Erfurt im Wandel – Die Straßenbahnlinien 1968 und ihr Erbe

Im Frühjahr 1968 prägten fünf reguläre sowie zwei Einsatzlinien das Bild des öffentlichen Nahverkehrs in Erfurt. Zeitzeugen erinnern sich an das rhythmische Klappern der Zweiachser und das satte Brummen der modernisierten Gelenktriebwagen aus Gotha – einem Symbol für Fortschritt und Mobilität in der thüringischen Landeshauptstadt.

Modernisierung und Bestandsaufnahme
In den Jahren zuvor hatte die Erfurter Straßenbahnverwaltung ihren Fuhrpark konsequent erneuert. Bis 1959 waren erste Gotha-Gelenkzüge in Dienst gestellt worden, die fortan auf nahezu allen Linien für eine deutliche Kapazitätssteigerung sorgten. Parallel dazu liefen auf der Linie 1 noch die letzten Fahrzeuge, die ab 1936 in mehreren Chargen ausgeliefert worden waren. Ergänzt wurden sie durch Beiwagen aus den 1950er Jahren, erkennbar an der charakteristischen Mitteltür.

Linie 3 und die Käthe-Kollwitz-Straße
Ein markantes Ziel war die Endhaltestelle der Linie 3 an der Käthe-Kollwitz-Straße. Bis 1979 blieb dieser Abschnitt in Betrieb und verband Wohngebiete im Norden direkt mit dem historischen Stadtkern. Die Strecke galt als zuverlässig und verzeichnete gerade in den Morgen- und Abendstunden starke Frequentierung durch Berufspendler.

Streckenstilllegungen und Anpassungen
Vor dem Hauptbahnhof führte die Linie 4 ihre Runden, bis 1973 die Strecke zur Breitscheidstraße stillgelegt wurde. Die verbliebene Verbindung von dort zurück zur Thüringenhalle bot zwar weiterhin Anschluss, doch spiegelte die Maßnahme bereits beginnende Umstrukturierungen im Nahverkehr wider. Noch drastischer verlief die Einstellung des Linienabschnitts am Domplatz im Jahr 1978: Die Trasse, einst Mittelpunkt von Jahrmärkten und festlichen Umzügen, geriet zunächst in Vergessenheit.

Verkehrszentrum Anger und O-Bus-Ära
Der Anger, zentrale Drehscheibe und Verkehrsknoten, war bis 1974 nicht nur von Trambahnzügen, sondern auch von Oberleitungsbussen geprägt. Dieses Nebeneinander unterschiedlicher Verkehrsmittel vermittelte ein dynamisches Bild: Fahrgäste stiegen zwischen Linie 2, 3 oder 4 und den O-Bussen um, während Straßenhändler am Rand ihre Waren anboten. Nach der Abkehr vom O-Bus-System gewann die Straßenbahn weiter an Bedeutung und blieb Herzstück des städtischen Personenverkehrs.

Blick zurück und nach vorn
Heute erinnert kaum noch etwas an das Erfurt von 1968. Die Straßenbahnlinien haben sich modernisiert, neue Trassenabschnitte erschlossen und alte Wendeschleifen durch zeitgemäße Haltestellen ersetzt. Besonders augenfällig ist die Reaktivierung der Strecke über den Domplatz, die das historische Zentrum wieder direkt anbindet und den Boulevardcharakter des Areals betont.

Dennoch leben die Geschichten jener Jahre fort: in historischen Fotodokumenten, in Erinnerungen älterer Erfurter und in Fahrzeugen, die inzwischen als rollende Ausstellungsstücke erhalten sind. Sie erzählen von einer Stadt im Aufbruch, die sich immer wieder neu erfindet – und dabei doch ihre Wurzeln bewahrt.



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