Riesa – Die Deutsche Wiedervereinigung, oft liebevoll als „Wende“ bezeichnet, war für viele Menschen in Ostdeutschland eine Zeit des Umbruchs, der Hoffnung, aber auch der tiefgreifenden Herausforderungen. Eine dieser Geschichten ist die von Elke Thomas, geboren 1960 und seit 43 Jahren verheiratet, deren persönliche „Wendegeschichte“ 1982 begann und ein beeindruckendes Beispiel für Anpassungsfähigkeit und Selbstbehauptung liefert.
Aufstieg und jähes Ende einer DDR-Karriere
Elke Thomas startete ihre berufliche Laufbahn in der DDR mit einer Ausbildung zur Vorarbeiterin für Postverkehr. Nach Tätigkeiten im Lottowesen und am Schalter wurde sie für die Verwaltung berufen, ein Schritt, der im Rahmen damaliger Frauenförderungspläne erfolgte. Als junge Mutter zweier Kinder wurde sie ermutigt, ein Hochschulstudium zu beginnen. Trotz der Herausforderungen durch die Familie, die ebenfalls stark involviert war, nahm sie die Möglichkeit mit Freude an, da sie schon immer gerne gelernt hatte.
Sie studierte an der Hochschule für Verkehrswesen „Friedrich List“ in Dresden und schloss 1987 als Diplomingenieurin für Post- und Fernmeldewesen ab. Ein Kind während des Studiums zu bekommen, stellte kein Problem dar, da man die Studienzeiten verlängern konnte. Ihr Sohn wurde im Oktober 1987 geboren, und ihr Mann übernahm ab Februar 1988 für ein Jahr das „Mütterjahr“, während Elke Thomas ein halbes Jahr zu Hause war. Ihr Ziel war es, nach dem Abschluss ordentlich zu arbeiten und Geld zu verdienen, ohne durch familiäre Verpflichtungen ausgebremst zu werden.
Doch mit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung änderte sich alles drastisch. Ab 1989 erlebte Elke Thomas eine Einarbeitung in eine neue Position, die sie rückblickend als „gesetzlosen Zustand“ beschreibt, in dem jeder versuchte, sein Bestes zu geben. Die Post in Riesa wurde mit Meißen zusammengelegt, und das Fernmeldeamt ausgelagert. Für Elke Thomas und andere folgte der Schock: Ihnen wurde direkt gesagt, dass sie nicht gebraucht würden und ihr „roten Sockenstudium“ – eine abfällige Bezeichnung für die DDR-Hochschulbildung – nicht anerkannt werde.
Die Diplome der DDR-Absolventen wurden pauschal aberkannt. Viele, die 1994 ein Schreiben zur Weiterbeschäftigung erhielten, hatten von 1991 bis 1994 keine praktische Erfahrung sammeln können, da ihre Arbeitsplätze anderweitig besetzt wurden. Elke Thomas wurde lediglich angeboten, als Hilfskraft am Schalter zu arbeiten, nicht als Facharbeiterin. Die Arbeitszeiten kollidierten mit der Kinderbetreuung, und die verkürzte Arbeitszeit von sechs Stunden bedeutete so wenig Gehalt, dass sie spöttisch meinte, sie müsse „Geld mitbringen auf Arbeit“. Diese Zeit war für sie nervenaufreibend und kräftezehrend.
Der lange Weg der Neuorientierung
Aus Naivität und dem damaligen Verständnis, dass eine Kündigung etwas Schreckliches sei, unterzeichnete Elke Thomas einen Aufhebungsvertrag. Was sie damals nicht verstand: Sie verlor damit ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld. Beim Arbeitsamt wurde sie dann als Steuerfachgehilfin umgeschult. Doch sie musste feststellen, dass sie nicht der Typ für den Verkauf von Versicherungen war.
In ihrer verzweifelten Suche nach einer Arbeit, die mit ihrer Familie vereinbar war, stellte sie beim Arbeitsamt die Frage, ob sie nach mehreren Umschulungen und der inzwischen wiedererkannten Anerkennung ihres Diploms nicht endlich eine passende Stelle finden könne. Die Antwort einer Mitarbeiterin traf sie tief: „Ach Frau Thomas, vergessen Sie doch einfach mal ihren akademischen Grad und gucken doch mal ob sie was anderes finden.“ Dieses Erlebnis bezeichnet sie bis heute als „dramatisches Erlebnis“, das ihr Vertrauen in die Hilfe des Arbeitsamtes zerrüttete. Eine weitere geplante praktische Ausbildung scheiterte an den hohen Kosten.
Neuanfang in der Selbstständigkeit und als Beraterin
Unterstützt von ihren Eltern, die ihr finanziell zur Seite standen, beschloss Elke Thomas, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Im Jahr 2001 machte sie sich selbstständig als Gesundheitsberaterin für Rücken, Füße und Gelenke. Sie empfindet große Freude darüber, vielen Menschen geholfen zu haben, insbesondere solchen, die wieder schlafen konnten.
Das Hochwasser von 2002 in Riesa führte zu einem Einbruch ihrer Geschäfte, da viele Einwohner mit den Flutfolgen beschäftigt waren, was sie dazu zwang, Hartz IV zu beantragen. Auch hier erlebte sie erneuten Druck und herabwürdigende Äußerungen vom Arbeitsamt.
Um 2003 erholte sich die Lage wieder, und Elke Thomas absolvierte eine weitere Ausbildung, diesmal zur psychologischen Beraterin. Sie befasst sich nun mit tiefgründigen Themen und hilft Menschen im Gespräch, bietet Unterstützung an und kann zwischen Behandlungen Zeit für Beratungen nutzen. Zusätzlich engagiert sie sich ehrenamtlich für den Weißen Ring, wo sie Menschen unterstützt, die Opfer von Straftaten geworden sind.
Ein Ratschlag für die junge Generation
Aus all diesen turbulenten Erfahrungen zieht Elke Thomas eine wichtige Lehre, die sie jungen Menschen mit auf den Weg geben möchte. Sie reflektiert die Naivität ihrer eigenen Generation in der Wendezeit und die unbekannten Mechanismen des Kapitalismus. Ihr Rat ist klar: „geht ein Schritt zurück, beratet euch noch mit anderen Leuten die das vielleicht wissen aber nie sofort das machen was andere sagen.“ Sie ermutigt dazu, selbst zu denken und zu überlegen: „das was du gelernt hast das was du siehst das was du fühlst deckt sich das mit dem was dir gesagt wird.“
Elke Thomas‘ Geschichte ist ein Zeugnis dafür, wie man sich auch unter schwierigsten Bedingungen immer wieder neu erfinden und einen sinnvollen Platz in der Gesellschaft finden kann, indem man auf das eigene Wissen und die eigene Intuition vertraut.