinsches Dorf“ oder „Disneyland“. Der Geruch der „Trabbis“ war für Westbesucher ungewohnt und störend.

Die Mühlendammschleuse am Märkischen Ufer war Tag und Nacht in Betrieb, und hier wurde in den 80ern die beliebte Fernsehsendung „Modekiste“ gedreht, die die neuesten Mode-Trends präsentierte.

Der Bärenzwinger im Köllnischen Park war über Jahrzehnte ein Anziehungspunkt, wo die Wappentiere Jette und Nante und ihre Jungen die Berliner erfreuten. Nicht weit davon befand sich die berühmte Ballettabteilung der Musikschule Berlin-Mitte, wo strenge Lehrerinnen den Traum vom Primaballerina-Dasein lehrten.

Die Große Hamburger Straße, einst ein Ort jüdischen Lebens, wurde während der NS-Zeit zum Sammellager für 50.000 Berliner, die von dort in den Tod deportiert wurden – eine „gruselige“ Erinnerung an die Geschichte. Die nahegelegene Sophienstraße hingegen wurde zur 750-Jahr-Feier aufwendig saniert und zu einer „Vorzeigestraße“ mit Alt-Berliner Charme. Die Sophienkirche, eine der wenigen erhaltenen Barockkirchen, wurde in den Monaten vor der Wende zum Schutzraum für Oppositionelle.

Die Wilhelm-Pieck-Straße, heute Torstraße, war eine typische Arbeitergegend mit kleinen Läden und Institutionen wie dem Fahrradladen von Herrn Masch. Hoffeste in modernisierten Wohnungen waren hier beliebt. Im „Jojo“ trafen sich die Jugendlichen, auch wenn Punkrocker oft keinen Einlass fanden.

Die Umweltbibliothek im Keller der Zionskirche am Zionskirchplatz war ein wichtiger Kristallisationspunkt der friedlichen Revolution, wo Untergrundzeitungen gedruckt wurden, die Informationen über Umweltsünden der Regierung verbreiteten. Nach einer Stasi-Razzia im November 1987 wurde die Kirche zu einem Zentrum der Opposition.

Am Arkonaplatz feierte man 1984 die Übergabe der zweimillionsten Wohnung seit 1971 durch Erich Honecker, ein Vorzeigeobjekt des Wohnungsbauprogramms. Die private Fleischerei Kayser versorgte den Kiez seit Jahrzehnten mit preiswerten Fleisch- und Wurstwaren und war ein „Geheimtipp“.

Abschied und Neubeginn: Das Brandenburger Tor Die Chausseestraße war der Ort eines prägenden Ereignisses im Leben eines Zeitzeugen: der erste Kuss vor dem Bau der Mauer im August 1961. Hier lag auch das „Stadion der Weltjugend“, wo 1973 die Weltfestspiele stattfanden, die für einige Tage ein Gefühl von Freiheit und eine ungewohnte Fülle an Konsumgütern brachten. Das Ballhaus an der Chausseestraße war bekannt für seine Tischtelefone und erotischen Shows, wie die Auftritte von Rainer Genss. Der Dorotheenstädtische Friedhof, ein „Pantheon großer Namen“ wie Hegel und Brecht, lud zur stillen Einkehr ein.

Der Friedrichstadt-Palast an der Friedrichstraße, ein 1984 neu eröffneter Showtempel, wurde schnell zu Ostberlins „schönstem Vergnügungstempel“ mit spektakulärer Technik und der „längsten Girl-Reihe der Welt“. Er zelebrierte erotischen Tanz, was damals noch eine Besonderheit war. Die Friedrichstraße selbst galt als „kulturelles Herz Berlins“ mit Geschäften, Restaurants und Theatern.

Der Bahnhof Friedrichstraße war als „Tränenpalast“ bekannt, ein Grenzkontrollpunkt, wo sich Familien oft ungewiss auf lange Abschiede einstellten. Nur Rentner und wenige Ausnahmen durften von Ost nach West reisen, was für viele ein zynisches Gefühl hinterließ.

Das Brandenburger Tor, einstige Grenze und unwirkliches Wahrzeichen, stand für die Sehnsucht nach „drüben“. Im November 1989 kletterten Hunderte auf die Mauer, um einen Blick nach drüben zu werfen. Am 22. Dezember 1989 wurde das Tor schließlich geöffnet, ein historischer Moment, der Hunderttausende in die Mitte Berlins zog. „Das war das, was man immer wollte“.

Diese Reise durch Ostberlins Mitte zeigt, wie sich die eigene Geschichte der Bewohner untrennbar mit der Welt- und politischen Geschichte verknüpfte.