Carolabrücke: Dresdens Wettlauf um eine neue Verkehrsader

Dresden steht vor einer Herkulesaufgabe: Der Ersatz der eingestürzten Carolabrücke muss schnell, zukunftsfähig und im Einklang mit dem historischen Erbe der Stadt erfolgen. Die Pläne liegen auf dem Tisch, doch der Weg ist gespickt mit Herausforderungen.

Ein Riss ging durch Dresden, als im September letzten Jahres ein Teil der Carolabrücke einstürzte. Seitdem klafft eine Lücke im Herzen der städtischen Infrastruktur, die schnellstmöglich geschlossen werden muss. Die Brücke, eine unverzichtbare Nord-Süd-Achse für Autos, Bahnen, Radfahrer und Fußgänger, soll durch einen Ersatzneubau wiederhergestellt werden. In einer Bürgerinformationsveranstaltung präsentierten Baubürgermeister Stefan Kühn und Simone Prüfer, Leiterin des Straßen- und Tiefbauamtes, nun die ambitionierten Pläne der Landeshauptstadt.

Der Turbo-Neubau: Ohne Umwege ans Ziel?
Die Kernidee der Verwaltung: ein Ersatzneubau ohne das oft langwierige Planfeststellungsverfahren. Eine Gesetzesänderung im Bundesfernstraßengesetz macht es möglich, auf diesen zeitraubenden Prozess zu verzichten, solange keine erhebliche bauliche Erweiterung stattfindet. „Unser Ziel ist eine zeitnahe, zeitgemäße und zukunftsfähige Elbquerung“, betonte Baubürgermeister Kühn. Damit könnten Jahre gespart werden – ein Blick auf das Planfeststellungsverfahren der Königsbrücker Straße, das über fünf Jahre bis zur Baugenehmigung dauerte, verdeutlicht die Dringlichkeit.

Konkret bedeutet dies, dass sich die neue Brücke in ihrer Breite an den bestehenden 33,5 bis 34 Metern orientieren kann. Anpassungen an moderne Standards, wie breitere Rad- und Fußwege – ein Manko des Vorgängerbaus aus den 1970er Jahren – sind ausdrücklich erlaubt und führen nicht automatisch in das aufwendige Genehmigungsverfahren, selbst wenn die Brücke dadurch geringfügig breiter wird. Auch eine Reduzierung von drei auf zwei Brückenzüge oder der Bau mit weniger Fahrspuren wären denkbar. Eine deutliche Kapazitätserweiterung, etwa auf sechs Fahrspuren, schließt dieses vereinfachte Verfahren jedoch aus. Um die rechtlichen Spielräume voll auszuschöpfen, hat die Stadt externe Expertise eingeholt.

Harte Bandagen: Elbe, Denkmalschutz und Umweltauflagen
Doch der Wunsch nach Schnelligkeit stößt auf harte Rahmenbedingungen. Die Elbe als Bundeswasserstraße gibt klare Vorgaben: Ein Neubau muss ohne Pfeiler im definierten Lichtraumprofil der Schifffahrt auskommen. Die historische Ausnahmegenehmigung für die alte Carolabrücke mit ihrem Pfeiler im Flussbett gilt nicht mehr. Damit ist ein Wiederaufbau nach historischem Vorbild vom Tisch – eine Enttäuschung für manche Dresdner.

Hinzu kommt der Denkmalschutz. Die neue Brücke muss sich sensibel in die weltberühmte Dresdner Stadtsilhouette einfügen. Das Landesamt für Denkmalschutz fordert eine flache, schlanke Konstruktion, die den Blick von der Altstadt zur Neustadt und umgekehrt nicht verstellt. Auch die unmittelbare Umgebung mit dem Königsufer, der Brühlschen Terrasse sowie Staatskanzlei und Finanzministerium setzt enge gestalterische Grenzen.

Nicht zuletzt spielt der Umweltschutz eine gewichtige Rolle. Die Brücke quert ein Landschafts- und sogar ein Flora-Fauna-Habitat-Gebiet von europäischem Rang. Auch die Lage im Überschwemmungsgebiet der Elbe erfordert eine Bauweise, die den Wasserabfluss nicht behindert.

Verkehr, Kosten und lebenswichtige Leitungen
Trotz eines prognostizierten Rückgangs im Kfz-Verkehr werden weiterhin rund 30.000 Fahrzeuge täglich erwartet. Dies legt eine dreistreifige Variante nahe; eine Vierspurigkeit sei verkehrlich nicht zwingend, so die Experten. Entscheidend für den Verkehrsfluss seien ohnehin die oft überlasteten Knotenpunkte Rathenauplatz und Carolaplatz. Für die Dresdner Verkehrsbetriebe ist die Brücke essenziell: Etwa ein Viertel aller Straßenbahn-Elbquerungen lief über die Carolabrücke. Auch der Radverkehr hat sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht und soll entsprechend berücksichtigt werden.

Die Kosten für das Mammutprojekt werden auf rund 140 Millionen Euro geschätzt, finanziert aus dem städtischen Brückenfonds und über Kredite. Während für den Straßenbahnanteil auf Bundesfördermittel gehofft wird, gab es für den Straßenteil bereits eine Absage aus Berlin. Angesichts steigender Baukosten ist Zeit auch hier ein kritischer Faktor.

Zudem hängt die Fernwärmeversorgung der Neustadt an der Brücke. Der wichtige Kanal, derzeit provisorisch über die Augustusbrücke geführt, soll wieder in den Neubau integriert werden. Ein Verzug würde SachsenEnergie zu einem teuren Dükerbau unter der Elbe zwingen – mitten im FFH-Gebiet. Auch eine Trinkwasserleitung verläuft hier.

Keine Provisorien, kein Bürgerentscheid
Die Option einer Behelfsbrücke wurde verworfen – zu teuer (34-37 Millionen Euro), geometrisch schwierig und ebenfalls pfeilerbedürftig. Auch einen Bürgerentscheid zur Brückenvariante wird es voraussichtlich nicht geben. Die Verwaltung verweist auf das Votum des Stadtrates und den breiten gesellschaftlichen Konsens für eine zügige Lösung.

Der Fahrplan: Baustart 2027?
Nach einem erhofften Grundsatzbeschluss des Stadtrates im Juni soll die europaweite Ausschreibung der Planungsleistungen starten. Der Baubeginn ist für 2027 anvisiert, die reine Bauzeit wird auf zweieinhalb Jahre geschätzt. Ziel ist eine Fertigstellung deutlich vor 2033, auch um Synergien mit anderen Großbaustellen im Nord-Süd-Korridor zu nutzen. Ein Risiko bleiben mögliche Verzögerungen durch Vergaberechtsstreitigkeiten.

Die Bürger zeigten großes Interesse, äußerten aber auch Sorgen – etwa zur Anbindung des Elberadwegs und zur Verwendung klimaneutraler Baustoffe. Bis zum Baubeginn und darüber hinaus will die Stadt die Öffentlichkeit engmaschig informieren. Dresden steht vor einer komplexen Entscheidung, bei der Pragmatismus und die Bewahrung des einzigartigen Stadtbildes Hand in Hand gehen müssen.

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