Wohnen in der DDR: Zwischen Plattenbau, Wartezeit und Eigeninitiative

In einer Stadt wie Magdeburg, der Hauptstadt des gleichnamigen Bezirks und einem Zentrum des Schwermaschinenbaus mit 290.000 Einwohnern, stellte die Wohnungsfrage für viele Menschen eine zentrale Herausforderung dar. Tausende Arbeiter waren in der Industrie beschäftigt, doch wo wohnten diese Menschen? Die Antwort war oft: in Neubaugebieten wie Magdeburg Olvenstedt oder in Altbauten mit meist grauen und unfreundlichen Fassaden. Wohnraum war in der DDR knapp.

Anders als in marktwirtschaftlichen Systemen gab es in der DDR keinen Wohnungsmarkt mit Angebot und Nachfrage. Stattdessen hatte der Staat den gesamten Wohnraum erfasst und verteilte ihn. Wer umziehen wollte, benötigte viel Geduld und musste warten, bis ihm eine neue Wohnung zugewiesen wurde. Der Weg zur eigenen Wohnung führte unweigerlich über eine staatliche Behörde, wo ein Antrag auf Wohnungszuweisung gestellt werden musste.

Der Prozess begann mit dem Ausfüllen eines Formulars, für das der Personalausweis benötigt wurde. Alle Wohnungswünsche wurden bei einer Stelle für Wohnungswesen gesammelt. Gesetzliche Bestimmungen, geregelt durch die Wohnraumlenkungsverordnung vom 16.10.85, legten fest, wie groß die Wohnung des Antragstellers sein durfte. Laut dieser Verordnung hatte grundsätzlich jeder Bürger mit Vollendung des 18. Lebensjahres und jede Familie das Recht, einen Antrag für eine Wohnung zu stellen.

Besondere soziale Schwerpunkte wurden bei der Wohnraumvergabe gesetzt: Junge Ehepaare, die noch bei den Eltern lebten oder getrennt untergebracht waren, wurden besonders gefördert. Die Festlegung sah vor, jedes junge Ehepaar möglichst innerhalb eines Jahres mit einer Wohnung zu versorgen.

Die Bearbeitung eines Wohnungsantrags war jedoch oft langwierig. Ehrenamtliche Mitarbeiter aus dem Wohngebiet des Antragstellers überprüften die Angaben. Ein schriftlicher Bescheid über die weitere Bearbeitung folgte. Doch auch bei Genehmigung war die Wartezeit ungewiss. Ein Antragsteller hoffte, dass es „so schnell wie möglich“ gehen würde, rechnete aber realistisch mit etwa zwei Jahren Wartezeit. Solche Aussichten lösten Gefühle des Entgegenfieberns und der Freude auf die künftige Selbstständigkeit aus. Manche Mieter in Neubauten wie Olvenstedt hatten nach eigenen Angaben etwa sechs Jahre vom Antrag bis zum Einzug gewartet, wobei der Antrag oft nach der Geburt einer Tochter gestellt wurde.

Warum war die Wohnsituation so angespannt? Der Wohnungsbau spielte in der DDR lange Zeit eine untergeordnete Rolle. Die Menschen mussten sich notgedrungen mit unzureichenden Wohnungen arrangieren, viele lebten in Mietskasernen aus der Jahrhundertwende, in deren Innenhöfe kaum Licht fiel. Die Gründe dafür waren vielfältig: Zunächst waren da die Folgen des Zweiten Weltkriegs, bei dem ein Großteil des Wohnraumes zerstört wurde. Nach dem Krieg fehlte die wirtschaftliche Kraft für einen schnellen Wiederaufbau. Reparationen an die Sowjetunion waren zu zahlen, und internationale Hilfsprogramme gab es nicht. Vor allem aber wurde dem Aufbau von schwerindustriellen Zentren Vorrang vor dem Wohnungsbau eingeräumt. Dies galt als Gebot des wirtschaftlichen Überlebens, da die DDR durch die Teilung Deutschlands von alten Industriezentren abgeschnitten war.

Erste Wohnungsneubauten entstanden in den 50er Jahren im sogenannten „Zuckerbäckerstil“, Bauten, die die neue Gesellschaftsordnung repräsentieren sollten. In den 60er Jahren wurde punktuell gebaut, vor allem dort, wo Industriezentren entstanden – zweckmäßige Bauten, die möglichst viele Menschen beherbergen sollten. Währenddessen verfiel die Altbausubstanz zusehends. Es mangelte an Geld, Baumaterialien und Arbeitskräften zur Erhaltung oder Modernisierung der alten Häuser. Staatlich festgesetzte niedrige Mieten kamen zwar den Mietern zugute, reichten aber nicht zur Erhaltung der Häuser. Viele Häuser waren so verfallen, dass nur noch der Abriss blieb.

Eine entscheidende Wende kam 1971: Die SED beschloss unter Erich Honecker ein umfangreiches Wohnungsbauprogramm. Bis 1990 sollte die Wohnungsfrage als soziales Problem gelöst sein, mit dem Ziel, jedem Bürger eine warme, sichere und trockene Wohnung zu verschaffen.

Seitdem entstanden überall in der DDR Neubausiedlungen. Gebaut wurde vorwiegend in industrieller Plattenbauweise. Vorgefertigte Platten für Fassaden und Innenwände wurden in Plattenwerken hergestellt und auf der Baustelle zu Wohnblöcken montiert. Der größte Teil der bis 1990 geplanten 3,5 Millionen Wohnungen sollte so entstehen. Baubrigaden, oft aus sechs Arbeitern bestehend, fungierten als Monteure und setzten Wohnungen nach einem Baukastensystem zusammen. Selbst Bäder waren vorgefertigt und wurden nur noch eingepasst.

Dieses industrielle Bauen ermöglichte ein sehr schnelles Bautempo und die Schaffung vieler Wohnungen an gleichen Standorten. Dies führte allerdings zu Gleichförmigkeit und Monotonie im Erscheinungsbild. Die Wohnungen wurden vor der Übergabe tapeziert und mit Küchenmöbeln als Grundausstattung versehen, wobei der künftige Mieter keinen Einfluss auf die Auswahl hatte. Dennoch waren die meisten Mieter zufrieden, da der Einzug oft das Ende einer langen Wartezeit und oft miserabler Wohnverhältnisse bedeutete. Für viele war das neue Bad ein besonderer Pluspunkt. Bei der Möblierung des individuellen Geschmacks musste man „laufen“, sprich suchen, da die Angebote in Warenhäusern nicht immer den persönlichen Vorstellungen entsprachen.

In den Neubaugebieten wurden auch gesellschaftliche Einrichtungen wie Spielplätze, Kaufhallen und Sportstätten geschaffen. Angesichts der Tatsache, dass fast alle Frauen in der DDR berufstätig waren, war besonders die Ganztagsbetreuung von Kindern in Schulen wichtig. Auch die sorgfältige Planung der Anzahl und Lage von Kaufhallen war essenziell, um Tausenden Menschen bequemes Einkaufen zu ermöglichen.

Neben dem Neubau war die Rekonstruktion von Altbauten der zweite Schwerpunkt des Wohnungsbauprogramms. Altbauquartiere mit guter Bausubstanz, wie der Hasselbachplatz in Magdeburg, der vom Bombenhagel verschont blieb, wurden umgestaltet, um modernen Wohnansprüchen zu genügen. Dabei wurden Neben- und Hinterhäuser sowie enge Innenhöfe und Anbauten beseitigt, um helle und luftige Wohnhöfe zu schaffen. Obwohl dies zunächst nach Abriss aussah, zeigte sich dort, wo die Rekonstruktion fortgeschritten war, dass sie eine Alternative zum Neubau darstellte. Die Priorisierung des Neubaus wurde damit begründet, dass dieser aufgrund der industriellen Bauweise schneller Wohnungen schaffen konnte, um die Bevölkerung abzudecken, während man sich parallel der Altbausubstanz widmete.

Auch bei der Altbausanierung wurde im sogenannten Flies- und Taktverfahren gearbeitet, bei dem Häuser eines Straßenzuges schrittweise vom Dach bis zum Innenausbau erneuert wurden. Hier setzten sich die Baubrigaden aus spezialisierten Fachleuten zusammen.

Für Mieter in Altbauwohnungen, die noch nicht renoviert werden konnten, gab es Reparaturstützpunkte der kommunalen Wohnungsverwaltung, einem volkseigenen Betrieb. Dort wurden Werkzeuge und Maschinen ausgeliehen, und Mieter erhielten die notwendigen Materialien für Reparatur- und Modernisierungsarbeiten. Für die aufgewendete Arbeitszeit wurden sie entlohnt. Fachliche Beratung wurde angeboten, und betriebseigene Handwerker führten Arbeiten aus, die Laien nicht gestattet waren, wie Elektro-, Gas- und Wasserinstallationen. Häufige Arbeiten, die auch Bürger mit entsprechender Ausbildung und Initiative selbst ausführten, waren Mauerarbeiten und teilweise Elektroarbeiten. Finanziell mussten die Mieter für diese Arbeiten nichts aufwenden; die Kosten trug der Staat. Die kommunale Wohnungsverwaltung finanzierte das Material und benötigte die Eigeninitiative des Bürgers im Interesse seiner Wohnung und zur Erfüllung der Wohnungsaufgabe. Diese Eigeninitiative wurde oft als positiv bewertet, da der Bürger seine Wohnung individuell ausbaute, Interesse zeigte, wenig Material einsetzte und effektiv arbeitete.
Der krönende Abschluss des langen Weges zur Wohnung war die feierliche Übergabe. In einer Sprechstunde konnte die Zuweisung für die neue Wohnung überreicht werden, womit das Wohnungsproblem als gelöst galt. Verbunden mit Wünschen für Schaffenskraft und Freude im künftigen Lebensweg.

Analyse und Einordnung in die heutige Zeit
Die Betrachtung des Wohnungsbaus und der Wohnraumbewirtschaftung in der DDR anhand dieser Quellen offenbart ein System, das fundamental von modernen, marktwirtschaftlich geprägten Wohnsystemen abweicht.

1. Staatliche Kontrolle vs. Markt: Das zentrale Merkmal des DDR-Systems war die vollständige staatliche Kontrolle des Wohnraums und seiner Verteilung. Dies steht im krassen Gegensatz zu heutigen Systemen, in denen der Wohnungsmarkt über Angebot und Nachfrage funktioniert und private Akteure (Bauherren, Vermieter, Makler) eine entscheidende Rolle spielen. Die staatliche Lenkung sollte eine bedarfsgerechte Versorgung sicherstellen, führte aber zu Engpässen und langen Wartezeiten.

2. Zuweisung vs. Wahlfreiheit: Die Zuweisung einer Wohnung durch staatliche Behörden bedeutete eine eingeschränkte Wahlfreiheit für die Bürger. Der Mieter hatte keinen Einfluss auf die Ausstattung wie Küchenmöbel oder Tapeten in Neubauten. Dies steht im Kontrast zur heutigen Möglichkeit, Wohnungen nach individuellen Kriterien auf dem Markt auszuwählen und bei Bedarf anzupassen oder zu gestalten. Allerdings wurde die zugewiesene Wohnung oft als deutliche Verbesserung der Lebensumstände empfunden.

3. Wartezeiten vs. Verfügbarkeit/Wettbewerb: Während in der DDR lange Wartezeiten von mehreren Jahren auf eine Wohnung die Regel waren, ist die Verfügbarkeit von Wohnraum heute regional sehr unterschiedlich. In Ballungszentren herrscht ebenfalls Knappheit, die sich jedoch in hohen Preisen und Mieten sowie Konkurrenzdruck bei Besichtigungen äußert, nicht primär in einer zentral verwalteten Warteliste (obwohl es auch im sozialen Wohnungsbau Wartelisten gibt). Die Ungewissheit der Wartezeit in der DDR war eine spezifische Belastung.

4. Industrialisierung und Standardisierung: Der massive Einsatz der Plattenbauweise ab den 1970er Jahren ermöglichte ein schnelles Bautempo und die Realisierung des umfangreichen Wohnungsbauprogramms. Dies führte zwangsläufig zu einer hohen Standardisierung und potenziellen Monotonie im Stadtbild. Heute gibt es eine deutlich größere Vielfalt an Baustilen, Materialien und Wohnungsgrundrissen. Allerdings werden auch heute vorgefertigte Elemente im Bau eingesetzt, wenn auch oft nicht in dem Maße wie im DDR-Plattenbau. Die Frage der Monotonie hing laut Quelle nicht zwingend mit der Bauweise selbst zusammen, sondern mit deren Anwendung.

5. Staatliche Instandhaltung vs. Mieter-/Eigentümerverantwortung: Die kommunale Wohnungsverwaltung als volkseigener Betrieb war für die staatlichen Wohnungen zuständig. Interessant ist das System der Reparaturstützpunkte, bei dem Mieter Materialien und Werkzeuge erhielten, für ihre Arbeit entlohnt wurden und der Staat die Kosten trug, während Facharbeiten von betriebseigenen Handwerkern ausgeführt wurden. Dieses Modell der staatlich unterstützten Mieter-Eigeninitiative unterscheidet sich stark von heutigen Mietverhältnissen, bei denen der Vermieter für Instandhaltung zuständig ist oder Eigentümer selbst für alle Kosten und Arbeiten aufkommen müssen.

6. Priorisierung und gesellschaftlicher Ansatz: Die Förderung junger Ehepaare zeigt einen klaren sozialen Fokus des Systems. Das Wohnungsbauprogramm ab 1971 wurde explizit als Lösung eines sozialen Problems verstanden. Dies kann als Versuch gesehen werden, die Grundversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, auch wenn die Umsetzung lange dauerte und zu Lasten der Altbausubstanz ging. Heute ist Wohnen oft auch eine Kapitalanlage, was zu anderen Dynamiken auf dem Markt führt als der alleinige Fokus auf die soziale Wohnraumversorgung.

7. Die Rolle der Altbausanierung: Die Erkenntnis, dass die Sanierung alter Gebäude eine Alternative zum Neubau darstellt, kam offenbar spät und wurde erst nach der Priorisierung des schnellen Neubaus im großen Stil angegangen. Die Methodik des Flies- und Taktverfahrens zeigt jedoch auch hier einen organisierten, industriellen Ansatz. Viele dieser sanierten Altbauten und Plattenbauten prägen auch heute noch das Stadtbild ostdeutscher Städte und stellen einen wichtigen Teil des heutigen Wohnungsbestands dar.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das in den Quellen beschriebene DDR-Wohnungssystem ein Planwirtschaftliches Modell war, das darauf abzielte, ein grundlegendes soziales Bedürfnis zu erfüllen. Die Methoden (Plattenbau, staatliche Zuweisung, unterstützte Eigeninitiative bei Reparaturen) und die Herausforderungen (Knappheit, Wartezeiten, Verfall der Altbausubstanz) waren spezifisch für dieses System und stehen im Kontrast zum heutigen, primär marktwirtschaftlich organisierten Wohnen, auch wenn heutige Städte durchaus auch mit Fragen der Wohnraumknappheit, Bezahlbarkeit und der Qualität des Wohnungsbestands konfrontiert sind. Die damaligen „gesellschaftlichen Einrichtungen“ in Neubaugebieten entsprechen in ihrer Funktion teilweise der heutigen Infrastrukturplanung bei der Entwicklung neuer Wohnquartiere.

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