Am frühen Morgen des 8. November 1991 rückten Bagger und Arbeitstrupps an, um das 19 Meter hohe Lenindenkmal auf dem einstigen Leninplatz in Ost‑Berlin zu demontieren. 20 Jahre lang hatte die überlebensgroße Porträtbüste Wladimir Iljitsch Lenin – geschaffen vom sowjetischen Bildhauer Nikolai Tomski – als zentrales Symbol des sozialistischen Städtebaus über dem neu angelegten Platz im Bezirk Friedrichshain thront. Mehr als 200 Granitblöcke aus der Ukraine formten den massiven Koloss, der 1970 anlässlich von Lenins 100. Geburtstag feierlich enthüllt worden war.
Bereits in den Wochen nach dem Mauerfall 1989 wuchs die Debatte um den Verbleib des Denkmals. Anwohner und Kunstschützer klagten, es rechtfertige eindeutig-politische Propaganda; andere empfanden es als historisch wertvollen Zeitzeuge der DDR-Ära. Trotz Petition und Mahnwachen fiel der Beschluss des Berliner Senats, das Relikt sowjetischer Monumentalarchitektur abzuräumen – ein symbolischer Schritt zur Umbenennung des Platzes in „Platz der Vereinten Nationen“.
Der Abbau erwies sich als technische Herausforderung: Die tonnenschweren Granitblöcke waren in ein massiv bewehrtes Betonfundament eingelassen. Mehr als zwei Wochen dauerte es, bis die Figur in Transport-Container verladen und fortgebracht war. Die großen Fragmente landeten im Köpenicker Forst, wo sie zunächst verscharrt wurden – ein Akt, den manche als „Vergraben der eigenen Vergangenheit“ deuteten.
Erst 2015 förderte ein Kunstprojekt einzelne Brocken wieder zutage: Heute sind einige Fragmente im Berliner Spreepark ausgestellt und erinnern an die Ambivalenz der Wiedervereinigung – zwischen Aufbruch und Vergessen, zwischen Respekt vor der Geschichte und dem Willen, sich von ideologischen Lasten zu lösen.
Mehr als drei Jahrzehnte nach ihrem Entfernen wirft die Geschichte des Lenindenkmals bis heute Fragen auf: Wie soll eine Gesellschaft mit monumentalen Symbolen umgehen? Wann sind sie Mahnmal, wann Makel? Die Fragmente des einstigen Kolosses stehen heute stellvertretend für das fortwährende Ringen um Erinnerung und Identität in einer Stadt, die sich permanent neu erfindet.