Ein Zeppelin über Erfurt – Der verlorene Stummfilm aus dem kleinsten Kino der DDR

Über den Dächern der Landeshauptstadt schwebt ein Luftschiff, sein mächtiger Schatten zeichnet sich auf Pflastersteinen und Fachwerkhäusern ab. Szenen wie diese hält ein bis heute nahezu unbekannter Stummfilm fest: „Zeppelin über Erfurt und vieles mehr“. Jahrzehntelang schlummerte das wertvolle Zeitdokument im beschaulichen Filmarchiv des Erfurter Familienbetriebs Lustermann, wo es nur einem erlesenen Kreis im sogenannten „Kleinsten Kino der DDR“ gezeigt wurde.

Zuhause im Filmstudio LustermannMitten in der Gartenstraße (später: Grafengasse) betrieben die Brüder Erich und Walter Lustermann ihr Privattheater: Ein schmaler Raum ohne Fenster, ausgestattet mit rotem Samtvorhang, goldverzierten Wandleuchten und einigen handverlesenen Sesseln. Zum Signalton des antiken Kino-Gongs erloschen die Lichter, und der Eimer Wasser neben dem Projektor garantierte, dass im Notfall die brisante Filmrolle schnell gelöscht werden konnte.

Erich Lustermann stand als Kommentator am Podium und ergänzte die stummen Aufnahmen mit heiteren, zugleich informativen Erläuterungen. Sein Bruder Walter, der die Szenen mit der Handkamera eingefangen hatte, hütete das Gerät wie einen Schatz – jede Vorführung war für ihn eine Zerreißprobe zwischen Stolz und Angst.

Ein verborgenes ZeitzeugnisDer Film zeigt nicht nur den über Erfurt kreisenden Zeppelin, sondern auch Straßenszenen, Menschen bei der Arbeit und festliche Anlässe. Wer seine Urheber waren, bleibt bis heute im Dunkeln. Auch Auftraggeber oder Produktionsfirma sind nicht verzeichnet. Dennoch erzählt das Werk von einer Epoche des Aufbruchs und der Technikbegeisterung in Mitteldeutschland.

Vom Familienarchiv ins StadtarchivIm Jahr 2015 übergaben die letzten Angehörigen der Lustermänner das Filmmaterial ans Stadtarchiv Erfurt. Dort lagert es seither in sicherer Obhut – digitalisiert und konservatorisch betreut. Eine erste Projektion ist für dieses Jahr im Rahmen einer historischen Filmreihe geplant.

Wissenschaftliche und kulturelle BedeutungHistoriker und Filmenthusiasten sehen in dem Alt-Erfurt-Film einen Schatz für die Lokalgeschichte. Er liefert einmalige Einblicke in das Alltagsleben der Stadt und verdeutlicht die Technikfaszination jener Zeit. Zugleich erinnert die handgeführte Kamera daran, wie aufwendig und riskant Filmvorführungen vor dem Zeitalter digitaler Medien waren.

AusblickWer das Stummfilmkino neu entdecken möchte, kann sich auf eine kuratierte Präsentation im Stadtarchiv freuen. Experten erhoffen sich, durch Bildanalyse und stilistische Vergleiche Anhaltspunkte für die genaue Datierung und Herkunft des Films zu gewinnen. Bis dahin bleibt „Zeppelin über Erfurt und vieles mehr“ ein faszinierendes Fragment aus der frühen Filmgeschichte Erfurts.



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