In einer 45-minütigen ARD-Dokumentation mit dem Titel „Abgeschrieben – Der Osten in den Medien“ wird erstmals systematisch aufgezeigt, wie sehr ostdeutsche Berichterstattung bis heute von westdeutschen Verlagen und Redaktionsstrukturen geprägt ist. Die Dokumentation, seit Monaten in der ARD-Mediathek verfügbar, war am 28. April 2025 Thema bei NIUS Live: Redakteurin Juttka Strittmatter und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) äußerten sich dort erschüttert über mangelnde ostdeutsche Perspektiven und mediale Vorurteile.
Medienmacht nach der Wende: Ein Verkauf ohne Rücksicht auf Lokalkompetenz
Nach dem Fall der Mauer gehörten alle DDR-Zeitungen binnen weniger Jahre westdeutschen Verlagen. Erfolgreiche Bezirksblätter und sogar das einstige Zentralorgan Neues Deutschland wechselten damals den Besitzer. Heute dominieren in Sachsen etwa die „Leipziger Volkszeitung“ und die „Sächsische Zeitung“ mit ihren Landeseausgaben das Meinungsklima – beide gehören dem Madsack-Verlag mit Sitz in Hannover, an dem die SPD maßgeblich beteiligt ist. Die „Berliner Zeitung“ gilt bislang als einziges größeres Blatt in ostdeutscher Verlegerhand.
Reiner Haseloff kritisierte im Interview mit der Berliner Zeitung, dass diese Konzentration von Eigentum unmittelbar in redaktionelle Leitlinien wirke: „Die Medien, die seit 35 Jahren über uns berichten, sind fest in westlicher Hand. Das schlägt sich in Themenwahl, Tonfall und Personalentscheidungen nieder.“
Fehlende ostdeutsche Stimmen in Redaktionen
Auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk fehlen ostdeutsche Führungskräfte: Bei der Gründung des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) setzte der Bayerische Rundfunk den ersten Intendanten und zahlreiche Redakteure aus München ein. Ein ehemaliger Sportredakteur vom BR, der einst ein Angebot als MDR-Sportchef erhielt, erinnert sich: „Ich kam nach Dresden, sah Container als Redaktionsräume – und habe lieber in München weitergearbeitet.“ Ähnliches habe sich jüngst wiederholt, als ein westdeutscher Ex-Spiegel-Chefredakteur zum Fernsehdirektor berufen wurde und die Stelle nach zwei Jahren wieder aufgab.
Laut der Documentation ist das Ergebnis ein beständiges „Nicht-Verstehen“: Westdeutsche Redaktionen brächten Abstand und Distanz mit, die in den Ton der Berichterstattung einsickerten.
Dauerhafte Stereotype und Kampagnen gegen den Osten
Schon in den 1990er-Jahren sei der Spiegel zum „Leitmedium“ im Westen geworden – mit einer regelrechten Negativkampagne gegen den Osten. Rund 30 Titelgeschichten portraitierten Ostdeutsche als rückständig oder feindselig. Begriffe wie „Bananengabi“ oder „Zonengabi“ wurden zu populären Symbolen medialer Geringschätzung.
Der Journalist Hajo Schumacher, damals Spiegel-Sportredakteur, berichtete offen, dass Chefredaktionen ihn dazu anhielten, Sportler aus dem Osten bevorzugt als Stasi-Kontakt oder Dopingfall darzustellen. Diese prägenden Bilder wirkten weit ins Volk hinein und schaffen bis heute Narben, so die Dokumentation.
Politische Folgen: Entfremdung und Erstarken der AfD
Die dokumentierten Vorurteile und medialen Dominanzstrukturen haben Folgen: Begriffe wie „Lügenpresse“, die bei Pegida-Demonstrationen zu zentralen Parolen wurden, stünden sinnbildlich für das ostdeutsche Misstrauen gegenüber Mainstream-Medien. Viele Ostdeutsche fühlten sich nicht mehr repräsentiert, so die Filmemacher.
Dr. Alexander Kistler, Politikwissenschaftler und Co-Gastgeber bei NIUS Live, sieht in dieser Entfremdung eine Ursache für das hohe AfD-Wahlergebnis in ostdeutschen Bundesländern: „Wenn Menschen das Gefühl haben, ihre Sicht der Welt erfährt keine Resonanz, suchen sie Alternativen – sei es in sozialen Medien oder bei Parteien, die das vermeintliche ‘Gegengewicht’ zum medialen Mainstream darstellen.“
Forderungen nach Pluralität und lokalen Perspektiven
Abschließend fordert die Dokumentation, dem ostdeutschen Mediensystem mehr Vielfalt und ostdeutsche Stimmen zuzuführen. Reiner Haseloff bringt es auf den Punkt: „Ein vereintes Deutschland benötigt eine vereinte Medienlandschaft – mit gleichen Chancen für Ost und West.“
Ob sich daraus konkrete Reformschritte in Verlagshäusern und Senderstrukturen ergeben, bleibt abzuwarten. Fest steht jedoch: Die Debatte um mediale Repräsentation und die Bekämpfung alter Stereotype ist keineswegs abgeschlossen – im Gegenteil, sie beginnt gerade erst.
Dieser Beitrag wurde auf Basis der ARD-Dokumentation „Abgeschrieben – Der Osten in den Medien“ und der Diskussionsrunde bei NIUS Live am 28. April 2025 erstellt.